14.11.2024
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Sie sehen eine Geldbörse mit einer Gesundheitskarte von einer deutschen Krankenversicherung.

Dokument-Nr. 30126

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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil24.03.2021

Frage des Kranken­ver­si­cherers bei Vertrags­ab­schluss nach bestehenden „Anomalien“ ist in Bezug auf Zahnfehl­stel­lungen unklarKeine Berechtigung zum nachträglicher Ausschluss der Kostenübernahme für kiefer­or­tho­pä­dische Behandlung

Das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main (OLG) hat die Frage nach „Anomalien“ im Antragsformular auf Abschluss einer privaten Krank­heits­kosten­versicherung in Bezug auf Zahnfehl­stel­lungen als unklar erachtet, weil sie dem Versi­che­rungs­nehmer in unzulässiger Weise eine Wertung abverlange, und deshalb die Kranken­ver­si­cherung zur Übernahme von kiefern­orthopädischen Aufwendungen verurteilt.

Die Parteien streiten um Erstattung von Aufwendungen für eine kiefer­or­tho­pä­dische Behandlung der Tochter des Klägers. Der Kläger beantragte im März 2017 bei der Beklagten den Abschluss einer privaten Krank­heits­kosten- und Pflege­ver­si­cherung. Hinsichtlich seiner mitzu­ver­si­chernden, neun Jahre alten Tochter beantwortete er folgende Frage mit „nein“: Bestehen/bestanden in den letzten 3 Jahren Beschwerden, Krankheiten, Anomalien (auch Implantate (zum Beispiel Brustimplantate) und/oder Unfallfolgen...), die nicht ärztlich ...behandelt wurden?

Vorliegen eines Engstands der Backenzähne unstrittig

Die Tochter des Klägers befand sich seit 2011 in regelmäßiger zahnärztlicher Kontrolle. Unstreitig lag bei ihr ein Engstand der Backenzähne vor. Im Sommer 2017 erlitt die Tochter des Klägers einen Unfall, bei dem sie sich einen Zahn abbrach. Im Zusammenhang mit dieser Behandlung wurde die Indikation für eine kiefer­or­tho­pä­dische Behandlung gestellt; im Heilbehandlungs- und Kostenplan der Kiefer­or­thopädin vom November 2017 heißt es u.a. „Platzmangel im UK (Unterkiefer), Scherenbiss Zahn 24, diverse Rotationen und Kippungen“.

Recht auf nachträgliche Anpassung des Vertrags wegen Anzei­ge­pflicht­ver­letzung

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der dem Kläger bekannte Engstand der Backenzähne seiner Tochter habe eine anzei­ge­pflichtige „Anomalie“ im Sinne der Antragsfrage dargestellt. Bei Kenntnis hätte sie den Vertrag nicht einschrän­kungslos angenommen, sondern einen Leistungs­aus­schluss für die kiefer­or­tho­pä­dische Behandlung vereinbart. Dementsprechend sei der Vertrag wegen Anzei­ge­pflicht­ver­letzung nachträglich anzupassen.

LG entschied zugunsten des Versicherers

Der Kläger hat sich demgegenüber darauf berufen, dass er erstmals im Sommer 2017 von der Notwendigkeit einer kiefer­or­tho­pä­dischen Behandlung Kenntnis erlangt habe. Auf eine solche habe zuvor nichts hingedeutet; insbesondere auch nicht der Engstand der Backenzähne. Das Landgericht hatte die Klage auf Erstattung von Aufwendungen für die kiefer­or­tho­pä­dische Behandlung abgewiesen.

OLG: Engstand keine Krankheit im versi­che­rungs­ver­trag­lichen Sinne

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte vor dem OLG überwiegend Erfolg. Die Beklagte sei nicht zur Vertrags­an­passung unter Aufnahme eines Risiko­aus­schlusses für die Behandlung von Zahnfehl­stel­lungen/ Anomalien berechtigt gewesen, entschied das OLG. Der Kläger habe keine Anzei­ge­pflichten verletzt. Soweit bei seiner Tochter ein Engstand der Backenzähne vorgelegen und ihm bekannt gewesen sei, sei dies nicht anzei­ge­pflichtig gewesen. Es handele sich nicht um eine „Krankheit“. „Krankheit“ im versi­che­rungs­ver­trag­lichen Sinne sei „ein anormaler Körper- oder Geisteszustand, der eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt“, führte das OLG aus. Dass der Engstand hier zu einer solchen Störung körperlicher Funktionen führte, habe auch die Versicherung nicht behauptet.

Frage nach "Anomalien in Bezug auf Zahnfehl­stel­lungen unklar

Soweit die Versicherung meine, es liege eine „Anomalie“ vor, sei die Antragsfrage unklar. Für den durch­schnitt­lichen Versi­che­rungs­nehmer sei nicht erkennbar, was unter einer Anomalie im Zahnbereich zu verstehen sei. Gemäß der Definition im Duden verstehe man unter einer Anomalie eine Abweichung vom Normalen, eine körperliche Fehlbildung. Darunter dürfte der durch­schnittliche Versi­che­rungs­nehmer eher eine Missbildung, eine Behinderung verstehen, als eine Zahn- und Kiefer­fehl­stellung. Dafür spreche auch der Klammerzusatz, der auf Implantate verweise. Hinzu komme, dass dem Begriff der Anomalie eine gewisse Dauerhaftigkeit immanent sei, der Zahnstatus der neunjährigen Tochter des Klägers aufgrund forts­chrei­tenden Wachstums und Zahnwechsels aber naturgemäß Änderungen unterworfen gewesen sei. Die Frage verlange jedenfalls dem Versi­che­rungs­nehmer in unzulässiger Weise eine Wertung ab.

Revision nicht zugelassen

Fragen, die eine Wertung des Versi­che­rungs­nehmers voraussetzten, seien grundsätzlich unzulässig. Sie könnten deshalb auch keine Anzeigepflicht begründen. Die Entscheidung ist rechtskräftig; die Revision hat der Senat nicht zugelassen.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main, ra-online (pm/ab)

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