18.10.2024
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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Urteil29.04.2014

Gutachten des Landkreises Göttingen zu Mietobergrenzen für Hartz IV-Bezieher rechtswidrigBelastbare Mietobergrenze kann nur durch Neuerhebung auf Grundlage eines völlig neuen Konzeptes erfolgen

Das Landes­so­zi­al­gericht Niedersachsen-Bremen hat entschieden, dass das vom Landkreis Göttingen für die Stadt Göttingen angewendete Gutachten zur Ermittlung von angemessenen Unter­kunfts­kosten für Bezieher von Grund­sicherungs­leistungen nach dem SGB II ("Hartz IV") einer rechtlichen Überprüfung nicht standhält und die dort festgelegten Mietobergrenzen zu niedrig sind. Das Gutachten könne daher nicht als Grundlage für die Leistungs­ge­währung dienen.

In dem zugrun­de­lie­genden Fall musste eine dreiköpfige Familie für eine 68 qm große Wohnung in Göttingen monatlich 520 Euro Miete einschließlich Nebenkosten zahlen. Hiervon hat die Stadt Göttingen nur 470 Euro monatlich übernommen. Grundlage dieser Kürzung war ein vom Landkreis Göttingen in Auftrag gegebenes Gutachten. In dem Gutachten waren durch Befragung ermittelte Bestandsmieten zusam­men­ge­rechnet worden, wobei die Grenze bei einem Quantil von 33 % angesetzt wurde. Der jeweilige Wohnungs­standard wurde nicht ermittelt.

Grund­si­che­rungs­träger muss tatsächlichen Mietkosten übernehmen

Das Landes­so­zi­al­gericht Niedersachsen-Bremen hat den Grund­si­che­rungs­träger zur Nachzahlung der Differenz zu den tatsächlichen Mietkosten in Höhe von 50 Euro verurteilt. Mangels valider Mietdatensätze seien als Obergrenze die Tabellenwerte des Wohngeld­ge­setzes zuzüglich eines Aufschlages von 10 % zu berücksichtigen, die im vorliegenden Fall noch höher liegen (568,70 Euro).

Gutachten enthält keine nachvoll­ziehbare Definition des Unter­su­chungs­ge­gen­standes

Nach Auffassung des Landes­so­zi­al­ge­richts kann das vorgelegte Gutachten über angemessene Unterkunftskosten nicht zur Ermittlung der vom Grund­si­che­rungs­träger zu gewährenden Kosten der Unterkunft herangezogen werden. Das Gutachten enthalte keine nachvoll­ziehbare Definition des Unter­su­chungs­ge­gen­standes, z. B. welche Art von Wohnungen je nach deren Ausstattung, Beschaffenheit und Lage berücksichtigt worden seien. Die Erfassung des gesamten Wohnungsmarktes setze voraus, dass u. a. nach Wohnungs­standards differenziert werden müsse. Nur darüber werde zuverlässig nachvollziehbar, ob auf einer repräsentativen Basis Wohnungen des einfachen, mittleren und gehobenen Standards einbezogen worden seien. Dies habe der Landkreis Göttingen nicht umgesetzt. Es sei nicht ausreichend, den einfachen Wohnungs­standard allein anhand des Quadrat­me­ter­preises zu definieren, weil der Quadrat­me­terpreis je nach Wohnlage einen unter­schied­lichen Standard der Wohnung abdecken könne.

Kappungsgrenze von 33 % nicht nachvollziehbar

Weiter führte das Gericht aus, dass die Kappungsgrenze von 33 % nicht nachvollziehbar sei. Eine plausible Begründung der so festgesetzten Mietobergrenze habe der Landkreis Göttingen nicht liefern können. Die zugrunde gelegte Annahme, dass mit einem 33 %-Quantil Wohnungen des einfachen Standards zutreffend abgebildet würden, setze zumindest voraus, dass tatsächlich der gesamte Wohnungsmarkt mit einer gleichmäßigen Durchmischung der Datensätze mit Wohnungen des einfachen, mittleren und gehobenen Standards erfasst worden wäre, was vorliegend jedoch nicht geschehen sei. Die Entscheidung über die Frage, bis zu welcher Mietobergrenze SGB II-Bezieher angemessene Wohnungen in Anspruch nehmen können, hänge nicht vom Preis ab, sondern von der Beschaffenheit der Wohnung, die auch oberhalb des Quantils von 33 % noch einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entsprechen könne, falls in der Stadt Göttingen derartige Unterkünfte in einem größeren Umfang vorhanden seien. Dies habe der Landkreis Göttingen aber nicht zuverlässig klären können.

Landkreis muss tatsächliche Mietkosten bis zu den Werten aus der Tabelle des Wohngeld­ge­setzes plus 10 % Siche­rungs­zu­schlag übernehmen

Schließlich hat das Landes­so­zi­al­gericht dargelegt, dass die strukturellen Schwächen des vorgelegten Gutachtens keine Nachbesserung ermöglichen. Es fehle die vom Gericht für erforderlich gehaltene Datenbasis, diese könne für rückwirkende Zeiträume auch nicht mehr erhoben werden. Eine belastbare Mietobergrenze könne nur durch eine Neuerhebung auf der Grundlage eines völlig neuen Konzeptes erfolgen. Der Landkreis Göttingen sei verpflichtet, die tatsächlichen Mietkosten bis zu den Werten aus der Tabelle des Wohngeld­ge­setzes plus 10 % Siche­rungs­zu­schlag zu übernehmen.

Quelle: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen/ra-online

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