23.11.2024
23.11.2024  
Sie sehen eine Szene aus einem Krankenhaus, speziell mit einem OP-Saal und einem Arzt im Vordergrund.

Dokument-Nr. 32018

Drucken
ergänzende Informationen

Landessozialgericht Hessen Beschluss26.07.2022

Hochdosis-Influenza-Impfstoff: Ärzte dürfen bei älteren Patienten weiter konventionelle Impfstoffe nutzen - Pharma­un­ter­nehmen unterliegt vor GerichtKein Anspruch auf Monopolstellung auf dem Markt der Grippe-Impfstoffe für über 60-jährige Versicherte

Die Verordnung, die das Impfen von Versicherten über 60 Jahren auch mit konventionellen Influenza-Impfstoffen befristet weiterhin ermöglicht, ist nicht außer Vollzug zu setzen. Das Pharma­un­ter­nehmen, die den einzigen bislang zugelassenen Hochdosis-Influenza-Impfstoff vertreibt, hat keinen Anspruch auf Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung. Dies entschied in einem einstweiligen Rechts­schutz­verfahren das Hessischen Landes­sozial­gerichts.

Ein in Frankfurt ansässiges Pharmaunternehmen vertreibt einen Hochdosis-Influenza-Impfstoff mit einer vierfach höheren Dosierung im Vergleich zu den bisherigen quadrivalenten Influenza-Impfstoffen. Dieser erste und bislang einzige Hochdosis-Influenza- Impfstoff wurde im Mai 2020 vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zugelassen. Im Januar 2021 empfahl die Ständige Impfkommission (STIKO) diesen Impfstoff für die Impfung von Personen ab 60 Jahren im Hinblick auf die signifikante, statistisch abgesicherte Überlegenheit der Impfwirksamkeit bei älteren Menschen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschloss daraufhin, in die Schutzimpfungs-Richtlinie einen entsprechenden Anspruch der Versicherten über 60 Jahren auf diesen Impfstoff aufzunehmen.

Verordnung erlaubt sowohl Standard-Impfstoff als auch Hochdosis-Influenza-Impfstoff

Mit Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen Influenza und Masern (Impfverordnung) wurde – befristet bis zum 31. März 2022 – geregelt, dass Versicherte ab 60 Jahren im Rahmen der Verfügbarkeit der vorhandenen Impfstoffe einen Anspruch auf eine Schutzimpfung mit einem inaktivierten, quadrivalenten Influenza-Impfstoff mit aktueller von der WHO empfohlener Antigen­kom­bi­nation haben. Der Anspruch auf einen Hochdosis-Influenza-Impfstoff bleibe hiervon unberührt und eine entsprechende ärztliche Verordnung gelte als wirtschaftlich. Im Sommer 2021 empfahl die STIKO für den Fall von Lieferengpässen, Versicherte ab 60 Jahren mit Influenza-Impfstoffen in Standa­rd­do­sierung zu versorgen. Im Februar 2022 wurde sodann die Befristung der Impfverordnung um ein weiteres Jahr verlängert, so dass nunmehr bis zum 31. März 2023 von über 60-jährigen Versicherten auch der Standard-Impfstoff beansprucht werden kann. Durch diese Verlän­ge­rungs­re­gelung sah sich das Pharma­un­ter­nehmen, welches als einzige den Hochdosis-Influenza-Impfstoff vertreibt, in seinen Rechten verletzt und beantragte einstweiligen Rechtschutz. Es drohe ein Umsatzverlust von über 53 Millionen €.

Abwarten einer Entscheidung im Haupt­sa­che­ver­fahren zumutbar

Das Sozialgericht sowie das Landes­so­zi­al­gericht als Beschwer­de­instanz lehnten den Eilantrag ab. Das Pharma­un­ter­nehmen haben keinen Anspruch darauf, dass die Änderungs­ver­ordnung durch eine einstweilige Anordnung außer Vollzug gesetzt werde. Das Abwarten einer Entscheidung im Haupt­sa­che­ver­fahren sei für das Unternehmen nicht mit einer dringlichen Notlage verbunden, die eine sofortige Entscheidung erfordere. Gehe es - wie vorliegend - um die wirtschaft­lichen Folgen einer angefochtenen Regelung, dann liege ein Anordnungsgrund nur vor, wenn der Antragsteller in seiner wirtschaft­lichen Existenz bedroht sei. Eine wirtschaftliche Existenz­ge­fährdung sei bei einem drohenden Umsatzverlust von über 53 Millionen € jedoch vorliegend nicht hinreichend belegt. Das Pharma­un­ter­nehmen veröffentliche auf seiner Webseite Umsatzzahlen für 2020 von rund 4,6 Milliarden € und hinsichtlich des weltweit tätigen Mutterkonzerns von rund 36 Milliarden €. Auch sei nicht dargelegt, in welchem Umfang sich ein eventueller Umsatzrückgang bei dem Hochdosis-Impfstoff auswirke, da das Pharma­un­ter­nehmen auch den Standard-Impfstoff herstelle.

Keine Berufung auf Grund­rechts­ver­letzung nach Art. 12 und 3 GG

Das Unternehmen könne sich zudem nicht mit Erfolg auf eine Grund­rechts­ver­letzung berufen. Das Grundgesetz schütze grundsätzlich nicht vor Konkurrenz. Auch sei eine ungerecht­fertigte Schlech­ter­stellung des Unternehmens durch die angefochtene Frist­ver­län­gerung nicht festzustellen. Es obliege weiterhin der fachlichen Einschätzung des behandelnden Arztes, ob einem Versicherten über 60 Jahren der Hochdosis- oder der Standard-Impfstoff verabreicht werde. Art. 12 GG begründe ferner keinen Anspruch auf eine „Monopolstellung auf dem Markt der Grippe-Impfstoffe für über 60-jährige Versicherte“. Eine gegen Art. 3 GG verstoßende willkürliche Benachteiligung sei vorliegend auch nicht erkennbar. Schließlich sei nicht zu beanstanden, aus Gründen der Versor­gungs­si­cherheit - insbesondere während der COVID-Pandemie - den Marktzugang für sämtliche rechtlich zugelassene Influenza-Impfstoffe offenzuhalten, um hierdurch Versor­gungs­engpässe zu vermeiden.

Quelle: Landessozialgericht Hessen, ra-online (pm/ab)

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss32018

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI