18.10.2024
18.10.2024  
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Finanzgericht Münster Urteil14.06.2024

Kein zwingender Verspä­tungs­zu­schlag bei verspäteter Abgabe der Steuererklärung und einer Steue­r­er­stattungZu den Anforderungen an die Ermes­sens­ausübung bei der Festsetzung eines Verspä­tungs­zu­schlags nach § 152 Abs. 1 AO n.F. in Erstat­tungs­fällen

Im Rahmen des Erschlie­ßungs­er­messens zur Festsetzung eines Verspä­tungs­zu­schlags nach § 152 Abs. 1 AO n.F. kann unter anderem von Bedeutung sein, ob sich aus der Veranlagung eine Nullfestsetzung, Nachzahlung oder Steue­r­er­stattung ergibt. Dies hat das Finanzgericht Münster entschieden.

Die am 29. März 2023 durch die Steuerberaterin des Klägers eingereichte Einkom­men­steu­e­r­er­klärung 2020 führte aufgrund der Anrechnung der vom Arbeitgeber abgeführten Lohnsteuer zu einer Einkom­men­steu­e­r­er­stattung. Im Rahmen des Veran­la­gungs­ver­fahrens setzte das Finanzamt einen Verspätungszuschlag in Höhe von 175 € fest, da die Steuererklärung erst nach Ablauf der Abgabefrist (31. August 2022) abgegeben worden sei. Mit seinem hiergegen eingelegten Einspruch machte der Kläger u.a. geltend, dass er seine Steuererklärung erstmalig und letztmalig geringfügig verspätet abgegeben und die Veranlagung zu einer Erstattung geführt habe.

Finanzamt wies den Einspruch zurück

Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück. Nach § 152 Abs. 1 AO könne ein Verspä­tungs­zu­schlag festgesetzt werden. Von der Festsetzung sei abzusehen, wenn die Verspätung entschuldbar sei. Vorliegend sei die verspätete Abgabe - wie in einer früheren Einspruch­s­ent­scheidung zur Ablehnung eines vom Kläger ebenfalls gestellten Antrags auf rückwirkende Frist­ver­län­gerung zur Abgabe der Einkom­men­steu­e­r­er­klärung 2020 dargestellt - nicht entschuldbar gewesen. Entsprechend den Vorgaben des § 152 Abs. 5 AO sei daher ein Mindest­ver­spä­tungs­zu­schlag von 25 € für sieben angefangene Monate der Verspätung (= 175 €) festgesetzt worden. Im Rahmen des Klageverfahrens führte das Finanzamt ergänzend aus, dass es nach § 152 Abs. 1 AO n.F. nur auf die verspätete Abgabe und das Verschulden für die Verspätung ankomme. Andere Ermes­sens­kri­terien seien in die Neufassung des Gesetzes nicht aufgenommen worden.

Finanzgericht sieht Ermessensfehler bei Finanzamt

Der 4. Senat hat der Klage stattgegeben und den Bescheid über die Festsetzung eines Verspä­tungs­zu­schlags aufgehoben. Das Finanzamt habe sein Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt.

Im Streitfall habe sich die Festsetzung eines Verspä­tungs­zu­schlags nach der Ermes­sens­vor­schrift des § 152 Abs. 1 AO gerichtet. Es habe kein Fall einer gebundenen Entscheidung nach § 152 Abs. 2 AO vorgelegen, da die Einkom­men­steu­er­fest­setzung zu einer Erstattung geführt habe (§ 152 Abs. 3 Nr. 3 AO). Auch seien die Tatbe­stands­vor­aus­set­zungen des § 152 Abs. 1 Satz 1 AO aufgrund der nicht fristgemäßen Abgabe der Einkom­men­steu­e­r­er­klärung erfüllt, während die Festsetzung nicht nach § 152 Abs. 1 Satz 2 AO ausgeschlossen gewesen sei. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Verspätung entschuldbar gewesen sei.

Auf Rechts­fol­genseite regele § 152 Abs. 1 AO nicht, welche Kriterien bei der Ausübung des Entschlie­ßungs­er­messens zu berücksichtigen seien. Aus der Geset­zes­be­gründung ergebe sich lediglich, dass eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung nach § 5 AO zu treffen sei. Es sei daher umstritten, ob und ggf. welche weiteren Ermes­sens­kri­terien seitens der Finanz­ver­waltung zu berücksichtigen seien.

Nach Auffassung des 4. Senats ergeben sich die maßgeblichen Ermes­sens­kri­terien aus dem allgemeinen Grundsatz, wonach das Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise auszuüben sei. Der Verspä­tungs­zu­schlag diene der Sicherstellung der rechtzeitigen Steuer­fest­setzung und Steue­r­en­t­richtung durch rechtzeitigen Eingang der Steuererklärung als auch dem Ausgleich der aus der verspäteten Abgabe der Steuererklärung gezogenen Vorteile des Steuer­pflichtigen. Folglich müsse die Behörde im Rahmen der Festsetzung eines Verspä­tungs­zu­schlags berück­sich­tigten, welche Folgen sich aus der verspäteten Abgabe für das Veran­la­gungs­ver­fahren und den Steuer­pflichtigen ergeben würden. Insbesondere könne von Bedeutung sein, ob die verspätete Abgabe zu einer Verzögerung des Veran­la­gungs­ver­fahrens geführt und ob sich aus der Veranlagung eine Nullfestsetzung, Nachzahlung oder Erstattung ergeben habe. Da der Gesetzgeber in § 152 Abs. 3 Nr. 2 und 3 AO für Nullfest­set­zungen und Erstat­tungsfälle eine gebundene Festsetzung ausschließe, sei davon auszugehen, dass es sich bei dem Vorliegen einer Nullfestsetzung oder eines Erstat­tungsfalls um ermes­sens­re­levante Kriterien handele und dass in derartigen Fällen - wie nach altem Recht - ein Verspä­tungs­zu­schlag grundsätzlich nur bei erheblicher Frist­über­schreitung oder schwerwiegendem Verschulden gerechtfertigt sei. Für die besondere Bedeutung einer Nullfestsetzung oder eines Erstat­tungsfalls als Ermes­sens­kri­terium spreche zudem, dass § 152 Abs. 5 Satz 2 AO die Festsetzung eines Mindest­ver­spä­tungs­zu­schlags vorsehe, wodurch das Vorliegen eines Erstat­tungsfalls bei der Bemessung des Verspä­tungs­zu­schlags unberück­sichtigt bleiben würde. Aus Gründen der Verhält­nis­mä­ßigkeit seien jedoch die wirtschaft­lichen Folgen im Rahmen des Erschlie­ßungs­er­messens zu berücksichtigen. Auch § 152 Abs. 8 Satz 2 AO sei zu entnehmen, dass der "Höhe der Steuer" Bedeutung zukomme.

Schwere des Pflicht­ver­stoßes des Steuer­pflichtigen zu berücksichtigen

Andererseits sei die Schwere des Pflicht­ver­stoßes des Steuer­pflichtigen und dabei insbesondere die Dauer und Häufigkeit der Frist­über­schreitung ebenfalls mit einzubeziehen. Eine ermes­sens­feh­lerfreie Festsetzung setze daher grundsätzlich voraus, dass die Finanzbehörde alle maßgeblichen Kriterien beachte und gegeneinander abwäge. Demgegenüber könne der Auffassung des Finanzamtes, dass einzig auf das Verschulden des Steuer­pflichtigen abzustellen sei, nicht gefolgt werden. Dieser Auslegung stehe auch nicht entgegen, dass der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 152 AO das Festset­zungs­ver­fahren habe vereinfachen wollen. Denn der Verein­fa­chungszweck werde durch die Regelungen zur gebundenen Festsetzung in § 152 Abs. 2 AO sowie zur ermes­sen­s­u­n­ab­hängigen Berechnung der Höhe des Verspä­tungs­zu­schlags nach § 152 Abs. 5 AO weiterhin erreicht.

Den vorgenannten Grundsätzen habe die Ermes­sen­s­ent­scheidung des Finanzamtes nicht entsprochen, da alleine auf die verspätete Abgabe und das Verschulden des Klägers abgestellt worden sei. Eine Heilung sei nicht in Betracht gekommen, da das Finanzamt erstmals im Klageverfahren Ausführungen zu den anderen Ermes­sen­s­er­wä­gungen angestellt habe.

Quelle: Finanzgericht Münster, ra-online (pm/pt)

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