23.11.2024
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Oberlandesgericht Frankfurt am Main Urteil16.10.2018

Kindeswille bei Umgangs­re­ge­lungen nach Trennung der Eltern nicht immer entscheidendWille des Kindes stellt nur einen von mehreren Gesichtspunkten bei Ermittlung des Kindeswohls dar

Hat das Familiengericht nach Trennung der Eltern den Aufenthalt eines Kindes einem Elternteil zugeordnet (Residenzmodell), müssen triftige Kindes­wohl­gründe vorliegen, um später eine Umgangsregelung im Sinne eines paritätischen Wechselmodells anzuordnen. Der Kindeswille stellt dabei nur einen von mehreren Gesichtspunkten bei der Ermittlung des Kindeswohls dar. Dies geht aus einer Entscheidung des Oberlan­des­ge­richts Frankfurt am Main hervor.

Die Beteiligten des zugrunde liegenden Verfahrens waren verheiratet und haben drei Kinder. Nach der Trennung der Eltern übertrug das Familiengericht im Frühjahr 2014 im Rahmen eines Sorge­rechts­ver­fahrens das Aufenthaltsbestimmungsrecht für alle drei Kinder der Mutter (sogenanntes Residenzmodell). Die Mutter zog nachfolgend mit den fünf bzw. vier Jahre alten Kindern aus dem gemeinsamen Famili­en­wohnhaus aus. Im Sommer 2016 beantragte der Vater, die getroffene Entscheidung abzuändern und ihm das Aufent­halts­be­stim­mungsrecht zu übertragen. Das Familiengericht wies diesen Antrag nach Einholung eines Sachver­stän­di­gen­gut­achtens zurück. Die Kinder hatten sich im Rahmen der Anhörung für einen künftigen Aufenthalt beim Vater ausgesprochen.

Familiengericht lehnt Anordnung eines paritätischen Wechselmodells ab

Auf den hilfsweise gestellten Antrag des Vaters hin, jedenfalls ein sogenanntes paritätisches Wechselmodell anzuordnen (wöchentlicher Wechsel der Kinder zwischen den getrennten Eltern), kam es zum hiesigen Umgangs­ver­fahren. Das Familiengericht lehnte die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells ab, ordnete jedoch einen "ausgedehnten Umgang" mit den Kindern an. Demnach sollten sie sich regelmäßig alle 14 Tage von Donnerstag 17.00 Uhr bis montags zum Schulbeginn bei ihm aufhalten.

Voraussetzungen für Änderung des Aufent­haltsortes aus triftigen Gründen des Kindeswohls liegen nicht vor

Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Vaters hatte auch vor dem Oberlan­des­gericht Frankfurt am Main keinen Erfolg. Es lägen laut Gericht keine triftigen, das Wohl der Betroffenen Kinder nachhaltig berührenden Gründe i. S. d. § 1696 Abs. 1 BGB für die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells vor. Maßstab sei § 1696 Abs. 1 BGB, der sicherstellen solle, dass bereits getroffene gerichtliche Entscheidungen nur in engen Grenzen der Abänderung unterliegen, um dem Progno­se­cha­rakter jeder Kindeswohl orientierten Entscheidung einerseits und der Verbindlichkeit gerichtliche Entscheidungen andererseits Rechnung zu tragen. Folglich sei die im Rahmen des Sorge­rechts­ver­fahrens getroffene Aufent­halts­be­stimmung zu Gunsten der Mutter als Erstent­scheidung auch im hiesigen Umgangs­ver­fahren zugrunde zu legen. Die Voraussetzungen für eine Änderung dieser Erstent­scheidung aus triftigen Gründen des Kindeswohls lägen nicht vor.

Umgangs­ent­schei­dungen müssen sich nach allgemeinen Kindes­wohl­kri­terien ausrichten

Zu berücksichtigen sei, dass kein grundsätzlich zu bevorzugendes Betreu­ungs­modell existiere. Jede Umgangs­ent­scheidung müsse sich im Einzelfall nach den allgemeinen Kindes­wohl­kri­terien ausrichten. Hierzu zählten die Erzie­hungs­eignung der Eltern, die Bindungen des Kindes an die Eltern, die Bindung­s­to­leranz, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie der Kindeswille. Der Kindeswille stelle damit nur eine von mehreren Gesichtspunkten bei der Ermittlung des Kindeswohls dar. Es müsse stets die Verträglichkeit der vom Kind gewünschten Lösung mit seinem Wohl geprüft werden, so das Gericht. Dabei habe ein nachdrücklicher und beständig geäußerter Kindeswille in der Regel ein höheres Gewicht als ein schwankender, unent­schlossener Wille. Auch zunehmendes Alter und Einsichts­fä­higkeit erlangten Bedeutung. Minde­st­an­for­derung an den Kindeswillen sei jedoch insbesondere die Autonomie des Willens.

Wille der Kinder wurde nicht autonom gebildet

Hier hätten die Kinder zwar wiederholt und in verschiedenen Anhörungs­si­tua­tionen geäußert, im Haushalt des Vaters leben zu wollen. Nach den überzeugenden Feststellungen der Sachver­ständigen sei jedoch davon auszugehen, dass der Wille der Kinder nicht autonom gebildet worden sei. Den sachver­ständigen Ausführungen nach falle es dem Vater schwer, seine Bedürfnisse von den Bedürfnissen der Kinder zu trennen. Dies bewirke, dass die Kinder durch ihre Reaktion auf seine Bedürfnisse nicht ihre eigenen Bedürfnisse erleben und dies auch nicht lernen, sondern vielmehr lernen, sich in die Bedürfnisse des Vaters einzufinden und danach zu reagieren. Die Kinder assoziierten darüber hinaus hauptsächlich die Vorzüge des Wohnens (Haus, Garten, Spiel­mög­lich­keiten, Haustier) mit einem Lebens­mit­telpunkt beim Vater. Soweit eine emotionale Bindung zum Vater nicht verkannt werden könne, sei jedoch auch zu berücksichtigen, dass sich starke Beeinflussungs- oder gar Instru­men­ta­li­sie­rungs­ten­denzen des Vaters gezeigt hätten.

Erläuterungen:

§ 1696 [1] Abänderung gerichtlicher Entscheidungen und gerichtlich gebilligter Vergleiche

(1) 1 Eine Entscheidung zum Sorge- oder Umgangsrecht oder ein gerichtlich gebilligter Vergleich ist zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. 2 Entscheidungen nach § 1626 a Absatz 2 können gemäß § 1671 Absatz 1 geändert werden; § 1671 Absatz 4 gilt entsprechend. § 1678 Absatz 2, § 1680 Absatz 2 sowie § 1681 Absatz 1 und 2 bleiben unberührt.

(2) Eine Maßnahme nach den §§ 1666 bis 1667 oder einer anderen Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die nur ergriffen werden darf, wenn dies zur Abwendung einer Kindes­wohl­ge­fährdung oder zum Wohl des Kindes erforderlich ist (kindes­schutz­rechtliche Maßnahme), ist aufzuheben, wenn eine Gefahr für das Wohl des Kindes nicht mehr besteht oder die Erfor­der­lichkeit der Maßnahme entfallen ist.

§ 1671 [1] Übertragung der Alleinsorge bei Getrenntleben der Eltern

(1) 1 Leben Eltern nicht nur vorübergehend getrennt und steht ihnen die elterliche Sorge gemeinsam zu, so kann jeder Elternteil beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge allein übertragt. 2 Dem Antrag ist stattzugeben, soweit

- 1. der andere Elternteil zustimmt, es sei denn, das Kind hat das 14. Lebensjahr vollendet und widerspricht der Übertragung, oder

- 2. zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf den Antragsteller dem Wohl des Kindes am besten entspricht. [...]

§ [1] Umgang des Kindes mit den Eltern

(1) Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt.

(2) 1 Die Eltern haben alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert. 2 Entsprechendes gilt, wenn sich das Kind in der Obhut einer anderen Person befindet.

(3) 1 Das Familiengericht kann über den Umfang des Umgangsrechts entscheiden und seine Ausübung, auch gegenüber Dritten, näher regeln. [...]

Quelle: Oberlandesgericht Frankfurt am Main/ra-online

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