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Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil28.07.2011
LSG Berlin-Brandenburg: Keine Entschädigungsrente für Markus WolfAberkennung der „Ehrenpension für Kämpfer gegen den Faschismus“ für ehemaligen Leiter der Hauptverwaltung Aufklärung der Staatssicherheit zulässig
Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass das Bundesversicherungsamt im Januar 2003 Markus Wolf rechtmäßig die Entschädigungsrente nach dem Entschädigungsrentengesetz aberkannt hat.
Markus Wolf leitete von 1953 bis 1986 im Staatssekretariat für Staatssicherheit (SfS) bzw. später im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), zuletzt im Range eines Generaloberst. Die Entschädigungsrente war eine durch den Einigungsvertrag vorgesehene Nachfolgeleistung für die „Ehrenpension für Kämpfer gegen den Faschismus“ nach DDR-Recht, die Wolf seit 1983 neben seiner Altersrente erhielt. Der Prozess betraf nur die Entschädigungsrente für Lebzeiten von Markus Wolf. Seine Witwe hat das Verfahren nach seinem Tod am 9. November 2006 weitergeführt.
Bundesversicherungsamt entzieht im Januar 2003 Entschädigungsrente vollständig
Das beklagte Bundesversicherungsamt hatte 1992 und 1997 erfolglos versucht, Wolf die Entschädigungsrente zu entziehen. Beide Entscheidungen wurden später wegen Rechtsfehlern aufgehoben und führten zu Nachzahlungen an Wolf. Im Januar 2003 hatte das Bundesversicherungsamt dann einen weiteren Bescheid erlassen, mit dem die Entschädigungsrente vollständig entzogen wurde. Wolf habe gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Abgeleitet wurde dies aus seiner Mitwirkung an Sitzungen des Kollegiums des MfS im Jahre 1966, in denen über „Vorlagen über Maßnahmen zur operativen Sicherung der Staatsgrenze“ und „Vorlagen über politischoperative Maßnahmen zur Bekämpfung feindlicher Einflüsse unter Kreisen von Jugendlichen“ beraten und entschieden wurde. Außerdem wurden ihm die Straftaten vorgehalten, die 1997 zu seiner Verurteilung durch das Oberlandesgericht Düsseldorf geführt hatten (u.a. Entführung von Personen nach Ost-Berlin und rechtswidrige Inhaftierung eines DDR-Bürgers, um ihn zu Aussagen gegen Willy Brandt zu bringen).
Nachgewiesene Zustimmung zu umfassender Beobachtung und Bespitzelung Jugendlicher mit Grundsätzen der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit nicht vereinbar
Das Sozialgericht Berlin hat die Klage gegen den Bescheid vom Januar 2003 im März 2005 abgewiesen (S 35 RA 3631/92 W97). Die Berufung hatte keinen Erfolg. Markus Wolfs nachgewiesene Zustimmung zu den Beschlüssen des Kollegiums des MfS über „Vorlagen über politisch-operative Maßnahmen zur Bekämpfung feindlicher Einflüsse unter Kreisen von Jugendlichen“ hätten zu umfassender Beobachtung und Bespitzelung Jugendlicher geführt. Die Jugendlichen seien damit zum bloßen Objekt staatlichen Handelns herabgewürdigt worden. Das sei mit den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit nicht zu vereinbaren, wie das Bundesversicherungsamt zu Recht angenommen habe.
Taten Markus Wolfs verstoßen gegen Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit
Wolf könne sich auch nicht auf die Verhältnisse des „Kalten Krieges“ berufen. Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg erklärte hierzu wörtlich: „Denn selbst wenn dies zu einer erhöhten „Empfindlichkeit“ der Nachrichtendienste sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik geführt haben mag, so führt dies noch nicht dazu, dass die eingesetzten Mittel rechtlich gleichgesetzt werden könnten. Es entspricht einer allgemein bekannten zeitgeschichtlichen Tatsache, dass in der DDR selbst keine Möglichkeit bestand, sich gegen eine Maßnahme des MfS effektiv zur Wehr zu setzen und eine ideologisch begründete „Bespitzelung“ aufzudecken oder zu beenden bzw. dann, wenn kein Einverständnis mit den gesellschaftlichen Verhältnissen dort bestand, das Land legal zu verlassen“. Auch die Taten, die zu seiner strafrechtlichen Verurteilung geführt hätten, verstießen gegen die Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit. Das Gericht hierzu wörtlich: „Gegen ihn spricht vor allem, mit welcher Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Opfer er als Stütze und Nutznießer eines von ihm mitgeschaffenen totalitären Apparates für sich das Recht in Anspruch genommen hat, Menschen ihrer Freiheit zu berauben und unter Druck zu setzen, um die Ziele seines Dienstes zu fördern.“
Info:
Erläuterungen
Nach § 1 Entschädigungsrentengesetz werden die Ehrenpensionen aufgrund der DDR- „Anordnung über Ehrenpensionen für Kämpfer gegen den Faschismus und für Verfolgte des Faschismus“ vom 20. September 1976 als Entschädigungsrenten weitergezahlt. Gemäß § 5 Abs. 1 Entschädigungsrentengesetz sind Entschädigungsrenten unter anderem dann abzuerkennen, wenn der Berechtigte gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eignen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat.© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 15.08.2011
Quelle: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg/ra-online
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