23.11.2024
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Dokument-Nr. 33523

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Beschluss23.11.2023Finanzgericht Rheinland-Pfalz4 V 1295/23 und 4 V 1429/23
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Finanzgericht Rheinland-Pfalz Beschluss23.11.2023

FG gibt Eilanträgen zur Grund­stücks­bewertung nach dem neuen Grundsteuer- und Bewertungsrecht stattErstes Finanzgericht hält Grundsteuer für verfas­sungs­widrig

Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz hat in zwei Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes zu den Bewer­tungs­regeln des neuen Grundsteuer- und Bewer­tungs­rechts entschieden, dass die Vollziehung der dort angegriffenen Grund­steuerwert­bescheide wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit auszusetzen ist.

Dem ersten Streitfall lag eine Grund­steu­er­wert­fest­stellung für ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 72 Quadratmetern zugrunde. Nach dem Vortrag der Antragstellerin sei das Haus im Jahr 1880 errichtet, seit Jahrzehnten unrenoviert und noch mit einer Einfach­ver­glasung der Fenster versehen. Daher sei der gesetzlich normierte Mietwert pro Quadratmeter überhöht. Der Bodenrichtwert für das 351 Quadratmeter große Grundstück war durch den zuständigen Gutach­ter­aus­schuss mit 125 Euro pro Quadratmeter ermittelt worden. Das Finanzamt wandte dennoch den gesetzlich normierten Mietwert an und stellte den Grundsteuerwert für die gesamte Immobilie zum Stichtag 1. Januar 2022 auf 91.600 Euro fest. Im zweite Streitfall betraf eine Grund­steu­er­wert­fest­stellung für ein Einfamilienhaus mit einer Wohnfläche von 178 Quadratmetern zugrunde, das im Jahr 1977 bezugsfertig errichtet wurde. Der Bodenrichtwert für das 1.053 Quadratmeter große Grundstück war durch den zuständigen Gutach­ter­aus­schuss mit 300 Euro pro Quadratmeter ermittelt worden. Nach dem Vortrag der Antragsteller könne dieser Bodenwert jedoch nur mit einem Abschlag von 30 % angewandt werden, weil ihr Grundstück aufgrund einer Bebauung in zweiter Reihe, der Grund­s­tück­s­er­schließung nur durch einen Privatweg und wegen einer besonderen Hanglage nur eingeschränkt nutzbar sei. Das Finanzamt berücksichtigte den Bodenrichtwert gleichwohl ohne Abschlag und stellte den Grundsteuerwert für die gesamte Immobilie zum Stichtag 1. Januar 2022 auf 318.800 Euro fest.

Steuer­pflichtige müssen Abweichung vom typisierten Grundsteuerwert nachweisen können

Nach den Regelungen des Bewer­tungs­ge­setzes im sog. Bundesmodell der Grundsteuer, das in Rheinland-Pfalz und zehn weiteren Bundesländern Anwendung findet, wird die Bemes­sungs­grundlage für die Grundsteuer, die ab dem 1. Januar 2025 von den Gemeinden erhoben werden wird, ganz wesentlich durch die Feststellung des Grund­steu­erwerts auf den 1. Januar 2022 vorbestimmt. Diese Feststellung erfolgt durch eigenständige, sog. Grund­la­gen­be­scheide des Finanzamts, sodass Einwände gegen die Höhe der Bemes­sungs­grundlage der künftig erhobenen Grundsteuer insofern nur gegen diese Grund­steu­er­wert­be­scheide vorgebracht werden können. Das FG setzte die Vollziehung des gegenüber den Antragstellern ergangenen jeweiligen Grund­steu­er­wert­be­scheids aus, weil nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel sowohl an der einfach­recht­lichen Rechtmäßigkeit der einzelnen Bescheide als auch an der Verfassungsmäßigkeit der zugrun­de­lie­genden Bewer­tungs­regeln bestünden. Hierdurch konnten Steuer­pflichtige erstmals vor einem Finanzgericht mit ihren Einwänden gegen die Bewertung nach dem sog. Bundesmodell durchdringen. Die einfach­recht­lichen Zweifel des FG betrafen vor allem Zweifel daran, dass die entscheidend in die Bewertung eingeflossenen Bodenrichtwerte rechtmäßig zustande gekommen seien. Hierbei hat der Senat zum einen ernstliche Bedenken bezüglich der gesetzlich geforderten Unabhängigkeit der rheinland-pfälzischen Gutach­ter­aus­schüsse geäußert, weil nach der rheinland-pfälzischen Gutach­ter­aus­schuss­ver­ordnung Einfluss­nah­memög­lich­keiten nicht ausgeschlossen werden könnten. Hinzu traten ernstliche Bedenken des Senats bezüglich der für die Ermittlung der Bodenrichtwerte notwendigen Datengrundlage, weil in den zur Ableitung der Bodenrichtwerte geführten Kaufpreis­samm­lungen der Gutach­ter­aus­schüsse in erheblichem Umfang Datenlücken zu befürchten seien, die zu erheblichen Verzerrungen bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte führen könnten. Zudem sah es das FG aus Rechtsgründen als geboten an, dass Steuer­pflichtige - im Einzelfall und unter bestimmten Bedingungen - die Möglichkeit haben müssten, einen unter dem typisierten Grundsteuerwert liegenden Wert ihres Grundstücks nachweisen zu können.

Zweifel an der Verfas­sungs­mä­ßigkeit

Zweifel an der Verfas­sungs­mä­ßigkeit der gesetzlichen Bewer­tungs­re­ge­lungen hatte das FG im Hinblick auf eine Verletzung des allgemeinen Gleich­heits­satzes nach Art. 3 Abs. 1 GG, der für das Bewertungsrecht ein Gebot der realitäts- und relati­o­ns­ge­rechten Grundstücksbewertung begründe. So sei bereits nicht eindeutig, was der genaue Belastungsgrund der Grundsteuer sein solle und wie daher überprüft werden könne, ob die durch das Bewer­tungs­system erreichten Bewer­tungs­er­gebnisse "relati­o­ns­ge­reicht" seien, also tatsächlich bestehende Wertun­ter­schiede angemessen abbilden könnten. Zudem hatte das FG ernstliche Zweifel daran, dass die Regelungen des Bewer­tungs­ge­setzes überhaupt geeignet seien, eine realitäts- und relati­o­ns­ge­rechte Grund­s­tücks­be­wertung zu erreichen. So führe insbesondere die große Zahl gesetzlicher Typisierungen und Pauscha­lie­rungen und eine nahezu vollständige Vernach­läs­sigung aller individuellen Umstände der konkret bewerteten Grundstücke zu der Einschätzung des FG, dass es zu Wertver­zer­rungen für den gesamten Kernbereich der Grund­steu­er­wer­t­er­mittlung kommen könne. Die gewählte Regelungs­technik bewirke eine gleich­heits­widrige Nivellierung der Grund­s­tücks­be­wertung mit systematischen Unter­be­wer­tungen hochwertiger Immobilien und systematischen Überbewertungen für solche Immobilien, die sich in weniger begehrten Lagen bzw. in schlechterem baulichen Zustand befinden oder deren Ausstat­tungs­merkmale weniger hochwertig sind. Die Regelungen führten zudem in erheblichem Umfang zu Wertver­schie­bungen, sodass insgesamt nicht mehr von einer gleich­heits­ge­rechten Bewertung ausgegangen werden könne. Außerdem erkannte das FG ein gleich­heits­widriges Vollzugsdefizit bei der Ermittlung der Bodenrichtwerte, weil diese Werte häufig aus der Aufteilung von Gesamt­kauf­preisen in einen Gebäude- und einen Bodenanteil ermittelt würden, ohne dass den Gutach­ter­aus­schüssen effektive Instrumente zur Sachver­halt­s­er­mittlung sowie zur Verifikation der Angaben von Grund­s­tücks­ei­gen­tümern zur Verfügung stünden.

Stärkung der Rechts­schutz­mög­lich­keiten

In verfah­rens­recht­licher Hinsicht stärkte das FG die gerichtlichen Recht­schutz­mög­lich­keiten für Steuer­pflichtige, indem es - entgegen der Auffassung des Finanzamts, das für den Rechtschutz bezüglich der Bodenrichtwerte die Verwal­tungs­ge­richte als zuständig ansah - von einer umfassenden Eröffnung des Finanz­rechtswegs ausgeht. Dies vermeidet für Steuer­pflichtige eine zweifache Rechts­ver­folgung in verschiedenen Gerichtszweigen. Die Entscheidungen des FG betreffen zwei Einzelfälle, über die zudem erst im einstweiligen Rechtsschutz entschieden wurde. Die Aussetzung der Vollziehung der ergangenen Grund­steu­er­wert­be­scheide hat zwar zur Folge, dass auch die Vollziehung der in den Streitfällen künftig auf den 1. Januar 2025 zu erlassenden Grund­steu­er­be­scheide von Gesetzes wegen ausgesetzt wird. Damit ist jedoch noch keine Aufhebung der angegriffenen Bescheide und erst Recht nicht eine abschließende Entscheidung über die Verfas­sungs­mä­ßigkeit der zugrun­de­lie­genden Bewer­tungs­regeln verbunden. Das FG hat insbesondere wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfragen die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: Finanzgericht Rheinland-Pfalz, ra-online (pm/ab)

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