15.11.2024
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Hessisches Landessozialgericht Urteil21.02.2017

Harnblasenkrebs eines Chemi­e­fach­werkers ist als Berufskrankheit anzuerkennenBerufs­genossenschaft zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet

Berufs­krank­heiten sind - ebenso wie Arbeitsunfälle - Versi­che­rungsfälle der gesetzlichen Unfall­ver­si­cherung. Das Hessische Landes­so­zi­al­gericht entschied, dass eine durch das aromatische Amin p-Chloranilin verursachte Krebserkrankung der Harnwege als eine solche Berufskrankheit anzusehen ist.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein 1951 geborener Mann aus dem Wetteraukreis war über Jahrzehnte als Chemi­e­fach­werker tätig. Hierbei war er unter anderem p-Chloranilin (einem aromatischen Amin) ausgesetzt. Im Jahre 2006 wurde bei ihm Harnblasenkrebs diagnostiziert.

Berufs­ge­nos­sen­schaft verweigert Anerkennung der Erkrankung als Berufskrankheit

Die Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung der Berufskrankheit Nr. 1301 mit der Begründung ab, dass die krebserzeugende Wirkung von p-Chloranilin lediglich in Tier versuchen, nicht jedoch in epide­mi­o­lo­gischen Studien bei exponierten Menschen nachgewiesen sei. Auch sei eine ausreichende Intensität der Einwirkung nicht nachgewiesen.

Kontakt mit p-Chloranilin hat mit hinreichender Wahrschein­lichkeit Krebserkrankung ausgelöst

Nach umfangreichen Ermittlungen verurteilte das Hessische Landes­so­zi­al­gericht die Berufs­ge­nos­sen­schaft zur Anerkennung einer Berufskrankheit Nr. 1301 sowie zur Zahlung einer Verletztenrente. Es sei nachgewiesen, dass der Chemi­e­fach­werker über viele Jahre regelmäßigen Kontakt über die Haut und die Atemwege mit dem Gefahrstoff p-Chloranilin bei seiner beruflichen Tätigkeit hatte. Dies habe mit hinreichender Wahrschein­lichkeit seine Krebserkrankung verursacht.

Gefahrstoff der Kategorie 2 steht Anerkennung als Berufskrankheit nicht entgegen

Einer Anerkennung einer Berufskrankheit stehe nicht entgegen, dass es sich bei p-Chloranilin um einen Gefahrstoff der Kategorie 2, nicht aber der Kategorie 1 der MAK-Werte-Liste handele. Ein entsprechendes Sachver­stän­di­gen­gut­achten habe ergeben, dass die Mehrzahl krebs­er­zeu­gender aromatischer Amine nur deshalb nicht in die Kategorie 1 eingestuft werde, weil entsprechende Studien zum Nachweis der Wirkung auf Menschen nicht hätten durchgeführt werden können bzw. durchgeführt worden seien.

Mindes­t­ex­po­si­ti­o­nsmenge des Gefahrstoffs für Ursachen­zu­sam­menhang nicht erforderlich

Um von einem Ursachen­zu­sam­menhang in Bezug auf die Krebserkrankung ausgehen zu können, sei auch keine Mindes­t­ex­po­si­ti­o­nsmenge des Gefahrstoffs p-Chloranilin erforderlich, da es insoweit derzeit keinen wissen­schaft­lichen Konsens gebe. Für den Ursachen­zu­sam­menhang spreche zudem, dass der Kläger bereits im Alter von 55 Jahren an Harnblasenkrebs erkrankt sei, obgleich das mittlere Erkran­kung­salter für Männer bei 72 Jahren liege. Zudem lägen außerberufliche Risiken nicht vor, da insbesondere der Kläger nicht geraucht habe und in seiner Familie Harnblasenkrebs nicht gehäuft vorkomme.

Hinweise zur Sach- und Rechtslage

Erläuterungen

§ 7 Sozial­ge­setzbuch Siebtes Buch (SGB VII)

(1) Versi­che­rungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufs­krank­heiten.

§ 9 SGB VII

(1) Berufs­krank­heiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechts­ver­ordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufs­krank­heiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versi­che­rungs­schutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechts­ver­ordnung solche Krankheiten als Berufs­krank­heiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; [...]

§ 1 Berufs­krank­heiten-Verordnung (BKV)

Berufs­krank­heiten sind die in der Anlage 1 bezeichneten Krankheiten [...].

Anlage 1 zur BKV

Nr. 1301: Schleim­haut­ver­än­de­rungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine

MAK-Werte

Die MAK-Werte der Deutschen Forschungs­ge­sell­schaft sind die maximalen Arbeitsplatz-Konzentrationen, die angeben, welche maximal zulässige Menge eines Stoffes in der Luft am Arbeitsplatz langfristig keinen Gesund­heits­schaden verursacht. Arbeitsstoffe, die sich beim Menschen oder im Tierversuch als krebserzeugend erwiesen haben, werden in die Kategorie 1 oder 2 eingestuft und erhalten keinen MAK-Wert.

Kategorie 1

Stoffe, die beim Menschen Krebs erzeugen und bei denen davon auszugehen ist, dass sie einen nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko leisten. Epide­mi­o­lo­gische Untersuchungen geben hinreichende Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen einer Exposition bei Menschen und dem Auftreten von Krebs. Andernfalls können epide­mi­o­lo­gische Daten durch Informationen zum Wirkungs­me­cha­nismus beim Menschen gestützt werden.

Kategorie 2

Stoffe, die als krebserzeugend für den Menschen anzusehen sind, weil durch hinreichende Ergebnisse aus Langzeit-Tierversuchen oder Hinweisen aus Tierversuchen und epide­mi­o­lo­gischen Untersuchungen davon auszugehen ist, dass sie einen nennenswerten Beitrag zum Krebsrisiko leisten. Andernfalls können Daten aus Tierversuchen durch Informationen zum Wirkungs­me­cha­nismus und aus In-vitro- und Kurzzeit-Tierversuchen gestützt werden.

Quelle: Hessisches Landessozialgericht/ra-online

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