14.11.2024
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Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil28.07.2011

LSG Berlin-Brandenburg: Keine Entschä­di­gungsrente für Markus WolfAberkennung der „Ehrenpension für Kämpfer gegen den Faschismus“ für ehemaligen Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung der Staats­si­cherheit zulässig

Das Landes­so­zi­al­gericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass das Bundes­ver­si­che­rungsamt im Januar 2003 Markus Wolf rechtmäßig die Entschä­di­gungsrente nach dem Entschä­di­gungs­ren­ten­gesetz aberkannt hat.

Markus Wolf leitete von 1953 bis 1986 im Staats­se­kre­tariat für Staats­si­cherheit (SfS) bzw. später im Ministerium für Staats­si­cherheit (MfS) der DDR die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), zuletzt im Range eines Generaloberst. Die Entschä­di­gungsrente war eine durch den Einigungs­vertrag vorgesehene Nachfol­ge­leistung für die „Ehrenpension für Kämpfer gegen den Faschismus“ nach DDR-Recht, die Wolf seit 1983 neben seiner Altersrente erhielt. Der Prozess betraf nur die Entschä­di­gungsrente für Lebzeiten von Markus Wolf. Seine Witwe hat das Verfahren nach seinem Tod am 9. November 2006 weitergeführt.

Bundes­ver­si­che­rungsamt entzieht im Januar 2003 Entschä­di­gungsrente vollständig

Das beklagte Bundes­ver­si­che­rungsamt hatte 1992 und 1997 erfolglos versucht, Wolf die Entschä­di­gungsrente zu entziehen. Beide Entscheidungen wurden später wegen Rechtsfehlern aufgehoben und führten zu Nachzahlungen an Wolf. Im Januar 2003 hatte das Bundes­ver­si­che­rungsamt dann einen weiteren Bescheid erlassen, mit dem die Entschä­di­gungsrente vollständig entzogen wurde. Wolf habe gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechts­s­taat­lichkeit verstoßen. Abgeleitet wurde dies aus seiner Mitwirkung an Sitzungen des Kollegiums des MfS im Jahre 1966, in denen über „Vorlagen über Maßnahmen zur operativen Sicherung der Staatsgrenze“ und „Vorlagen über politi­sch­ope­rative Maßnahmen zur Bekämpfung feindlicher Einflüsse unter Kreisen von Jugendlichen“ beraten und entschieden wurde. Außerdem wurden ihm die Straftaten vorgehalten, die 1997 zu seiner Verurteilung durch das Oberlan­des­gericht Düsseldorf geführt hatten (u.a. Entführung von Personen nach Ost-Berlin und rechtswidrige Inhaftierung eines DDR-Bürgers, um ihn zu Aussagen gegen Willy Brandt zu bringen).

Nachgewiesene Zustimmung zu umfassender Beobachtung und Bespitzelung Jugendlicher mit Grundsätzen der Menschlichkeit und Rechts­s­taat­lichkeit nicht vereinbar

Das Sozialgericht Berlin hat die Klage gegen den Bescheid vom Januar 2003 im März 2005 abgewiesen (S 35 RA 3631/92 W97). Die Berufung hatte keinen Erfolg. Markus Wolfs nachgewiesene Zustimmung zu den Beschlüssen des Kollegiums des MfS über „Vorlagen über politisch-operative Maßnahmen zur Bekämpfung feindlicher Einflüsse unter Kreisen von Jugendlichen“ hätten zu umfassender Beobachtung und Bespitzelung Jugendlicher geführt. Die Jugendlichen seien damit zum bloßen Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt worden. Das sei mit den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Rechts­s­taat­lichkeit nicht zu vereinbaren, wie das Bundes­ver­si­che­rungsamt zu Recht angenommen habe.

Taten Markus Wolfs verstoßen gegen Menschlichkeit und Rechts­s­taat­lichkeit

Wolf könne sich auch nicht auf die Verhältnisse des „Kalten Krieges“ berufen. Das Landes­so­zi­al­gericht Berlin-Brandenburg erklärte hierzu wörtlich: „Denn selbst wenn dies zu einer erhöhten „Empfindlichkeit“ der Nachrich­ten­dienste sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik geführt haben mag, so führt dies noch nicht dazu, dass die eingesetzten Mittel rechtlich gleichgesetzt werden könnten. Es entspricht einer allgemein bekannten zeitge­schicht­lichen Tatsache, dass in der DDR selbst keine Möglichkeit bestand, sich gegen eine Maßnahme des MfS effektiv zur Wehr zu setzen und eine ideologisch begründete „Bespitzelung“ aufzudecken oder zu beenden bzw. dann, wenn kein Einverständnis mit den gesell­schaft­lichen Verhältnissen dort bestand, das Land legal zu verlassen“. Auch die Taten, die zu seiner straf­recht­lichen Verurteilung geführt hätten, verstießen gegen die Menschlichkeit und Rechts­s­taat­lichkeit. Das Gericht hierzu wörtlich: „Gegen ihn spricht vor allem, mit welcher Gleich­gül­tigkeit gegenüber dem Schicksal der Opfer er als Stütze und Nutznießer eines von ihm mitgeschaffenen totalitären Apparates für sich das Recht in Anspruch genommen hat, Menschen ihrer Freiheit zu berauben und unter Druck zu setzen, um die Ziele seines Dienstes zu fördern.“

Info:

Erläuterungen
Nach § 1 Entschä­di­gungs­ren­ten­gesetz werden die Ehrenpensionen aufgrund der DDR- „Anordnung über Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus“ vom 20. September 1976 als Entschä­di­gungs­renten weitergezahlt. Gemäß § 5 Abs. 1 Entschä­di­gungs­ren­ten­gesetz sind Entschä­di­gungs­renten unter anderem dann abzuerkennen, wenn der Berechtigte gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechts­s­taat­lichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eignen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat.

Quelle: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg/ra-online

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