23.11.2024
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Dokument-Nr. 30518

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Urteil07.07.2021Oberlandesgericht Frankfurt am Main7 U 19/21
Vorinstanz:
  • Landgericht Frankfurt am Main, Urteil18.01.2021, 2-08 O 320/20
ergänzende Informationen

Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil07.07.2021

Ehemaliger Vorstands­vorsitzender der Wirecard AG erhält vorläufige Abwehrdeckung aus der D&O-VersicherungRechtskräftige Entscheidung über vorsätzliche Pflicht­ver­letzung als Voraussetzung für Leistungs­aus­schluss

Die D&O-Versicherung kann sich gegenüber der Wirecard AG nicht auf einen Leistungs­aus­schluss wegen einer arglistigen Täuschung bei Vertrags­verlängerung stützen. Der Versi­che­rungs­schutz entfällt gemäß den Vertrags­be­din­gungen erst bei der Feststellung einer vorsätzlichen oder wissentlichen Pflicht­ver­letzung. An einer für diese Feststellung erforderlichen rechtskräftigen Entscheidung oder einem Eingeständnis fehlt es hier, so dass vorläufig Versi­che­rungs­schutz zu gewähren ist, entschied das Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main (OLG).

Der Verfü­gungs­kläger als ehemaliger Vorstands­vor­sit­zender der Wirecard AG begehrt im Wege einer einstweiligen Verfügung die Gewährung vorläufiger Abwehrkosten aus einer sog. D&O-Versicherung (Vermö­gens­schaden- Haftpflicht­ver­si­cherung), welche die Wirecard bei der Verfü­gungs­be­klagten für ihre Organmitglieder und Leitende Angestellte abgeschlossen hatte. Die Wirecard war ein international tätiger Zahlungs­dienst­leister. Einen wesentlichen Anteil am Gesamtumsatz nahmen die sog. TPA-Geschäfte (Third-Party-Acquirer) in Asien ein. Das für Wirecard seit Jahren tätige Wirtschafts­prü­fungs­un­ter­nehmen verweigerte erstmals das Testat für den Jahresabschluss 2019. Im Rahmen weiterer Untersuchungen stellte sich heraus, dass ein angeblich aus den TPA-Geschäften resultierendes Treuhand­guthaben von insgesamt 1,9 Milliarden Euro im Juni 2020 nicht auf den Konten der philippinischen Banken vorhanden war. Ob es die TPA-Geschäfte in Asien überhaupt nicht oder nicht im verbuchten Umfang gegeben hat, ist streitig. Gegen den Kläger wird ein Ermitt­lungs­ver­fahren bei der Staats­an­walt­schaft München u.a. wegen des Verdachts des bandenmäßigen Betrugs, der Bilanzfälschung, Markt­ma­ni­pu­lation und Verstößen gegen das WpHG geführt. Er befindet sich seit Sommer 2020 in Unter­su­chungshaft. Gegen ihn sind zahlreiche Arrest- und Pfändungs­be­schlüsse ausgebracht. Des Weiteren wird er u.a. zusammen mit Wirecard vor dem Landgericht München auf Schadensersatz von über 1 Million € in Anspruch genommen. Nachdem die Beklagte die Übernahme von Kosten zur Abwehr der Schaden­s­er­satz­ansprüche abgelehnt hatte, hat der Kläger - der alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückweist eine vorweggenommene Deckungsklage vor dem Landgericht Frankfurt erhoben und zugleich die streit­ge­gen­ständliche Leistungs­ver­fügung beantragt. Das Landgericht hat dem Antrag weitgehend stattgegeben.

OLG bejahrt Anspruch auf vorläufigen Versi­che­rungs­schutz

Das OLG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Im Zentrum der Entscheidung stehe, so der Senat in seiner Begründung, die Frage, ob die Verfü­gungs­be­klagte sich auf Leistungs­aus­schlüsse wegen einer arglistigen Täuschung bei Vertrags­ver­län­gerung berufen könne oder aber dem die Zusage von vorläufigen Vertei­di­gungs­kosten nach Ziffer 7.1.3 entgegenstehe. Ziffer 7.1.3 lautet: "Im Zweifel über das Vorliegen einer wissentlichen Pflichtverletzung oder vorsätzlichen Pflicht­ver­letzung wird der Versicherer Vertei­di­gungs­kosten gewähren. Dies gilt auch, wenn der Anspruch auf Schadensersatz oder das Verfahren auf eine Rechtsnorm gestützt wird, deren Voraussetzungen nur bei Vorsatz erfüllt sein können. Steht das Vorliegen einer wissentlichen oder einer vorsätzlichen Pflicht­ver­letzung fest, entfällt der Versicherungsschutz. Als Feststellung gilt eine rechtskräftige Entscheidung oder ein Eingeständnis der versicherten Person, aus der/dem sich die Tatsachen ergeben, welche die wissentliche oder vorsätzliche Pflicht­ver­letzung belegen".

Rechts­schutz­ver­pflichtung zur Abwehr unberechtigter Ansprüche für Versicherten von existentieller Bedeutung

Diese Rechtsschutzverpflichtung zur Abwehr unberechtigter Ansprüche Dritter sei für den Versicherten von existentieller Bedeutung, erläutert der Senat. Mache ein Dritter in der Begründung seines vermeintlichen Haftpflicht­an­spruchs Tatsachen geltend, die eine wissentliche oder vorsätzliche Pflicht­ver­letzung der versicherten Person beinhalteten, sehe sich der – möglicherweise zu Unrecht bezichtigte – Versicherte der Situation ausgesetzt, dass er im Falle einer Deckungs­ab­lehnung seitens des Versicherers ohne Rechtsschutz dastünde und auf einen langwierigen (vorweg­ge­nommenen) Deckungsprozess gegen den Versicherer angewiesen wäre.

Derzeit keine rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über vorsätzliche Pflicht­ver­letzung

Dem berechtigten Interesse des zu Unrecht beschuldigten Managers nach bestmöglicher Absicherung im Rahmen einer D&O-Versicherung habe die Verfü­gungs­be­klagte durch die besondere Ausgestaltung der vorläufigen Vertei­di­gungs­kosten in Ziffer 7.1.3 Rechnung getragen. Dies komme auch dem Verfü­gungs­kläger zugute, der sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe - insbesondere auch den der Bilanzfälschung, auf welche die Verfü­gungs­be­klagte den Vorwurf der Arglist stützt - bestreite. An einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung, aus der sich Umstände ergäben, welche die vorsätzliche Pflicht­ver­letzung belegten, fehle es derzeit. Sie könne nach Auffassung des Senats weder im vorliegenden einstweiligen Verfü­gungs­ver­fahren noch im Haupt­sa­che­ver­fahren (Deckungsklage) getroffen werden, da die Formulierung „eine rechtskräftige Entscheidung“ auf ein außerhalb des Deckungs­pro­zesses stattfindendes Verfahren hinweise. Angesichts dieses sehr weitgefassten Leistungs­ver­sprechens könne die Verfü­gungs­be­klagte sich bis zum Vorliegen einer solchen Entscheidung nicht mit deckungs­gleicher Begründung auf arglistige Täuschung berufen.

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main, ra-online (pm/ab)

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