15.11.2024
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Landgericht Hamburg Urteil18.04.2008

"Contergan-Film" - Landgericht Hamburg weist vier Haupt­sa­che­klagen abPharmafirma Grünenthal verliert Prozess

Der im November 2007 erstmals in der ARD ausgestrahlte Film "Eine einzige Tablette" kann weiterhin in seiner vorliegenden Fassung gezeigt werden. Dies entschied das Landgericht Hamburg. Der Film bereitet den Verlauf des Skandals um das von der Pharmafirma Grünenthal 1957 auf den Markt gebrachte Schlafmittel Contergan auf.

Die Pressekammer des Landgerichts Hamburg hat in den Haupt­sa­che­ver­fahren zu dem Film "Eine einzige Tablette" zwei Klagen der Firma Grünenthal GmbH und zwei Klagen von Schulte-Hillen gegen die Firma Film + TV Produktion GmbH bzw. den WDR als unbegründet abgewiesen (AZ: 324 O 281/06, 324 O 282/06, 324 O 906/06 und 324 O 907/06). Die Kläger begehrten das Verbot diverser Szenen des Films bzw. des zugrun­de­lie­genden Drehbuchs.

Die Kammer hat erklärt, sie wolle in dem mittlerweile eingetretenen Verfah­rens­stadium der Sichtweise, die das Hanseatische Oberlan­des­gericht in den vorangegangenen Verfü­gungs­ver­fahren vertreten habe, nicht mehr entgegentreten. Dabei sei in die Gesamtabwägung zum einen einzubeziehen gewesen, dass insbesondere durch die strafbewehrte Verpflichtung der Beklagten zur Ausstrahlung eines Vor- und Nachspanns der fiktive Gehalt des Films deutlicher hervorgehoben worden sei, so dass in der Rechts­gü­ter­ab­wägung dem Persön­lich­keits­schutz der Klägerseite geringeres Gewicht zukomme. Zum anderen sei zu berücksichtigen gewesen, dass die Beklagten hinsichtlich solcher Drehbuchszenen, die von der Kammer als besonders schwerwiegende Verletzungen des Persön­lich­keits­rechts der Klägerseite angesehen worden seien, mittlerweile freiwillig Unter­las­sungs­er­klä­rungen abgegeben bzw. auf eine filmische Umsetzung dieser Szenen verzichtet hätten.

Vorausgegangene Einstweilige Verfü­gungs­ver­fahren

Den vier Klagen in der Hauptsache waren folgende Entscheidungen im Einstweiligen Verfü­gungs­ver­fahren vorausgegangen:

Landgericht Hamburg

Die Pressekammer hatte auf der Grundlage des Drehbuchs zum Film durch Urteile vom 28.7.2006 die einstweiligen Verfügungen zugunsten des Antragstellers Schulte-Hillen vollen Umfangs (324 O 62/06 und 324 O 63/06) und zugunsten der Antragstellerin Grünenthal im Wesentlichen (324 O14/06 und 324 O 15/06) bestätigt (siehe ausführlich: LG Hamburg, Urteil v. 28.07.2006 - 324 O 14/06, 324 O 15/06, 324 O 62/06, 324 O 63/06 -).

Insoweit habe sich bei der Abwägung der kollidierenden Grundrechte das Persön­lich­keitsrecht der Antragsteller gegenüber der Kunstfreiheit, auf die sich die Antragsgegner hätten berufen können, durchgesetzt, so die Kammer in der Begründung. Bei der Frage danach, ob der dokumentarische oder der fiktionale Charakter des Films im Vordergrund stehe, habe die Kammer der Entscheidung zugrundegelegt, dass in den Augen des Zuschauers im Hinblick auf die Antragsteller das dokumentarische Element deutlich überwiege. Eine ausreichende Verfremdung der aus der Wirklichkeit entlehnten Vorgänge lasse sich nicht feststellen, so dass das Publikum zwischen Wahrheit und Erdichtetem nicht unterscheiden könne. Dabei orientiere sich der Film in zahlreichen Details so nah am realen Vorbild der Antragsteller, dass diese nur verhältnismäßig geringfügige Abweichungen zwischen dem tatsächlichen und dem im Film dargestellten Geschehen hinnehmen müssten. Gewichtigere Abweichungen sowie Eingriffe in besonders geschützte Bereiche der Persönlichkeit müssten die Antragsteller dagegen nicht dulden.

Hanseatisches Oberlan­des­gericht

Der Pressesenat (7. Zivilsenat) des Hanseatischen Oberlan­des­ge­richts hatte als zweite Instanz durch Urteile vom 10.4.2007 die Urteile des Landgerichts Hamburg weitgehend abgeändert (siehe ausführlich: Hanseatisches Oberlan­des­gericht, Urteil v. 10.04.2007 - 7 U 141/06, 7 U 142/06, 7 U 143/06, 7 U 144/06 -).

Firma Grünenthal GmbH

Der Senat hatte in den Verfahren der Firma Grünenthal GmbH gegen die Zeitsprung Film + TV Produktion GmbH bzw. den WDR (AZ 7 U 141/06 und 7 U 143/06) die einstweiligen Verfügungen des Landgerichts Hamburg mit Ausnahme weniger Filmpassagen aufgehoben. Dabei war allerdings zu berücksichtigen, dass diese einstweiligen Verfügungen zu einer Zeit erging, als der Film noch nicht vorlag und dass einige der Szenen, die ursprünglich im Drehbuch vorhanden waren und verboten wurden, nicht oder verändert in den Film übernommen worden sind. Insofern hat sich die Firma Grünenthal GmbH im Ergebnis in größerem Umfang durchgesetzt, als dies den Anschein hatte.

Der Senat hatte bei seiner Abwägung insbesondere berücksichtigt, dass es sich bei dem Spielfilm um ein Kunstwerk handelt, welches nicht den Anspruch erhebt, in allen Details die damaligen Ereignisse dokumentarisch abzubilden. Das der Grünenthal GmbH zustehende Recht der Unter­neh­mens­per­sön­lichkeit sei zudem hier von relativ geringem Gewicht, da die dargestellten Ereignisse bereits rund 40 Jahre zurücklägen und kein Mitglied der Firmenleitung aus der damaligen Zeit noch für das Unternehmen tätig sei. Daher komme ein Verbot nur dort in Betracht, wo das Unternehmen besonders schwerwiegend in seinem Unter­neh­mens­per­sön­lich­keitsrecht verletzt werde.

Der Film enthalte in der jetzigen Fassung Szenen, in denen dem Unternehmen zu Unrecht im Zuge der damaligen Ausein­an­der­setzung - insbesondere mit dem Anwalt der Geschädigten - infame und skrupellose Methoden unterstellt werden. Diese Darstellung sei geeignet, die Firma Grünenthal GmbH auch heute noch schwer in ihrem Ansehen zu schädigen. Dies müsse sie nicht hinnehmen. Der Senat hat daher das Verbot hinsichtlich dieser Szenen aufrecht­er­halten. Eine vergleichbare schwere Persön­lich­keits­rechts­ver­letzung enthielten die übrigen angegriffenen Passagen des Films nicht.

Schulte-Hillen

In den Verfahren Schulte-Hillen gegen Zeitsprung bzw. WDR (AZ 7 U 142/06 und 7 U 144/06) hat der Senat das Verbot des Landgerichts Hamburg insgesamt aufgehoben. Auch hier sei darauf hinzuweisen, dass das ursprüngliche Drehbuch weitere Szenen mit unwahren Aussagen enthalten habe, die auf das landge­richtliche Verbot hin nicht in den Film übernommen worden seien. Insoweit habe auch Herr Schulte-Hillen mit seinem Anliegen im Ergebnis zum Teil obsiegt.

Der Senat gehe davon aus, dass für einen gewissen Kreis Herr Schulte-Hillen als Urbild der Filmfigur Paul Wegener erkennbar sei, wobei aber bereits durch die andere Benennung der Filmfigur, aber auch durch eine Vielzahl anderer Abweichungen deutlich werde, dass es sich bei Paul Wegener um eine eigenständige Figur und nicht um ein Abbild Schulte-Hillens handeln solle. Insofern sei er vergleichbar mit einer Romanfigur.

Da der Zuschauer trotz der Nennung des Namens des Medikaments Contergan und seines Herstellers nicht erwarte, dass - noch dazu nach Ablauf von rund 40 Jahren - die damaligen Gespräche und Handlungen gleichsam dokumentarisch wiedergegeben werden, führe nicht schon jede Abweichung von der damaligen Realität zu einem Unter­las­sungs­an­spruch. Unter Berück­sich­tigung der verfas­sungsmäßig garantierten Freiheit der Kunst könne vielmehr nur eine schwere Persön­lich­keits­rechts­ver­letzung zu einem Verbot führen.

Eine solche schwere Verzerrung des Persön­lich­keits­bildes des Antragstellers enthalte der Film nach Ansicht des Senats nicht. Die beanstandeten Szenen würden ohnehin überwiegend vom Zuschauer nicht als realitätsgetreu wahrgenommen und enthielten zudem keine Aussagen, die Herrn Schulte-Hillen (über die Figur des Paul Wegener) schwer herabzusetzen könnten.

Quelle: ra-online

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