21.11.2024
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Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht Urteil03.02.2011

Schul­be­tre­tungs­verbot bei Auftreten von Masern an benachbarter Schule unzulässigAnste­ckungs­verdacht bei Schüler darf nicht bloß vermutet werden

Tritt in einer Region eine Häufung von Maser­n­er­kran­kungen auf, kann ein nicht erkrankter, jedoch auch nicht geimpfter Schüler nicht ohne weitere tatsächliche Ermittlungen zu seinem Immunstatus als Anste­ckungs­ver­dächtiger betrachtet werden. Dies entschied das Nieder­säch­sische Oberver­wal­tungs­gericht und erklärte ein ausgesprochenes Schul­be­tre­tungs­verbot gegenüber dem Schüler für rechtswidrig.

Der Kläger besuchte in dem in Rede stehenden Zeitraum die sechste Klasse einer Kooperativen Gesamtschule in der Region Hannover. In der Zeit von April bis Juni 2007 kam es in der Region Hannover zu zwei Häufungen von Maser­n­er­kran­kungen, betroffen waren auch Schüler einer Grundschule, die etwa 500 m von der Gesamtschule des Klägers entfernt liegt und die bestimmte Einrichtungen gemeinsam mit dieser nutzt. Die Beklagte untersagte dem Kläger für die Dauer von vierzehn Tagen - später verkürzt auf vier Tage - das Betreten seiner Schule, um eine weitere Ausbreitung der Masern zu verhindern. Begründet wurde das Verbot mit dem Umstand, dass der Kläger weder gegen Masern geimpft sei noch in der Vergangenheit eine Masernerkrankung durchgemacht habe. Eine ärztliche Untersuchung des Klägers oder eine Befragung zu dessen möglichen Kontakten mit an Masern erkrankten Kindern nahm die Beklagte nicht vor.

Schüler darf nicht ohne weitere Ermittlungen als Anste­ckungs­ver­dächtiger angesehen werden

Der Kläger hat gegen das Schul­be­tre­tungs­verbot mit der Begründung geklagt, die Beklagte schaffe durch ihr Vorgehen einen faktischen Impfzwang. Das Verwal­tungs­gericht hat der Klage stattgegeben. Der Kläger hätte nicht allein aufgrund der fehlenden Impfung ohne weitere Ermittlungen als Anste­ckungs­ver­dächtiger angesehen werden dürfen.

Voraussetzungen für eine mögliche Anste­ckungs­gefahr waren beim Schüler gar nicht gegeben

Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Nieder­säch­sische Oberver­wal­tungs­gericht zurückgewiesen. Nach Auffassung des Gerichts war das Vorgehen der Beklagten auf Grundlage des Infek­ti­o­ns­schutz­ge­setzes nicht gerechtfertigt. Der Kläger durfte ohne weitere tatsächliche Ermittlungen unter Anknüpfung an seinen Immunstatus nicht als Anste­ckungs­ver­dächtiger betrachtet werden. Anste­ckungs­ver­dächtig ist eine Person, wenn von ihr anzunehmen ist, dass sie Krank­heits­erreger aufgenommen hat, ohne krank, krank­heits­ver­dächtig oder Ausscheider zu sein. Die Beklagte hat die Eigenschaft des Klägers als Anste­ckungs­ver­dächtiger - also als "vermutlich Infizierter" - unter Zugrundelegung bestimmter Prämissen (etwa "Durchmischung der Schüler­po­pu­la­tionen" an der gemeinsam genutzten Bushaltestelle oder beim Kochkurs in den Räumlichkeiten der Grundschule) auf der Basis epidemiologisch-statistischer Methoden (Durch­imp­fungsquote, Ausbrei­tungs­po­tential von Masern) an den Immunstatus als ungeimpfte Person angeknüpft. Dies erweist sich als mit den Regelungen des Infek­ti­o­ns­schutz­ge­setzes nicht vereinbar. Da eine Befragung des Klägers ausgeblieben ist, ist der Beklagten verborgen geblieben, dass die Prämissen auf den Kläger - er war weder "Fahrschüler" noch Teilnehmer des Kochkurses - gar nicht zutrafen. Die Beklagte hat letztlich einen Anste­ckungs­verdacht nur vermutet. Davon abgesehen war das Schul­be­tre­tungs­verbot nach Auffassung des Senats auch nicht in sich konsistent: Dem Kläger wäre der Schulbesuch sogleich wieder gestattet worden, wenn er sich hätte impfen lassen, obwohl ein Impfschutz erst nach frühestens vier Tagen eintritt. Lehrer der KGS, die nicht auch an der Grundschule unterrichtet haben, sind von vornherein von Betre­tungs­verboten ausgenommen worden, ohne zu erfragen, ob sie die Bushaltestelle genutzt haben oder sonst mit Grundschülern - etwa bei der Pausenaufsicht - in Kontakt gekommen sind.

Quelle: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht/ra-online

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