18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen die Silhouette einer Person, welche an einer Wand mit vielen kleinen Bildern vorbeigeht.

Dokument-Nr. 34463

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Landgericht Karlsruhe Urteil09.10.2024

Foto von "Gruppe Reuß"-Angeklagten durfte nicht veröffentlichet werdenUnterlassungs­anspruch wegen Beein­träch­tigung des allgemeinen Persönlichkeits­rechts

Das Landgericht Karlsruhe hat entschieden, dass die Veröf­fent­lichung eines unverpixelten Fotos des Klägers durch die Beklagte unter den konkreten Umständen des Einzelfalls rechtswidrig war und künftig zu unterlassen ist.

Der Kläger ist einer der Angeklagten im Strafprozess um die „Gruppe Reuß“ vor dem OLG Stuttgart. Er befindet sich seit seiner Festnahme am 07.12.2022 in Unter­su­chungshaft. Die Beklagte, die unter anderem einen Fernsehsender betreibt, zeigte in ihrer bundesweit ausgestrahlten Nachrich­ten­sendung „Das Nachtjournal“ vom 30.04.2024 ein Foto des Klägers im Rahmen ihrer Berichterstattung über den Prozessauftakt vor dem OLG Stuttgart am Vortag. Das Foto, in dessen Veröf­fent­lichung der Kläger nicht eingewilligt hatte, wurde von der Polizei gefertigt, es stammt aus der Ermittlungsakte des General­bun­des­anwalts. Gegen den hiergegen erwirkten Eilbeschluss des Landgerichts vom 05.06.2024 ist die Beklagte vorgegangen.

LG bejahrt Unter­las­sungs­an­spruch

Das Landgericht hat nunmehr nach mündlicher Verhandlung erneut in der Sache entschieden.. Danach kann der Kläger von der Beklagten die Unterlassung der Ausstrahlung seines Fotos verlangen. Die Veröf­fent­lichung des Bildes einer Person begründet grundsätzlich eine recht­fer­ti­gungs­be­dürftige Beschränkung ihres allgemeinen Persön­lich­keits­rechts. Eine entsprechende Rechtfertigung liegt hier nicht vor. Dies ergibt sich aus einer Abwägung zwischen der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK) einerseits, dem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht und dem Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung (Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) andererseits unter Berück­sich­tigung der in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zu § 23 KunstUrhG.

Leitend waren für das Gericht dabei insbesondere folgende Erwägungen: Medien dürfen zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht grundsätzlich auf eine anonymisierte Berich­t­er­stattung verwiesen werden. Verfehlungen – auch konkreter Personen – aufzuzeigen, gehört zu den legitimen Aufgaben der Medien. Straftaten gehören zum Zeitgeschehen, deren Vermittlung Aufgabe der Medien ist. Die Beein­träch­tigung von Rechtsgütern der von der Tat Betroffenen und die Verletzung der Rechtsordnung, die Sympathie mit Opfern und ihren Angehörigen, die Furcht vor Wiederholungen und das Bestreben, dem vorzubeugen, begründen ein anzuerkennendes Interesse an näherer Information über Tat und Täter. Dieses wird umso stärker sein, je mehr sich die Straftat durch ihre besondere Begehungsweise oder die Schwere ihrer Folgen von der gewöhnlichen Kriminalität abhebt. Bei Straftaten besteht häufig ein legitimes Interesse insbesondere auch an der Bildbe­rich­t­er­stattung über einen Angeklagten, weil sie oft durch die Persönlichkeit des Täters geprägt sind und Bilder prägnant und unmittelbar über die Person des Täters informieren können.

Stigma­ti­sie­rungs­gefahr vor Schuldspruch

Eine den Angeklagten identi­fi­zierende Berich­t­er­stattung beeinträchtigt andererseits zwangsläufig dessen Recht auf Schutz seiner Persönlichkeit sowie das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung, weil sie sein mögliches Fehlverhalten öffentlich bekannt macht und seine Person in den Augen der Adressaten negativ qualifiziert. Die bis zur rechtskräftigen Verurteilung zu Gunsten des Angeklagten sprechende Unschulds­ver­mutung (Art. 20 GG – Ausprägung des Rechts­s­taats­prinzips, Art. 6 Abs. 2 EMRK) gebietet eine entsprechende Zurückhaltung, mindestens aber eine ausgewogene Berich­t­er­stattung. Außerdem ist eine mögliche Prangerwirkung zu berücksichtigen, die durch eine identi­fi­zierende Medien­be­rich­t­er­stattung bewirkt werden kann. Dabei ist zu beachten, dass auch eine um Sachlichkeit und Objektivität bemühte Fernseh­be­rich­t­er­stattung in der Regel einen weitaus stärkeren Eingriff in das Persön­lich­keitsrecht darstellt als eine Wort- und Schrift­be­rich­t­er­stattung in Hörfunk und Presse.

Die besondere Schwere einer angeklagten Tat und ihre als besonders verwerflich empfundene Begehungsweise können im Einzelfall nicht nur ein gesteigertes Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Öffentlichkeit, sondern auch die Gefahr begründen, dass der Angeklagte eine Stigmatisierung erfährt, die ein Freispruch möglicherweise nicht mehr zu beseitigen vermag. Es besteht die Gefahr, dass die Öffentlichkeit die Einleitung eines Ermitt­lungs­ver­fahrens oder Durchführung eines Strafverfahrens mit dem Nachweis der Schuld gleichsetzt und deshalb im Fall einer späteren Einstellung des Verfahrens oder eines Freispruchs vom Schuldvorwurf „etwas hängenbleibt“. Bis zu einem erstin­sta­nz­lichen Schuldspruch wird daher oftmals das Gewicht des Persön­lich­keits­rechts gegenüber der Freiheit der Berich­t­er­stattung überwiegen.

Quelle: Landgericht Karlsruhe, ra-online (pm/ab)

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