21.11.2024
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Gericht der Europäischen Union Urteil13.07.2018

Schadenersatz in Höhe von 10.000 Euro für Mobbing-OpferMitarbeiter des Europäischen Parlaments und der EIB haben Anspruch auf Schadensersatz

Das Europäische Parlament und die EIB müssen jeweils Schadensersatz in Höhe von 10.000 Euro an Bedienstete zahlen, die Opfer von Mobbing geworden sind. In diesem Zusammenhang wird der Umfang der gerichtlichen Überprüfung im Bereich von Mobbing und die Pflicht der Organe, bei erwiesenem Mobbing Diszi­pli­na­r­ver­fahren einzuleiten, präzisiert. Dies hat das Gericht der Europäischen Union entschieden.

In der vorliegenden Rechtssache T-275/17stellte eine ehemalige Europa­ab­ge­ordnete für die verbleibende Dauer ihres im Mai 2014 auslaufenden Mandats eine parla­men­ta­rische Assistentin ein. Am 7. November 2013 beantragte die Europa­ab­ge­ordnete beim Europäischen Parlament, den Vertrag aufzulösen. Zur Begründung führte sie u.a. aus, dass ihre Assistentin, ohne um Erlaubnis hierfür gebeten zu haben, entschieden habe, eine ganze Woche lang nicht zur Arbeit zu erscheinen. Die Europa­ab­ge­ordnete gab in ihrem Antrag an, dass ihre Assistentin sie, als sie sie darauf angesprochen habe, beschimpft habe und anschließend verschwunden sei.

Antrag auf Beistand wegen Mobbing

Im Anschluss an die Auflösung des Vertrags durch das Parlament im Dezember 2013 stellte die Assistentin einen Antrag auf Beistand - wie im Statut der Beamten der EU vorgesehen - ,weil sie Opfer von Mobbing seitens der Europa­ab­ge­ordneten gewesen sei, das in Erniedrigungen, Drohungen, Gering­schät­zungen, Beschimpfungen und im Anschreien bestanden habe.

Parlament: Rauer Umgangston bedauerlich, aber unter stressigen Arbeits­be­din­gungen unvermeidbar

Das Parlament wies diesen Antrag ab, da es der Auffassung war, dass sich die streitigen Ereignisse im Kontext von erheblichen Spannungen zwischen den beiden Frauen zugetragen hätten. Die Verwendung eines solchen rauen Umgangstons sei zwar für sich genommen bedauernswert, gleichzeitig sei es aber mitunter schwierig gewesen, im Kontext der stressreichen Arbeits­be­din­gungen, wie sie den parla­men­ta­rischen Tätigkeiten eigen seien, die Verwendung eines solchen Umgangstons zu vermeiden.

Referentin begehrt Feststellung: Umstruk­tu­rierung der Dienststelle durch den neuen Direktors der EIB sei Mobbing

In der Rechtssache T-377/17 stellte die Europäische Inves­ti­ti­o­nsbank (EIB) am 1. April 2008 eine Referentin ein. Im Anschluss an die Ankunft eines neuen Direktors im Oktober 2014 wurde die Dienststelle, in der die Referentin tätig war, umstrukturiert, und das Team, für das sie verantwortlich war, blieb nicht bestehen. Zwei Jahre später reichte die Referentin bei der EIB eine Beschwerde ein, mit der sie die Feststellung begehrte, dass die Verhal­tens­weisen des neuen Direktors ihr gegenüber ein Mobbing begründeten. Im Wesentlichen warf die Referentin dem neuen Direktor vor, ihre Karriere zu einem abrupten Ende gebracht zu haben, indem er sie ohne sachlichen Grund von einer Leitungs­funktion entfernt habe, sie angeschwärzt zu haben, sich unangemessen, aggressiv, geringschätzig und anschuldigend geäußert zu haben, bestimmte Informationen zurückgehalten zu haben, ihr kein Feedback über ihre beruflichen Leistungen gegeben und sie gegenüber anderen Personen benachteiligt zu haben.

EIB gibt Referentin nur in einigen von ihr benannten Punkten Recht

Die EIB gab der Referentin nur im Zusammenhang mit einigen der behaupteten Tatsachen Recht, dass sie ein Opfer von Mobbing gewesen sei. Sie teilte dem neuen Direktor daraufhin mit, dass sie im Fall einer erneuten begründeten Beschwerde gegen ihn ein Diszi­pli­na­r­ver­fahren gegen ihn einleiten werde. Ferner forderte die EIB den neuen Direktor dazu auf, sich förmlich bei der Referentin für das ihr zugefügte Leid zu entschuldigen, und beauftragte auch die für Personalfragen zuständige Dienststelle, die Möglichkeiten für ein berufliches Coaching des neuen Direktors in Bezug auf seinen Führungs- und Kommu­ni­ka­ti­o­nsstil zu prüfen. Schließlich wies die EIB die Referentin darauf hin, dass das Verfahren - auch in ihrem Umfeld - streng vertraulich bleiben müsse.

Beide Beschäftigten fordern Entschei­dungs­auf­hebung und Schadensersatz

Da die beiden Beschäftigten mit den Entscheidungen des Europäischen Parlaments bzw. der EIB unzufrieden waren, wandten sie sich an das Gericht der Europäischen Union, um deren Aufhebung zu erwirken und um Schadensersatz einzufordern.

Gericht der EU bejaht Schaden­s­er­satz­an­spruch

Das Gericht der Europäischen Union bejaht, dass die beiden in Rede stehenden Beschäftigten Opfer von Mobbing waren, und verurteilt das Parlament und die EIB, ihnen jeweils Schadensersatz in Höhe von 10.000 Euro zu zahlen.

Mobbing setzt u.a. vorsätzlich wiederholte oder andauernde Handlungen voraus

Das Gericht ruft zunächst in Erinnerung, dass der Begriff des Mobbings ein ungebührliches Verhalten umfasst, das über einen längeren Zeitraum, wiederholt oder systematisch in Verhal­tens­weisen, mündlichen oder schriftlichen Äußerungen, Handlungen oder Gesten zum Ausdruck kommt, so dass unter Mobbing ein Vorgang zu verstehen ist, der notwen­di­gerweise eine gewisse Zeitspanne umfasst und wiederholte oder andauernde Handlungen voraussetzt, die vorsätzlich und nicht zufällig sind. Darüber hinaus müssen diese Verhal­tens­weisen, mündlichen oder schriftlichen Äußerungen, Handlungen oder Gesten die Persönlichkeit, die Würde oder die physische oder psychische Integrität einer Person angreifen (T-275/17). Das Gericht hat hierzu klargestellt, dass es in diesem Bereich nicht beabsichtigt, sich auf die Überprüfung zu beschränken, ob ein offen­sicht­licher Fehler bei der Beurteilung des Sachverhalts vorliegt. Vielmehr ist es seine Aufgabe, im Hinblick auf die beiden oben genannten Voraussetzungen eine vollständige Überprüfung des Sachverhalts vorzunehmen.

T-275/17: Missbräuch­liches und unwürdiges Verhalten der Abgeordneten durch Zeugen bekräftigt

Was die Rechtssache T-275/17angeht, weist das Gericht zunächst darauf hin, dass die Europa­ab­ge­ordneten ungeachtet ihres Status als Mitglieder eines Organs verpflichtet sind, die Würde und die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu wahren, und stellt sodann fest, dass die von der parla­men­ta­rischen Assistentin behaupteten Tatsachen durch Zeugen bekräftigt werden und dass ihr Wahrheitsgehalt letztlich weder vom Parlament noch von der Europa­ab­ge­ordneten in Frage gestellt wird. Der Inhalt und vor allem das besonders niedrige Niveau der Äußerungen der Europa­ab­ge­ordneten gegenüber ihrer Assistentin stellen eine Herabwürdigung sowohl der Person der Assistentin als auch ihrer Arbeit dar. Das Verhalten der Europa­ab­ge­ordneten ist somit offenbar missbräuchlich und kann in keiner Weise als eine einem Mitglied eines Unionsorgans würdige Haltung angesehen werden.

Verhaltensweise der Europa­ab­ge­ordneten nicht mit spannungs­ge­ladener Atmosphäre entschuldbar

Die Missbräuch­lichkeit der streitigen Verhal­tens­weisen der Europa­ab­ge­ordneten kann auch nicht mit der Nähe der Beziehung zwischen ihr und ihrer Assistentin oder der spannungs­ge­ladenen Atmosphäre, die im Team der für die Europa­ab­ge­ordnete tätigen parla­men­ta­rischen Assistenten geherrscht haben soll, entschuldigt werden. Daraus folgt, dass das Parlament, indem es der Auffassung war, dass das Verhalten der Europa­ab­ge­ordneten nicht missbräuchlich gewesen sei, einen - noch dazu offen­sicht­lichen - Fehler bei der Beurteilung der Tatsachen im Hinblick auf die Definition von "Mobbing" begangen hat.

Unangemessen lange Dauer der Antrags­be­a­r­beitung rechtfertigt Schadenersatz

Hinsichtlich der Entschädigung weist das Gericht darauf hin, dass ein Opfer von Mobbing innerhalb eines Unionsorgans eine Schaden­s­er­satz­for­derung gegen den Mobber bei einem nationalen Gericht geltend machen muss, wobei die Klage gegebenenfalls von dem Organ, das Arbeitgeber des Opfers ist, im Rahmen der Beistands­pflicht finanziell unterstützt werden kann. Somit spricht das Gericht der parla­men­ta­rischen Assistentin nur wegen der unangemessen langen Dauer bei der Behandlung ihres Antrags auf Beistand (einschließlich der Durchführung der Verwal­tungs­un­ter­suchung) Schadensersatz in Höhe von 10.000 Euro zu.

T-377/17: Jeweilige Verhaltensweise des Direktors durch EIB erneut zu prüfen

Was die Rechtssache T-377/17 angeht, stellt das Gericht zunächst fest, dass die EIB einen Rechtsfehler begangen hat, indem sie für das Vorliegen von "Mobbing" gefordert hat, dass eine Verhaltensweise, unabhängig von der kumulativen Wirkung der anderen behaupteten Verhal­tens­weisen auf das Selbst­wert­gefühl dessen, gegen den sie gerichtet sind, in der gleichen Weise wiederholt werden müsse. Die EIB hat nämlich nicht geprüft, ob jede dem neuen Direktor zur Last gelegte Verhaltensweise in Verbindung mit den anderen objektiv eine Beein­träch­tigung des Selbst­wert­gefühls und des Selbst­ver­trauens der Referentin nach sich ziehen konnte. Was die Verhal­tens­weisen angeht, die aus Sicht der EIB kein Mobbing begründen, stellt das Gericht somit fest, dass die EIB die jeweiligen Verhal­tens­weisen des neuen Direktors einer erneuten Prüfung unterziehen muss, um zu ermitteln, ob sie insgesamt ein Mobbing begründen.

Diszi­pli­n­a­r­maß­nahmen bei erneutem Verstoß innerhalb von drei Jahren unzureichende und ungeeignete Maßnahmen

Das Gericht erklärt ferner, dass die EIB, indem sie festgestellt hat, dass Diszi­pli­n­a­r­maß­nahmen gegen den neuen Direktor nur bei wiederholtem Verstoß innerhalb von drei Jahren eingeleitet würden, angesichts der Schwere des Falles unzureichende und ungeeignete Maßnahmen erlassen hat, zumindest in Bezug auf das unmittelbare Vorgehen gegen die von ihr als Mobbing eingestuften Verhal­tens­weisen. Zum einen wäre eine solche Sanktion für ein erwiesenes Mobbing­ver­halten nämlich von der Feststellung eines neuen vorwerfbaren Verhaltens abhängig, obwohl diese Feststellung gegebenenfalls von der zufälligen Entscheidung des neuen Opfers, eine Beschwerde aufgrund der Politik zur Würde am Arbeitsplatz einzureichen, abhängen würde. Zum anderen stünde diese Sanktion angesichts der jedem Mobbing­ver­halten anhaftenden Schwere nicht im Einklang mit den Zielen der auf die EIB anwendbaren Vorschriften im Bereich der Würde am Arbeitsplatz.

Auferlegte Schweigepflicht nicht rechtens und begründet Schaden­s­er­satz­an­spruch

Schließlich ist das Gericht der Auffassung, dass die EIB ihre Entscheidung und das Entschul­di­gungs­schreiben des neuen Direktors nicht mit einem Maß an Vertraulichkeit verbinden hätte dürfen, das dazu führte, der Referentin zu verbieten, Dritten das Vorliegen dieser Dokumente sowie deren Inhalt preiszugeben: Ein einem Mobbing-Opfer auferlegtes Gebot, über das Vorliegen solcher Tatsachen zu schweigen, würde dazu führen, dass der Betroffene die vom betreffenden Organ getroffenen Feststellungen nicht verwenden könnte, und zwar insbesondere nicht im Rahmen eines möglicherweise bei einem nationalen Gericht eingeleiteten Verfahrens gegen die Person, von der er gemobbt wurde. Eine solche Auslegung würde zudem mit dem Ziel kollidieren, jedes Mobbing innerhalb der Unionsorgane zu verhindern und zu sanktionieren, wo doch Mobbing eine Missachtung von Grundrechten des Arbeitnehmers begründet. Aufgrund dieser dem Opfer von der EIB zu Unrecht auferlegten Schweigepflicht spricht das Gericht der Referentin Schadensersatz in Höhe von 10.000 Euro zu.

Quelle: Gericht der Europäischen Union/ ra-online

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