18.10.2024
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Dokument-Nr. 3676

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Hessischer Verwaltungsgerichtshof Urteil18.01.2007

Mitgliedschaft in der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V." kein Grund für Rücknahme einer EinbürgerungMitgliedschaft musste nicht in der Loyali­täts­er­klärung angegeben werden

Eine Einbürgerung kann nur zurückgenommen werden, wenn sie durch eine arglistige Täuschung oder ein vergleichbares Verhalten erschlichen worden ist. Wenn der Einzubürgernde in der Loyali­täts­er­klärung nicht auf seine Verein­s­tä­tigkeit in der Organisation "Islamische Gemeinschaft Milli Görös e.V." hinweist, stellt dies keinen ausreichenden Grund für eine Rücknahme der Einbürgerung dar. Das geht aus Urteilen des Hessischen Verwal­tungs­ge­richtshofs hervor.

Der Hessische Verwal­tungs­ge­richtshof hat durch Urteile vom heutigen Tag in vier Fällen Entscheidungen des Regie­rungs­prä­sidiums Gießen aufgehoben, durch die Einbürgerungen zurückgenommen worden sind. Die vier Kläger sind in den Jahren 2002 und 2003 jeweils gemeinsam mit weiteren Famili­en­mit­gliedern von dem Regie­rungs­prä­sidium Gießen in den deutschen Staatsverband eingebürgert worden. Zuvor hatten sie sich in einer sog. Loyalitätserklärung zu der verfas­sungs­mäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland bekannt. Ihre frühere türkische Staats­an­ge­hö­rigkeit haben die Kläger zwischen­zeitlich aufgegeben.

In den Jahren 2003 und 2004 hat das Regie­rungs­prä­sidium davon Kenntnis erhalten, dass die Kläger Vorstands­mit­glieder in örtlichen Vereinen sind oder waren, die der Organisation "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." ( IGMG ) angehören. Die IGMG tritt nach Ansicht des Hessischen Landesamtes für Verfas­sungs­schutz zwar nach außen für kulturelle und integrative Ziele ein, weise aber innere Strukturen auf, mit denen eine Durchsetzung eines autoritären islamistischen Gottesstaates angestrebt werde. Daraufhin hat das Regie­rungs­prä­sidium die Einbürgerungen im Wesentlichen mit der Begründung zurückgenommen, die Kläger hätten bei Abgabe der Loyali­täts­er­klärung auf ihre Verein­s­tä­tigkeit hinweisen müssen. Die gegen die Rücknahmen erhobenen Anfech­tungs­klagen blieben in erster Instanz ohne Erfolg. Auf die Berufung der Kläger hat der 11. Senat des Hessischen Verwal­tungs­ge­richtshofs die ver-waltungs­ge­richt­lichen Entscheidungen abgeändert und die Rücknah­me­be­scheide des Regie-rungspräsidiums Gießen aufgehoben. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Möglichkeit der Rücknahme einer rechtswidrigen Entscheidung sei bei Einbürgerungen erheblich eingeschränkt. Nach Art. 16 des Grundgesetzes dürfe ein Verlust der deutschen Staats­an­ge­hö­rigkeit gegen den Willen des Betroffenen nur eintreten, wenn er dadurch nicht staatenlos wird. Dieses Grundrecht lasse eine Rücknahme der Einbürgerung nur zu, wenn sie durch arglistige Täuschung oder ein vergleichbares Verhalten erschlichen worden sei. Ein solcher Vorwurf könne gegenüber den Klägern jedoch nicht erhoben werden. Selbst wenn die IGMG als verfas­sungs­feindliche Organisation anzusehen sei, was das Gericht offen gelassen hat, wäre diese Einschätzung nicht so deutlich zu erkennen gewesen, dass für die Kläger bei der Abgabe der Loyali­täts­er­klärung Anlass bestanden hätte, auf ihre Verein­s­tä­tigkeit hinzuweisen. Nach Auffassung des Gerichts habe sich eine solche Parallelwertung den Klägern aus deren Sicht bei Abgabe ihrer Loyali­täts­er­klä­rungen nicht aufdrängen müssen.

Siehe auch:

Rücknahme einer durch Täuschung erwirkten Einbürgerung ist rechtens

Rücknahme einer erschlichenen Einbürgerung möglich

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 2/2007

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