Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Februar 2008 stürzte eine Fußgängerin auf ihrem Weg zur Arbeit gegen 9.40 Uhr auf einem glatten Gehweg und erlitt dadurch eine Fraktur des linken Handgelenks. Sie musste sich daraufhin mehreren Operationen unterziehen. Da der Gehweg von der streupflichtigen Gemeinde nicht bestreut war, erhob die Fußgängerin Klage auf Zahlung von Schadenersatz und Schmerzensgeld. Die Gemeinde wehrte sich gegen die Inanspruchnahme mit der Begründung, dass sie zunächst verkehrswichtigere Straßen habe streuen müssen. Aufgrund der geringen Verkehrsbedeutung des Gehwegs habe dieser erst um 11 Uhr bestreut werden dürfen. Zudem sei der Klägerin ein Mitverschulden anzulasten, da sie trotz erkennbarer Glätte den Gehweg benutzte.
Das Landgericht Marburg gab der Klage dem Grudne nach statt. Denn die Gemeinde habe ihre Streupflicht verletzt. Sie sei verpflichtet gewesen, die Witterungsverhältnisse zu beobachten. Wäre sie dem nachgekommen, hätte sie frühzeitig die Gefahrenlage erkennen können und ihre Mitarbeiter bereits um 6 Uhr und nicht erst um 8 Uhr mit dem Beginn der Räumarbeiten beauftragen können. Unter dieser Bedingung wäre der Gehweg, selbst wenn er nicht verkehrswichtig gewesen sein sollte, spätestens um 9 Uhr bestreut gewesen. Das Landgericht ging jedoch von einem Mitverschulden der Klägerin von 50 % aus. Gegen diese Entscheidung legte sowohl die Klägerin als auch die beklagte Gemeinde Berufung ein.
Das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und wies daher beide Berufungen zurück. Der Klägerin habe dem Grunde nach ein Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld zugestanden, da die Gemeinde ihrer Streupflicht und damit ihrer Verkehrssicherungspflicht nicht ausreichend nachgekommen sei.
Nach Auffassung des Oberlandesgerichts sei der Fußgängerweg auch zu bestreuen gewesen. Denn solche Wege seien innerhalb einer geschlossenen Ortschaft zu räumen und zu streuen, wenn sie eine Erschließungsfunktion haben. Eine solche liege vor, wenn der Weg zur Erreichbarkeit der Wohnung, der Schule, des Arbeitsplatzes oder des Geschäfts notwendig ist und zwar unabhängig davon, wie viele Fußgänger den Weg tatsächlich nutzen. Auf die Verkehrswichtigkeit des Gehwegs komme es dabei nicht an. Denn der Grundsatz, dass nur besonders verkehrswichtige und gefährliche Stellen zu streuen sind, beziehe sich nur auf den Fahrzeugverkehr. Dem Gehweg sei hier eine Erschließungsfunktion zugekommen.
Das Oberlandesgericht schloss sich zudem den Ausführungen des Landgerichts zur Beobachtungs- bzw. Überwachungspflicht der Gemeinde hinsichtlich der Witterungsverhältnisse an. Aufgrund der frühzeitigen erkennbaren Glättebildung hätte die Gemeinde nicht erst um 8 Uhr mit den Räumarbeiten beginnen dürfen.
Darüber hinaus folgte das Oberlandesgericht der Ansicht des Landgerichts, wonach der Klägerin ein Mitverschulden (§ 254 BGB) von 50 % an dem Unfall anzulasten sei. Angesichts dessen, dass der Gehweg erkennbar glatt war, hätte die Klägerin ihre Geschwindigkeit entsprechend einstellen müssen. Ein Fußgänger sei verpflichtet, bei erkannter Glättegefahr vorsichtig und langsam zu gehen.
Das Oberlandesgericht verwies außerdem darauf, dass die Klägerin nicht verpflichtet gewesen sei, auf die gestreute Fahrbahn auszuweichen. Denn dies wäre mit weiteren Gefahren verbunden gewesen. Ebenso sei sie nicht verpflichtet gewesen zu Hause zu bleiben, da sie zur Arbeit musste.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 31.03.2014
Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt a.M., ra-online (vt/rb)