Dokument-Nr. 32018
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Landessozialgericht Hessen Beschluss26.07.2022
Hochdosis-Influenza-Impfstoff: Ärzte dürfen bei älteren Patienten weiter konventionelle Impfstoffe nutzen - Pharmaunternehmen unterliegt vor GerichtKein Anspruch auf Monopolstellung auf dem Markt der Grippe-Impfstoffe für über 60-jährige Versicherte
Die Verordnung, die das Impfen von Versicherten über 60 Jahren auch mit konventionellen Influenza-Impfstoffen befristet weiterhin ermöglicht, ist nicht außer Vollzug zu setzen. Das Pharmaunternehmen, die den einzigen bislang zugelassenen Hochdosis-Influenza-Impfstoff vertreibt, hat keinen Anspruch auf Erlass einer entsprechenden einstweiligen Anordnung. Dies entschied in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren das Hessischen Landessozialgerichts.
Ein in Frankfurt ansässiges Pharmaunternehmen vertreibt einen Hochdosis-Influenza-Impfstoff mit einer vierfach höheren Dosierung im Vergleich zu den bisherigen quadrivalenten Influenza-Impfstoffen. Dieser erste und bislang einzige Hochdosis-Influenza- Impfstoff wurde im Mai 2020 vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zugelassen. Im Januar 2021 empfahl die Ständige Impfkommission (STIKO) diesen Impfstoff für die Impfung von Personen ab 60 Jahren im Hinblick auf die signifikante, statistisch abgesicherte Überlegenheit der Impfwirksamkeit bei älteren Menschen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) beschloss daraufhin, in die Schutzimpfungs-Richtlinie einen entsprechenden Anspruch der Versicherten über 60 Jahren auf diesen Impfstoff aufzunehmen.
Verordnung erlaubt sowohl Standard-Impfstoff als auch Hochdosis-Influenza-Impfstoff
Mit Verordnung zum Anspruch auf Schutzimpfung gegen Influenza und Masern (Impfverordnung) wurde – befristet bis zum 31. März 2022 – geregelt, dass Versicherte ab 60 Jahren im Rahmen der Verfügbarkeit der vorhandenen Impfstoffe einen Anspruch auf eine Schutzimpfung mit einem inaktivierten, quadrivalenten Influenza-Impfstoff mit aktueller von der WHO empfohlener Antigenkombination haben. Der Anspruch auf einen Hochdosis-Influenza-Impfstoff bleibe hiervon unberührt und eine entsprechende ärztliche Verordnung gelte als wirtschaftlich. Im Sommer 2021 empfahl die STIKO für den Fall von Lieferengpässen, Versicherte ab 60 Jahren mit Influenza-Impfstoffen in Standarddosierung zu versorgen. Im Februar 2022 wurde sodann die Befristung der Impfverordnung um ein weiteres Jahr verlängert, so dass nunmehr bis zum 31. März 2023 von über 60-jährigen Versicherten auch der Standard-Impfstoff beansprucht werden kann. Durch diese Verlängerungsregelung sah sich das Pharmaunternehmen, welches als einzige den Hochdosis-Influenza-Impfstoff vertreibt, in seinen Rechten verletzt und beantragte einstweiligen Rechtschutz. Es drohe ein Umsatzverlust von über 53 Millionen €.
Abwarten einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren zumutbar
Das Sozialgericht sowie das Landessozialgericht als Beschwerdeinstanz lehnten den Eilantrag ab. Das Pharmaunternehmen haben keinen Anspruch darauf, dass die Änderungsverordnung durch eine einstweilige Anordnung außer Vollzug gesetzt werde. Das Abwarten einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren sei für das Unternehmen nicht mit einer dringlichen Notlage verbunden, die eine sofortige Entscheidung erfordere. Gehe es - wie vorliegend - um die wirtschaftlichen Folgen einer angefochtenen Regelung, dann liege ein Anordnungsgrund nur vor, wenn der Antragsteller in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht sei. Eine wirtschaftliche Existenzgefährdung sei bei einem drohenden Umsatzverlust von über 53 Millionen € jedoch vorliegend nicht hinreichend belegt. Das Pharmaunternehmen veröffentliche auf seiner Webseite Umsatzzahlen für 2020 von rund 4,6 Milliarden € und hinsichtlich des weltweit tätigen Mutterkonzerns von rund 36 Milliarden €. Auch sei nicht dargelegt, in welchem Umfang sich ein eventueller Umsatzrückgang bei dem Hochdosis-Impfstoff auswirke, da das Pharmaunternehmen auch den Standard-Impfstoff herstelle.
Keine Berufung auf Grundrechtsverletzung nach Art. 12 und 3 GG
Das Unternehmen könne sich zudem nicht mit Erfolg auf eine Grundrechtsverletzung berufen. Das Grundgesetz schütze grundsätzlich nicht vor Konkurrenz. Auch sei eine ungerechtfertigte Schlechterstellung des Unternehmens durch die angefochtene Fristverlängerung nicht festzustellen. Es obliege weiterhin der fachlichen Einschätzung des behandelnden Arztes, ob einem Versicherten über 60 Jahren der Hochdosis- oder der Standard-Impfstoff verabreicht werde. Art. 12 GG begründe ferner keinen Anspruch auf eine „Monopolstellung auf dem Markt der Grippe-Impfstoffe für über 60-jährige Versicherte“. Eine gegen Art. 3 GG verstoßende willkürliche Benachteiligung sei vorliegend auch nicht erkennbar. Schließlich sei nicht zu beanstanden, aus Gründen der Versorgungssicherheit - insbesondere während der COVID-Pandemie - den Marktzugang für sämtliche rechtlich zugelassene Influenza-Impfstoffe offenzuhalten, um hierdurch Versorgungsengpässe zu vermeiden.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 28.07.2022
Quelle: Landessozialgericht Hessen, ra-online (pm/ab)
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