21.11.2024
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Oberlandesgericht Hamm Urteil07.09.2016

Organentnahme zur Nieren­le­bend­spende ist trotz Verfah­rens­mängeln nach dem Trans­plan­tations­gesetz nicht rechtswidrigKlinikum haftet auch nicht bei unzureichender Aufklärung über die mit einer Lebend­nie­ren­spende verbundenen Folgen und Risiken

Ein Verstoß gegen die formellen Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 Trans­plan­tations­gesetz (TPG) bewirkt nicht automatisch, dass die Einwilligung des Organspenders zur Lebendspende unwirksam und die Organentnahme ein rechtswidriger Eingriff ist. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm und bestätigte damit das erstin­sta­nzliche Urteil des Landgerichts Essen.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die im Jahre 1967 geborene Klägerin aus Dortmund, von Beruf Arzthelferin, entschied sich im Jahre 2008 dazu, ihrem unter einer unheilbaren Nieren­schä­digung leidenden Vater eine Niere zu spenden. Sie erhielt daraufhin eine schriftliche Patien­te­n­in­for­mation zur Nieren­le­bend­spende. In der Folgezeit wurde ihre Spend­er­fä­higkeit ärztlich geprüft. Im Januar 2009 befasste sich die Kommission Trans­plan­ta­ti­o­ns­medizin der Ärztekammer Nordrhein mit dem Fall und fand keine Anhaltspunkte für eine unfreiwillige Organspende. Ende Januar 2009 fand unter Beteiligung von Ärzten des - von der Klägerin später - beklagten Klinikums in Essen das in § 8 Abs. 2 TPG vorgesehenen Aufklä­rungs­ge­spräch statt. Am Tag vor der Nierenentnahme im Februar 2009 wurde die Klägerin von einer weiteren Ärztin des Klinikums über den Eingriff aufgeklärt. Im Mai 2014 verlor der Vater der Klägerin die ihm 2009 transplantierte Niere.

Klägerin verlangt Schadensersatz wegen unzureichender Aufklärung über Folgen der Organspende

Die Klägerin verlangte vom beklagten Klinikum und von den mit der Organspende befassten Ärzten des Klinikums Schadensersatz, u.a. ein Schmerzensgeld von 50.000 Euro. Sie behauptete, infolge der Spende an einem Erschöp­fungs­syndrom und einer Nieren­in­suf­fizienz zu leiden. Ihre Nieren­le­bend­spende sei kontraindiziert gewesen. Über die Folgen der Spende sei sie zudem nicht ausreichend aufgeklärt worden, den in § 8 Abs. 2 TPG geregelten formalen Anforderungen an das vorgeschriebene Aufklä­rungs­ge­spräch sei nicht genügt worden.

OLG: Von der Klägerin gerügte Behand­lungs­fehler liegt nicht vor

Die Schaden­s­er­satzklage der Klägerin blieb erfolglos. Nach der Anhörung eines medizinischen Sachver­ständigen konnte das Oberlan­des­gericht Hamm die Voraussetzungen der von der Klägerin geltend gemachten zivil­recht­lichen Haftung der Beklagten nicht feststellen. Die Lebend­nie­ren­spende der Klägerin sei nicht kontraindiziert gewesen, so dass dieser von der Klägerin in der Berufungs­instanz noch gerügte Behand­lungs­fehler nicht vorliege. Auch die von der Klägerin erhobenen Aufklä­rungsrügen griffen im Ergebnis nicht durch.

Verletzung der verfah­rens­re­gelnden Vorschriften führt nicht automatisch zur Rechts­wid­rigkeit der Organentnahme

Es sei zwar richtig, dass die Beklagten den formellen Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 TPG (in der seinerzeit geltenden Gesetzesfassung aus dem Jahre 2007) nicht genügt hätten, weil keine den inhaltlichen Anforderungen genügende und auch ärztlicherseits unterschriebene Niederschrift zu dem Aufklä­rungs­ge­spräch existiere. Zudem sei fraglich, ob der an dem Gespräch beteiligte, federführende Nephrologe des beklagten Klinikums als Arzt im Sinne der gesetzlichen Vorschrift angesehen werden könne, der weder an der Organentnahme noch an der Organ­über­tragung beteiligt sei. Allerdings führe der Verstoß gegen die formellen Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 TPG nicht automatisch zur Rechts­wid­rigkeit des Eingriffs bzw. zur Unwirksamkeit der Einwilligung des Spenders in die Organentnahme. Die in der Vorschrift niedergelegten allgemeinen Verfah­rens­re­ge­lungen seien Ordnungs­vor­schriften, sie regelten nicht die Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung des Spenders in eine einzelne Lebend­or­gan­spende. Deswegen werde eine Organentnahme nicht bereits deswegen rechtswidrig, wenn die verfah­rens­re­gelnden Vorschriften des § 8 Abs. 2 TPG verletzt seien.

Klägerin hätte sich aller Wahrschein­lichkeit nach auch bei ausreichender Aufklärung zur Spende entschlossen

Eine Haftung der Beklagten folge auch nicht aus einer inhaltlich unzureichenden Aufklärung der Klägerin über die mit einer Lebend­nie­ren­spende verbundenen Folgen und Risiken. Die Klägerin sei insoweit zwar nicht ausreichend aufgeklärt worden. Dieses Defizit sei im vorliegenden Fall allerdings haftungs­rechtlich irrelevant, weil der von den Beklagten erhobene Einwand einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin durchgreife. Eine hypothetische Einwilligung könne auch eine Lebend­or­gan­spende rechtfertigen, wobei der Spender - im Unterschied zu einem Patienten bei einem Heileingriff - keinen Entschei­dungs­konflikt geltend machen müsse, um diesen Einwand auszuschließen. Es genüge, wenn ein Spender plausibel darlege, dass er in seiner persönlichen Situation im Fall einer hinreichenden Aufklärung von einer Organspende abgesehen hätte. Im vorliegenden Fall sei das der Klägerin - auch bei ihrer erneuten Anhörung durch das Oberlan­des­gericht - nicht gelungen. Sie habe sich zur Lebend­nie­ren­spende entschlossen, weil sie den Tod ihres Vaters gefürchtet habe bzw. ihm eine Dialysepflicht habe ersparen wollen. Ihre Einwilligung habe sie in Kenntnis einiger - von ihr als Arzthelferin - durchaus als gravierend eingeschätzter, unter Umständen auch die Lebensqualität erheblich einschränkender Risiken erteilt. Deswegen sei davon auszugehen, dass sie sich auch bei einer ausreichenden Aufklärung zur Spende entschlossen hätte.

§ 8 Abs. 2 des Trans­plan­ta­ti­o­ns­ge­setzes in der Fassung vom 4.9.2007 lautet wie folgt:

Der Spender ist durch einen Arzt in verständlicher Form aufzuklären über

1. den Zweck und die Art des Eingriffs,

2. die Untersuchungen sowie das Recht, über die Ergebnisse der Untersuchungen unterrichtet zu werden,

3. die Maßnahmen, die dem Schutz des Spenders dienen, sowie den Umfang und mögliche, auch mittelbare Folgen und Spätfolgen der beabsichtigten Organ- oder Gewebeentnahme für seine Gesundheit,

4. die ärztliche Schweigepflicht,

5. die zu erwartende Erfolgsaussicht der Organ- oder Gewebe­über­tragung und sonstige Umstände, denen er erkennbar eine Bedeutung für die Spende beimisst, sowie über

6. die Erhebung und Verwendung perso­nen­be­zogener Daten.

Der Spender ist darüber zu informieren, dass seine Einwilligung Voraussetzung für die Organ- oder Gewebeentnahme ist.

Die Aufklärung hat in Anwesenheit eines weiteren Arztes, für den § 5 Abs. 2 Satz 1 und 2 entsprechend gilt, und, soweit erforderlich, anderer sachver­ständiger Personen zu erfolgen.

Der Inhalt der Aufklärung und die Einwil­li­gungs­er­klärung des Spenders sind in einer Niederschrift aufzuzeichnen, die von den aufklärenden Personen, dem weiteren Arzt und dem Spender zu unterschreiben ist.

Die Niederschrift muss auch eine Angabe über die versi­che­rungs­rechtliche Absicherung der gesund­heit­lichen Risiken nach Satz 1 enthalten. Die Einwilligung kann schriftlich oder mündlich widerrufen werden.

Satz 3 gilt nicht im Fall der beabsichtigten Entnahme von Knochenmark.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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