21.11.2024
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Oberlandesgericht Hamm Beschluss23.12.2015

Ungelernter Unter­halts­schuldner: Gericht darf Berechnung des Unterhalts fiktives Arbeits­ein­kommen zugrunde legenAnrechnung eines fiktiven Einkommens bei realer Beschäftigungs­chance nicht zu beanstanden

Schuldet ein Vater seinem minderjährigen Kind Unterhalt, kann ihm als ungelernte Arbeitskraft im Rahmen seiner gesteigerten Erwer­b­s­ob­lie­genheit ein fiktives monatliches Nettoeinkommen von über 1.300 Euro zuzurechnen sein, wenn er ein derartiges Einkommen im Rahmen einer früheren Beschäftigung erzielt hat. Dies entschied das Oberlan­des­gericht Hamm und bestätigte damit den erstin­sta­nz­lichen Beschluss des Amtsgerichts Marl.

Der im Jahre 1985 geborene Antragsgegner des zugrunde liegenden Verfahrens stammt aus Marl und ist der Vater der im April 2013 geborenen Antragstellerin. Mit der im Jahre 1985 geborenen Kindesmutter aus Marl, die die Antragstellerin betreut, lebt der Vater seit Juli 2015 nicht mehr in einem Haushalt zusammen. Der Antragsteller hat den Haupt­schul­ab­schluss nach der Klasse 10 erworben. Eine im gärtnerischen Bereich begonnene Berufs­aus­bildung hat er abgebrochen, zeitweise bei unter­schied­lichen Zeita­r­beits­firmen gearbeitet und in einer Autowäsche für einige Monate monatlich über 1.300 Euro netto verdient. Diese Arbeitsstelle verlor er - nach eigenen Angaben schuldlos - im Herbst des Jahres 2014 und ist seitdem arbeitslos. Mittlerweile bezieht er Leistungen nach dem SGB II. Die Antragstellerin begehrt Kindesunterhalt. Dieses hat ihr das Familiengericht Marl für die Zeit ab September in Höhe von monatlich 236 Euro zugesprochen, berechnet nach einem fiktiven Einkommen des Antragsgegners.

OLG: Anrechnung des fiktiven Einkommens nicht zu beanstanden

Das Oberlan­des­gericht Hamm wies die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Famili­en­ge­richts Marl zurück. Zu Recht habe das Familiengericht dem Antragsgegner ein fiktives Einkommen angerechnet, das die Zahlung des begehrten Kindes­un­terhalts ohne Gefährdung seines notwendigen Selbstbehalts zulasse, entschied das Gericht.

Unter­halts­pflichtige muss angebliches Fehlen einer Beschäf­ti­gung­s­chance darlegen und beweisen

Eltern seien gegenüber minderjährigen, unverheirateten Kindern verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden (sogenannte gesteigerte Unter­halts­pflicht). Seine eigene Arbeitskraft habe der unter­halts­pflichtige Elternteil einzusetzen. Unterlasse er dies, könnten auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden, wenn der unter­halts­pflichtige Elternteil eine reale Beschäf­ti­gung­s­chance habe. Dabei habe der Unter­halts­pflichtige das Fehlen der Beschäf­ti­gung­s­chance darzulegen und zu beweisen. Für gesunde Arbeitnehmer im mittleren Erwerbsalter gelte insoweit selbst in Zeiten hoher Arbeits­lo­sigkeit regelmäßig kein Erfahrungssatz, nach welchem sie auch als ungelernte Kräfte nicht in eine vollschichtige Tätigkeit zu vermitteln seien. Unter Einsatz aller zumutbaren und möglichen Mittel habe sich der Unter­halts­pflichtige nachhaltig darum zu bemühen, eine angemessene Vollzeit­tä­tigkeit zu finden. Die bloße Meldung bei der Agentur für Arbeit genüge nicht. Ebenso nicht, wenn sich der Unter­halts­pflichtige lediglich auf die vom zuständigen Jobcenter unterbreiteten Stellenangebote bewerbe. Er müsse nachprüfbar vortragen, welche Schritte er im Einzelnen in welchem zeitlichen Abstand unternommen habe, um eine Erwer­bs­mög­lichkeit zu finden.

Auch Aufnahme einer Nebentätigkeit muss gegebenenfalls in Betracht gezogen werden

Im vorliegenden Fall habe der Antragsgegner offensichtlich keine Erwer­bs­be­mü­hungen entfaltet. Dazu fehle jeglicher Vortrag. So könne nicht festgestellt werden, dass der Antragsgegner das vom Familiengericht geschätzte monatliche Nettoeinkommen von über 1.300 Euro nicht erzielen könne. Bei seiner Tätigkeit in einer Autowäsche habe er dieses Einkommen tatsächlich für einige Monate erhalten. Durchgreifende Gründe dafür, dass der Antragsgegner bei ausreichenden Bemühungen ein solches Nettoeinkommen inklusive Überstun­den­ver­gütung nicht wieder erzielen könnte, habe er nicht benannt. Zudem komme die Aufnahme einer Nebentätigkeit in Betracht, wenn der Antragsgegner den Kindesunterhalt nicht mit dem aus einer Haupt­er­wer­b­s­tä­tigkeit erzielbaren Einkommen sicherstellen könne. Auch darauf habe bereits das Familiengericht zu Recht hingewiesen.

Quelle: Oberlandesgericht Hamm/ra-online

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