21.11.2024
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Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein Urteil24.11.2022

Kündigung wegen Vorlage einer aus dem Internet herun­ter­ge­ladenen Impf­unfähigkeits­bescheinigungUneinheitliche Rechtsprechung des Landes­arbeits­gerichts Schleswig-Holstein

Die Vorlage einer aus dem Internet ausgedruckten ärztlichen "Bescheinigung über die vorläufige Impfunfähigkeit" durch einen Arbeitnehmer kann die fristlose Kündigung eines langjährigen Arbeits­verhältnisses im Einzelfall rechtfertigen. Das hat die vierte Kammer des Landes­arbeits­gerichts Schleswig-Holstein entschieden. Die fünfte Kammer ist dagegen der Auffassung, dass die Vorlage der aus dem Internet herun­ter­ge­ladenen vorläufigen Impf­unfähigkeits­bescheinigung schon keinen "an sich" geeigneten Grund für eine außer­or­dentliche Kündigung darstellt. In beiden Fällen wurde Revision eingelegt.

Die Klägerinnen sind bei der beklagten Klinik seit 1988 bzw. 2001 als Pflege­as­sis­tentin bzw. Kranken­schwester beschäftigt und tariflich ordentlich unkündbar. Die Arbeitgeberin wollte die einrich­tungs­be­zogene Impfpflicht umsetzen und wies ihre Mitar­bei­te­rinnen und Mitarbeiter an, den Impf- bzw. Genesenenstatus nachzuweisen oder ein ärztliches Impfun­fä­hig­keits­zeugnis vorzulegen. Die Klägerinnen haben daraufhin jeweils ein Schriftstück vorgelegt, das eine sechsmonatige vorläufige Impfunfähigkeit bescheinigt und die Unterschrift einer Ärztin aus Süddeutschland ausweist. Die Bescheinigung wurde aus dem Internet ausgedruckt. Eine - sei es digitale - Besprechung mit der Ärztin fand nicht statt. Die Beklagte hat das Gesundheitsamt über die Vorgänge informiert und außerdem den Klägerinnen im Januar 2022 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. August 2022/31. Juli 2022 gekündigt. In ihren Kündi­gungs­schutz­klagen führen die Klägerinnen u.a. aus, dass die Vorlage einer solchen Bescheinigung nicht zu beanstanden sei und § 20 a IFSG* weitere arbeits­rechtliche Maßnahmen der Arbeitgeberin gegenüber ihren Beschäftigten ausschlösse. Allein das Gesundheitsamt könne in dieser Situation handeln und eine ärztliche Untersuchung der betroffenen Mitarbeiterin veranlassen.

Beide LAG-Kammern bejahen Verletzung arbeits­ver­trag­licher Nebenpflicht

Beide Entscheidungen des Landes­a­r­beits­ge­richts halten zunächst fest, dass § 20 a IFSG in der zum Zeitpunkt des Kündi­gungs­zugangs geltenden Fassung arbeits­rechtliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Vorlage unrichtiger Impfun­fä­hig­keits­be­schei­ni­gungen nicht sperrt. § 20 a IFSG regelt in Abs. 5 die Handlungs­mög­lich­keiten des Gesundheitsamts, nicht aber die des Arbeitgebers. Nach beiden Entscheidungen verstößt eine im Krankenhaus arbeitende Arbeitnehmerin mit der Vorlage einer aus dem Internet herun­ter­ge­ladenen Bescheinigung über eine Corona-Impfun­ver­träg­lichkeit, die weder auf einer ärztlichen Untersuchung noch wenigstens auf einer individuellen ärztlichen Anamnese beruht, gegen eine gesetzlich geregelte Nebenpflicht aus ihrem Arbeitsvertrag. Die Kammern bewerten allerdings die Schwere dieses Pflich­ten­ver­stoßes unterschiedlich.

Vierte Kammer: Vertrau­ens­ver­hältnis gravierend gestört - vorherige Abmahnung nicht erforderlich

Die vierte Kammer argumentiert, dass mit der vorgelegten Impfunfähigkeitsbescheinigung bewusst ein falscher Eindruck erweckt werden sollte, und zwar das bezogen auf "diesen Patienten" dessen individuelle Situation aufgrund ärztlicher Einschätzung nach individueller Kontaktierung bewertet wurde mit dem Ergebnis einer zeitlich begrenzten Impfunfähigkeit. Der Versuch der Klägerin, ihre gesetzlichen Nebenpflicht zur Vorlage einer Impfun­fä­hig­keits­be­schei­nigung zu umgehen, wirkt sich besonders belastend auf das Arbeits­ver­hältnis und gravierend auf das Vertrau­ens­ver­hältnis aus. Im Rahmen der Inter­es­se­n­ab­wägung im Einzelfall ist von entscheidender Bedeutung, dass die Klägerin ihre individuellen Vorbehalte gegen eine Impfung hätte direkt gegenüber der Beklagten äußern können und müssen. Die Verwendung der aus dem Internet herun­ter­ge­ladenen Bescheinigung stellt sich als unrechtmäßiges Mittel dar, um sich vorübergehend der Verpflichtung nach § 20 a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 IFSG zu entziehen. Diese Vorschrift sichert ein überragendes Gut, die öffentliche Gesundheit. Ein Arbeitgeber muss sich in diesem Zusammenhang nicht auf eine vorherige Abmahnung verweisen lassen. Schließlich ergeben sich im konkreten Fall auch keine individuellen gesund­heit­lichen Anhaltspunkte, aufgrund derer die Klägerin - möglicherweise auch durch Erkrankungen in der Vergangenheit begründet - befürchten muss, an Impfnebenfolgen leiden zu müssen.

Fünfte Kammer: Keine schwerwiegende Neben­pflicht­ver­letzung - Abmahnung erforderlich

Die fünfte Kammer des Landes­a­r­beits­ge­richts hält dagegen die Vorlage der "Fake-Impfun­fä­hig­keits­be­schei­nigung" für keine schwerwiegende, für eine fristlose Kündigung an sich geeignete Neben­pflicht­ver­letzung. Eine solche ergibt sich auch nicht aus einem zu Lasten des Arbeitgebers begangenen Betrugsversuch. Es fehlt an einem Vermö­gens­schaden und im Übrigen am Vorsatz der Klägerin, die an ihre Impfunfähigkeit glaubte. Auch die versuchte Täuschung, das vorgelegte Attest sei aufgrund einer ärztlichen Untersuchung erstellt worden, reicht nicht aus. Das vorgelegte Schreiben bescheinigt keine diagnostizierte Impfunfähigkeit, sondern enthält nur die allgemeine Meinung­s­äu­ßerung einer Ärztin. Es ist als Impfun­fä­hig­keits­be­schei­nigung offensichtlich untauglich. Im Übrigen hätte es vor Ausspruch einer Kündigung jedenfalls einer Abmahnung bedurft. Die Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig.

Quelle: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, ra-online (pm/ab)

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