23.11.2024
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Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil29.07.2013

Einwirkung auf die Psyche bei Überfall kann Anforderungen eines Arbeitsunfalls erfüllenAnerkennung einer Posttrau­ma­tischen Belas­tungs­störung als Folge eines Arbeitsunfalls setzt Gesundheits-Erst­schaden durch unmittelbare Einwirkung auf Psyche voraus

Wird ein Arbeitnehmer bei seiner Tätigkeit in einer Tankstelle von zwei maskierten Tätern mit der Waffe bedroht, ohne körperliche Berührung durch die Täter, hat trotz des Fehlens eines handgreiflichen Übergriffs und einer unmittelbaren Einwirkung auf den Körper durch die Bedrohung mit der Waffe eine Einwirkung auf die Psyche stattgefunden, die grundsätzlich auch ohne eine physische Verletzung entstehen kann. Durch das entstandene Angstgefühl des Arbeitnehmers vor der durch die Täter mitgeführten Waffe, sein Erschrecken über deren Verhalten, sein Gefühl des Ausge­lie­fertseins und die Erinnerung an vorangegangene Überfälle können die Anforderungen eines Arbeitsunfalls erfüllt sein. Dies entschied das Sozialgericht Stuttgart. Einen durch diese Einwirkungen entstandenen Gesundheits-Erst­schaden in Form einer Posttrau­ma­tischen Belas­tungs­störung konnte das Sozialgericht jedoch nicht feststellen.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der 1961 geborene Kläger wurde am 13. Februar 2011 gegen 23.10 Uhr (Schichtbeginn 23.00 Uhr) bei seiner Tätigkeit als Kassierer in einer Tankstelle von zwei maskierten Personen überfallen und mit einer Waffe bedroht. Der Kläger flüchtete aus dem Verkaufsraum und schloss sich in einem nahen Lagerraum ein. Noch bevor die Täter die Tankstelle verließen, verständigte der Kläger von dort telefonisch die Polizei. Als die Täter die Tankstelle verlassen hatten, ging er vom Lagerraum in die Garage, öffnete das Garagentor und traf auf zwei Zeugen des Überfalls, die sich zuvor hinter der Tankstelle aufgehalten hatten und nach seinem Befinden schauen wollten. Nach Eintreffen der Polizei schilderte der Kläger den Sachverhalt und führte die aufnehmenden Beamten durch die Räumlichkeiten. Nach Ende seiner Vernehmung um 00.15 Uhr arbeitete der Kläger bis Schichtende (7 Uhr) weiter. Auch am folgenden Tag arbeitete der Kläger von 23 bis 7 Uhr.

Kläger wurde bereits vor dem Überfall psychiatrisch behandelt

Bereits vor dem streit­ge­gen­ständ­lichen Überfall wurde der Kläger vom 26. Oktober 2010 an psychiatrisch in der Psychiatrischen Insti­tut­s­am­bulanz eines Univer­si­täts­kli­nikums wegen einer mittelschweren bis schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome, wobei die ausgeprägten Ängste initial als Begleit­sym­ptomatik der Depression eingeordnet wurden, und einer nebenbefundlich festgestellten Tabak­ab­hän­gigkeit, bis 23. Dezember 2010 behandelt. Nach dem Überfall erfolgte eine erneute Behandlung erstmals wieder am 7. März 2011mit insgesamt elf Konsultationen bis 9. August 2011 (Diagnosen: mittelschwere bis schwere depressive Episode, ausgeprägte Ängste, Diffe­ren­zi­a­l­diagnose im Rahmen einer Posttrau­ma­tischen Belas­tungs­störungs-Symptomatik, Diffe­ren­zi­a­l­diagnose Agoraphobie mit Panikstörung, Tabak­ab­hän­gigkeit).

Feststellbarer Gesund­heits­erst­schaden in Form einer Posttrau­ma­tischen Belas­tungs­störung nicht erwiesen

Das Sozialgericht Stuttgart hat die auf Feststellung einer Posttrau­ma­tischen Belas­tungs­störung als Folge eines Arbeitsunfalls gerichtete Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass ein erforderlicher Gesundheits-Erstschaden grundsätzlich jeder regelwidrige körperliche, geistige oder seelische Zustand sei, der unmittelbar durch die (von außen kommende, zeitlich begrenzte) Einwirkung rechtlich wesentlich verursacht worden sei, wobei die Einwirkung selbst rechtlich wesentlich durch die Verrichtung der versicherten Tätigkeit verursacht worden sein müsse. Dabei entspreche der den Gesund­heits­erst­schaden begründende regelwidrige psychische Zustand nach herrschender Meinung dem allgemeinen Krank­heits­begriff. Ein für das Gericht feststellbarer Gesund­heits­erst­schaden, etwa in Form einer Posttrau­ma­tischen Belas­tungs­störung, sei jedoch nicht, was erforderlich sei, erwiesen. Nach dem Vortrag des Klägers sowie den Schilderungen in den staats­an­walt­schaft­lichen Ermitt­lungsakten werde vom Kläger kein somatischer Gesund­heits­schaden angegeben, ebenso scheide eine unmittelbar verursachte psychische Gesund­heits­s­törung aus, da sich der Kläger, der bereits vor dem Überfall wegen einer mittelschweren bis schweren depressiven Episode bis 23. Dezember 2010 behandelt worden sei, erst am 7. März 2011 wieder in psychiatrische Behandlung begeben habe. So habe der Kläger sich nach den Schilderungen der vernehmenden Polizeibeamten rational und abgeklärt verhalten, er habe noch in Anwesenheit der Täter im Verkaufsraum der Tankstelle aus dem Lagerraum, in den er geflohen sei, die Polizei alarmiert. Nachdem die Täter die Tankstelle verlassen hätten, sei er nach draußen gegangen und habe dort die Zeugen des Überfalls gesprochen und auf die Polizei gewartet. Nach deren Eintreffen habe er den Beamten die Räume der Tankstelle gezeigt und nach seiner Vernehmung gegen 00.15 Uhr seine Arbeit bis Schichtende um 7 Uhr fortgesetzt. Auch am folgenden Tag habe er normal weiter­ge­ar­beitet. Bei diesem Ablauf lägen weder die Voraussetzungen einer nachgewiesenen Posttrau­ma­tischen Belas­tungs­störung noch einer akuten Belas­tungs­re­aktion (ICD-10 F43., vorübergehende Störungen, die sich beim psychisch nicht manifest gestörten Menschen als Reaktion auf eine außer­ge­wöhnliche physische oder psychische Belastung entwickelt und im Allgemeinen innerhalb von Stunden oder Tagen abklingen) vor.

Quelle: Sozialgericht Stuttgart/ra-online

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