18.10.2024
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Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.

Dokument-Nr. 22072

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Oberlandesgericht Hamm Urteil04.12.2015

Mithaftung von Ärzten bei fehlerhafter Befundung und Diagnose: Haftung mehrerer Ärzte bei mehreren ärztlichen Behand­lungs­fehlernMehrere ärztliche Behand­lungs­fehler zum Nachteil einer Patientin

Stellen Ärzte grob fahrlässig eine falsche Diagnose (hier: Nichterkennen einer Kreuz­bein­fraktur) so haften sie für die daraus resultierenden weitern Gesund­heits­schäden. Dies hat das Oberlan­des­gericht Hamm entschieden.

Die 1944 geborene Patientin (Klägerin) im Verfahren 26 U 33/14, fiel im März 2006 auf ihr Gesäß und begab sich in die ambulante Behandlung des zweitbeklagten Chirurgen in Göttingen. Dieser diagnostizierte einen Knochen­hau­t­reiz­zustand an der Steißbeinspitze und behandelte die Klägerin mit mehreren Infiltrationen. Aufgrund sich verschlim­mernder Beschwerden suchte die Patientin im April 2006 das vom erstbeklagten Mediziner geleitete therapeutische Institut in Bochum auf. Nach der Anfertigung eines MRT der Lenden­wir­belsäule und des Iliosa­kral­gelenks wurde die Klägerin erneut mit mehreren Injektionen behandelt. Wenige Tage darauf behandelte der Zweitbeklagte die nach wie vor unter erheblichen Beschwerden leidende Klägerin bei einem Hausbesuch wiederum mit schmerz­stil­lenden Infiltrationen.

Im weiteren Behand­lungs­verlauf mit mehrmonatigen stationären Aufenthalten stellte sich heraus, dass bei der Patientin eine schon länger zurückliegende Kreuz­bein­fraktur bestand. Zudem hatte sich die Patientin mit dem Staphylococcus aureus Bakterium infiziert. Durch die Infektion erlitt sie multiple Abszesse, ein multiples Organversagen mit zeitweilig lebens­ge­fähr­lichem Verlauf und musste sich mehrfach Revisi­ons­ope­ra­tionen unterziehen. Die Patientin leidet noch heute unter Narbenschmerzen, Mobilisations- und Bewegungs­ein­schrän­kungen.

Patientin klagte wegen grobfeh­ler­hafter Behandlung

Die klagende Patientin hat gemeint, von beiden Beklagten grobfehlerhaft behandelt worden zu sein. Sie und die für sie eintretende Kranken­ver­si­cherung aus Dortmund, die Klägerin im Verfahren 26 U 32/14, haben in beiden Prozessen von den Beklagten materiellen Schadensersatz verlangt, die Klägerin in ihrem Verfahren zudem ein Schmerzensgeld.

Nach der Einholung mehrerer medizinischer Sachver­stän­di­gen­gut­achten hatte das LG Bochum der klagenden Patientin 100.000 Euro Schmerzensgeld, ca. 12.000 Euro materiellen Schadensersatz und der klagenden Versicherung ca. 530.000 Euro Schadensersatz für die Kosten medizinisch notwendiger Folge­be­hand­lungen zugesprochen. Über weitergehende Verdien­st­aus­fa­ll­s­chäden der klagenden Patientin hatte das Landgericht noch nicht entschieden.

OLG Hamm weist Berufungen ab

Die Berufungen beider Beklagten gegen die landge­richt­lichen Urteile waren erfolglos. Das OLG Hamm bestätigte in vollem Umfang die erstin­sta­nz­lichen Urteile.

OLG Hamm sieht grobe Behand­lungs­fehler

Nach Auffassung des Oberlan­des­ge­richts ist dem die Patientin zuerst behandelnden Zweitbeklagten zumindest ein grober Behandlungsfehler unterlaufen, der seine vollständige Mithaftung für die Gesund­heits­schäden der Patientin begründet. Der Zweitbeklagte hafte, weil er seine wenige Tage zuvor begonnene Injek­ti­o­ns­be­handlung fortgeführt habe, ohne eine Steiß­bein­fraktur durch bildgebende Verfahren abzuklären. Habe er noch zu Behand­lungs­beginn auf eine bildgebende Diagnostik verzichten dürfen, sei diese einige Tage darauf angezeigt gewesen, weil sich die Beschwerden der Patientin nicht dauerhaft verringert hätten. Bei dieser Sachlage sei es zwingend geboten gewesen, der Frage einer Steiß­bein­fraktur nachzugehen. Das Unterlassen der weiteren bildgebenden Verfahren sei deswegen grob behand­lungs­feh­lerhaft. Aufgrund der Steiß­bein­fraktur sei die vom Zweitbeklagten fortgeführte Infil­tra­ti­o­ns­therapie kontraindiziert gewesen. Dieser Schaden und die weiteren Folgeschäden der Klägerin seien dem Zweitbeklagten aufgrund der mit der grob fehlerhaften Behandlung verbundenen Beweis­la­st­umkehr zuzurechnen.

Diagnosefehler - grob fahrlässig falsche Diagnose erstellt

Der Erstbeklagte hafte, weil seine Mitarbeiter bei der Auswertung des MRT eine Fraktur bzw. einen Frakturverdacht fehlerhaft nicht diagnostiziert hätten. Auch zur Kontrolle der Lage von Injek­ti­o­ns­nadeln gefertigte CT-Aufnahmen seien fehlerhaft bewertet worden, weil die sichtbare Fraktur nicht erkannt worden sei. Zudem sei eine aufgrund der Fraktur kontrain­di­zierte Injektion fehlerhaft in den Frakturspalt gesetzt worden. Die Diagnosefehler und auch die Injektion in den Frakturspalt seien grobe Behand­lungs­fehler. Aufgrund der mit der grob fehlerhaften Behandlung verbundenen Beweis­la­st­umkehr hafte der Erstbeklagte ebenfalls in vollem Umfang. Bei beiden Beklagten sei nicht auszuschließen, dass die jeweils in ihrem Verant­wor­tungs­bereich durchgeführten Injektionen die Infektion der Patientin bewirkt hätten. Deswegen seien beiden die weiteren Folgeschäden der Klägerin zuzurechnen.

Quelle: ra-online, OLG Hamm (pm/pt)

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