23.11.2024
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Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz Urteil16.12.2010

"Ich mache die ganze Scheiße nicht mehr mit" rechtfertigt keine fristlose KündigungWer tatsächlich krank ist, darf auch androhen, nicht mehr zu arbeiten

Ein Lkw-Fahrer, der sich nach Überschreitung der gesetzlich zulässigen Höchst­a­r­beitszeit für Kraftfahrer weigert, eine weitere Ladung zu fahren, kann nicht wegen beharrlicher Arbeits­ver­wei­gerung fristlos gekündigt werden. Auch seine ausfällige Kritik an den Arbeits­be­din­gungen ("Ich mache die ganze Scheiße nicht mehr mit") rechtfertigt für sich genommen noch keine fristlose Kündigung. Gleiches gilt, wenn der Fahrer, der trotz Erkrankung bislang gearbeitet hatte, plötzlich die Weiterarbeit aufgrund seiner Krankheit verweigert. Dies entschied das Landes­a­r­beits­gericht Rheinland-Pfalz.

Der Entscheidung lag der Fall eines angestellten Lkw-Fahrers zugrunde. Dieser hatte nach Überschreitung der zulässigen Lkw-Lenkzeit von seinem Arbeitgeber den Auftrag bekommen, eine weitere Fuhre zu übernehmen. Dies lehnte er in aus Sicht des Arbeitgebers unangemessenem Tonfall ab. Er sagte, er fahre garantiert nicht mehr. Nach einem sich anschließenden Wortwechsel sagte er: "Ich mache die ganze Scheiße nicht mehr mit, ich gehe jetzt zum Arzt und lasse mich krankschreiben. Vor drei Wochen habe ich mir bei der Arbeit den Fuß verletzt." Daraufhin legte er den Lkw-Schlüssel auf den Tisch ging nach Hause. Gegen die folgende fristlose Kündigung wehrte sich der Fahrer gerichtlich. Vor dem Arbeitsgericht sowie dem Landes­a­r­beits­gericht Mainz bekam er in der 1. und 2. Instanz Recht.

Auf den Kontext kommt es an: "Scheiße" ist nicht immer eine persönlich diffamierende Schmähung

Das Landes­a­r­beits­gericht begründete das Berufungsurteil damit, dass der Arbeitgeber die fristlose Kündigung nicht darauf stützen könne, dass der Fahrer im Verlauf der verbalen Ausein­an­der­setzung Fäkalworte benutzt habe. Die Benutzung des Wortes "Scheiße" habe nach den tatsächlichen Umständen nicht als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden können. Es handele sich erkennbar nicht um eine Herabwürdigung des Arbeitgebers bzw. seiner Mitarbeiter, sondern um eine - ausfällige - Kritik an den Arbeitsbedingungen.

Verweigerung der Weiterfahrt wegen Überschreitung gesetzlicher Lenkzeiten ist keine Arbeits­ver­wei­gerung

Die fristlose Kündigung sei auch nicht wegen beharrlicher Arbeits­ver­wei­gerung gerechtfertigt. Denn der Fahrer habe die Arbeit keineswegs rechtswidrig verweigert, wenn er das angeordnete Fahrtziel nur unter Überschreitung der gesetzlichen Arbeitszeit hätte erreichen können. Maßgeblich seien die komplexen Arbeits­zeit­vor­schriften für Kraftfahrer im Straßen­gü­ter­verkehr über Lenkzeiten, Fahrt­un­ter­bre­chungen und Ruhezeiten. Diese liegen bei täglich höchstens 9 Stunden. Der Arbeitgeber habe nicht mittels Fahrtenbuch nachweisen können, dass die zulässige Höchstzeit unterschritten worden wäre.

Arbeitnehmer dürfen ihren Chef nicht mit Androhung einer Krankschreibung erpressen

Auch scheide als Kündigungsgrund aus, dass der Fahrer eine Erkrankung nur vorgeschoben habe, um die Fahrt nicht mehr durchführen zu müssen. Nach der Rechtsprechung des Bundes­a­r­beits­ge­richts sei es zwar so, dass die Androhung, sich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu verschaffen, um dem Arbeitgeber durch diese Androhung eine bestimmte gewünschte Vergünstigung abzupressen, einen wichtigen Grund zur außer­or­dent­lichen Kündigung darstelle. Erkläre der Arbeitnehmer, er werde krank, wenn der Arbeitgeber einem bestimmten Begehren nicht nachgebe, obwohl er im Zeitpunkt der Ankündigung nicht krank war und sich auch nicht krank fühlen konnte, so sei ein solches Verhalten ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Erkrankung an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außer­or­dent­lichen Kündigung abzugeben.

Wer aber bereits tatsächlich krank ist, darf die Weiterarbeit verweigern

Dagegen sei der krank­heits­bedingt arbeitsunfähige Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet und der Arbeitgeber nicht berechtigt, diese zu verlangen. Dies gelte auch, wenn der Arbeitnehmer bislang trotz bestehender Erkrankung und insofern überob­li­ga­torisch gearbeitet haben sollte. Sei der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Androhung eines künftigen, krank­heits­be­dingten Fehlens bereits objektiv erkrankt und habe er davon ausgehen dürfen, auch weiterhin arbeitsunfähig zu sein, könne nicht mehr angenommen werden, dass fehlender Arbeitswille und nicht bestehende Arbeitsunfähigkeit der Grund für das spätere Fehlen sei. Dies sei vorliegend der Fall, da der Fahrer ausweislich seines ärztlichen Attests zum fraglichen Zeitpunkt krank gewesen sei.

Außer­or­dentliche Kündigung unwirksam - ordentliche Kündigung wirksam

Das Gericht kam deshalb zu dem Schluss, dass die außer­or­dentliche (fristlose) Kündigung unwirksam sei. Am Ende saß der Arbeitgeber aber doch am längeren Hebel: Da in dem Betrieb weniger als 10 Arbeitnehmer beschäftigt waren, bestätigten die Richter die Wirksamkeit der ebenfalls ausgesprochenen ordentlichen Kündigung unter Wahrung der gesetzlichen Kündigungsfrist. Dieser konnte der Lkw-Fahrer nichts entgegensetzen, da das Kündi­gungs­schutz­gesetz in solchen Kleinbetrieben nicht anwendbar ist.

Quelle: ra-online, Landesarbeitsgericht Mainz (vt/we)

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