18.10.2024
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Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Urteil22.06.2012

Behandlung von Schizophrenie: Festbetrag für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Paliperidon gekipptBeurtei­lungs­fehler des Gemeinsame Bundes­aus­schusses führen zu Wettbe­wer­bs­ver­fäl­schungen und Verstoß gegen Gleich­be­hand­lungsgebot und Berufsfreiheit

Das Landes­so­zi­al­gericht Berlin-Brandenburg hat die Festbe­trags­fest­set­zungen für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Paliperidon – Medikamente u.a. zur Behandlung der Schizophrenie – aufgehoben. Nach Auffassung des Gerichts leiden die den Festbe­trags­fest­set­zungen zu Grunde liegenden Beschlüsse des Gemeinsamen Bundes­aus­schusses an Beurtei­lungs­fehlern und scheiden daher als rechtmäßige Grundlage der Festbe­trags­fest­set­zungen aus.

Am 18. Juni 2009 beschloss der Gemeinsame Bundesausschuss u. a. die Neubildung einer Festbe­trags­gruppe "Antipsychotika, andere, Gruppe 1" der Stufe II nach § 35 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Sozial­ge­setzbuch 5. Buch (SGB V; "pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Wirkung, insbesondere mit chemisch verwandten Stoffen"), bestehend aus den Wirkstoffen Risperidon und Paliperidon. Die Wirkstoffe haben als gemeinsames Anwen­dungs­gebiet die Behandlung der Schizophrenie. Sie gehören zu den atypischen Antipsychotika. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen beschloss darauf aufbauend am 26. August 2009 mit Wirkung ab 1. November 2009 für diese Festbe­trags­gruppe einen Festbetrag von 50,43 Euro.

Umsatzeinbrüche beim Arzneimittel Invega®

Die Klägerin des zugrunde liegenden Falls, die in Deutschland das Arzneimittel Invega® (Wirkstoff Paliperidon) vertreibt, senkte die Preise nicht auf Festbe­trags­niveau ab. Der von ihr erzielte Umsatz brach ein. Sie erhob Klage vor dem Landes­so­zi­al­gericht Berlin-Brandenburg in Potsdam. Im Verlauf des Klageverfahrens änderte der Gemeinsame Bundesausschuss den Gruppen­bil­dungs­be­schluss zweimal ab. Der Spitzenverband hat mit Beschluss vom 9. Mai 2012 die konkrete Festbe­trags­fest­setzung mit Wirkung ab 1. Juli 2012 angepasst.

LSG hebt Festbe­trags­fest­set­zungen auf

Das Landes­so­zi­al­gericht gab der Klage statt und hob die Festbe­trags­fest­set­zungen für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Paliperidon auf.

LSG rügt Beurtei­lungs­fehler der zu Grunde liegenden Beschlüsse des Gemeinsamen Bundes­aus­schusses

Zur Begründung führte das Gericht aus, die den Festbe­trags­fest­set­zungen zu Grunde liegenden Beschlüsse des beigeladenen Gemeinsamen Bundesausschuss litten an Beurtei­lungs­fehlern und schieden deshalb als rechtmäßige Grundlage der Festbe­trags­fest­set­zungen aus. Da dadurch der Wettbewerb zwischen den Arznei­mit­tel­her­stellern verfälscht werde, verletzten die Festbe­trags­fest­set­zungen die Klägerin in ihrem Teilhaberecht aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (Gleich­be­hand­lungsgebot) in Verbindung mit Art. 12 Grundgesetz (Berufsfreiheit).

Paliperidon nicht mehr nur zur Behandlung der Schizophrenie zugelassen

Konkret habe der Gemeinsame Bundesausschuss nicht - wie vom Gesetz gefordert - nachvollziehbar dargelegt, dass die Festbe­trags­grup­pen­bildung keine notwendigen Therapien einschränke. Er habe nämlich nicht ausreichend beachtet, dass Paliperidon nicht mehr nur zur Behandlung der Schizophrenie, sondern auch zur Behandlung psychotischer oder manischer Symptome bei schizoaf­fektiven Störungen zugelassen sei. Ferner sei nicht nachvollziehbar, dass der Gemeinsame Bundesausschuss dem Wirkstoff Paliperidon im Vergleich zu Risperidon relevante Vorteile bei der Behandlung von Patienten mit Nieren­funk­ti­o­ns­s­tö­rungen abgesprochen habe.

Hinter­grun­d­in­for­mation:

Erläuterungen
Das Landes­so­zi­al­gericht Berlin-Brandenburg ist für die Klage erstinstanzlich zuständig aufgrund einer Spezi­a­l­vor­schrift im Sozial­ge­richts­gesetz (SGG), § 29 Abs. 4 SGG.

Die Rechtmäßigkeit von Festbeträgen für Arzneimittel hat das Landes­so­zi­al­gericht Berlin-Brandenburg wiederholt beschäftigt: Ebenfalls der 1. Senat hat mit Beschluss vom 6. Dezember 2011 den Festbetrag für das Antidepressivum Escitalopram vorläufig ausgesetzt. Mit Urteilen vom 16. Dezember 2009 und 24. Februar 2010 hat der 9. Senat den Festbetrag für den Choles­te­r­in­senker Sortis® für rechtmäßig erklärt, inzwischen vom Bundes­so­zi­al­gericht mit Urteil vom 1. März 2011 bestätigt.

Quelle: Landessozialgericht Berlin-Brandenburg/ra-online

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