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Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Urteil22.11.2017
Hirnschädigung kann zum Erhalt des Merkzeichens "Blind" im Schwerbehindertenausweis berechtigenBeeinträchtigung des Sehorgans nicht alleinige Voraussetzung für Eintragung des Merkzeichens
Eine Beeinträchtigung des Sehorgans ist nicht Voraussetzung für die Eintragung des Merkzeichens "Bl" im Schwerbehindertenausweis. Auch eine Hirnschädigung kann beispielsweise einen Anspruch auf Erhalt des Merkzeichens begründen. Dies geht aus einer Entscheidung des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen hervor.
Im zugrunde liegenden Streitfall klagte ein 10-jähriges Mädchen aus dem Landkreis Leer, das wegen einer Stoffwechselstörung schwerst hirngeschädigt ist und täglich epileptische Krampfanfälle erleidet. Der Kinderarzt hatte bestätigt, dass das Mädchen nicht auf optische Reize reagiere und die Augen überwiegend geschlossen halte oder nur kleine Sehschlitze öffne. Sofern sie die Augen aufreiße, verdrehe sie die Pupillen unkontrolliert nach oben. Sie könne visuelle Sinneseindrücke offenbar nicht verarbeiten. Eine Untersuchung mit einer sogenannten Blitzbrille bestätigte eine ausgeprägte Funktionsstörung des Gehirns.
Erteilung des Merkzeichen "Bl" abgelehnt
Das beklagte Landesamt für Soziales, Jugend und Familie lehnte das Merkzeichen "Bl" ab, da keine Störung des Seh-Apparates vorliege, sondern eine Störung des Erkennens und der Verarbeitung der optischen Sinneseindrücke im Gehirn.
Spezifische Sehstörung nicht mehr alleinige Voraussetzung zur Anerkennung einer Person als "blind"
Dem konnte sich das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen nicht anschließen. Das Bundessozialgericht habe mit Urteil vom 11. August 2015 bereits seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben und klargestellt, dass eine spezifische Sehstörung nicht mehr Voraussetzung sei, um eine Person als blind anzuerkennen. Ausreichend sei, dass ein unter der Blindheitsschwelle liegendes Sehvermögen objektiv festgestellt sei. Ob die Ursache in einem Defekt der Augen, des Sehnervs oder des Gehirns zu finden sei, sei unerheblich. Vielmehr sei die Gleichbehandlung der unterschiedlichen Ursachen durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes und die UN-Behindertenrechtskonvention geboten.
LSG wies Landesamt bereits zuvor auf Umsetzung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hin
Das Landessozialgericht hat das Landesamt bereits in zwei vorherigen Urteilen daran erinnert, die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts umzusetzen. Das niedersächsische Landesrecht führe nicht zu einem Ausschluss von Sehstörungen, die ihre Ursache im Gehirn haben. Vielmehr liege eine andere Störung des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vor, dass sie der in der Versorgungsmedizin-VO genannten Beeinträchtigung der Sehschärfe gleichzustellen sei.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 18.12.2017
Quelle: Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen/ra-online
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