21.11.2024
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Finanzgericht Münster Urteil24.06.2022

Keine Steuer­hin­ter­ziehung bei Kenntnis des FinanzamtsFür eine verlängerte Festset­zungsfrist bedarf es ein In-Unkenntnis-lassen der Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen

Das Finanzgericht Münster hat entschieden, dass kein objektiver Verkürzungs­tatbestand vorliegt, wenn pflichtwidrig keine Steuererklärung abgegeben wird, dem Finanzamt aber alle erforderlichen Informationen in Form elektronischer Lohn­steuer­bescheinigungen vorliegen.

Die Kläger sind zusam­men­ver­anlagte Eheleute. Da bis einschließlich 2008 lediglich der Ehemann Arbeitslohn bezog, hatte das Finanzamt den Fall als Antrags­ver­an­lagung gespeichert. Ab 2009 erzielte auch die Ehefrau Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit. Der Lohnsteuerabzug erfolgte bei den Klägern nach den Steuerklassen III und V. Die elektronischen Lohnsteu­er­be­schei­ni­gungen wurden im Daten­ver­a­r­bei­tungs­programm des Finanzamts unter der Steuernummer der Kläger erfasst. Da der Fall dennoch weiterhin als Antrags­ver­an­lagung gespeichert war, forderte das Finanzamt die Kläger zunächst nicht zur Abgabe von Einkom­men­steu­e­r­er­klä­rungen auf und die Kläger gaben auch keine Erklärungen ab.

FG ging von verlängerter Festset­zungsfrist wegen vollendeter Steuer­hin­ter­ziehung aus

Nachdem dem Finanzamt aufgefallen war, dass die Voraussetzungen für eine Pflicht­ver­an­lagung vorlagen, erließ es im Jahr 2018 für die Streitjahre 2009 und 2010 Schät­zungs­be­scheide. Hiergegen machten die Kläger geltend, dass Festset­zungs­ver­jährung eingetreten sei. Das Finanzamt ging demgegenüber von einer verlängerten Festset­zungsfrist wegen vollendeter Steuerhinterziehung aus. Die Daten­ver­a­r­bei­tungs­pro­gramme der Finanz­ver­waltung hätten es in den Streitjahren noch nicht ermöglicht, aufgrund der übermittelten Lohnsteu­er­be­schei­ni­gungen auf das Vorliegen einer Pflicht­ver­an­lagung zu schließen. Eine manuelle Überprüfung sei aufgrund der Vielzahl der Fälle tatsächlich unmöglich gewesen. Im Übrigen hätten es die Kläger vorsätzlich unterlassen, Einkom­men­steu­e­r­er­klä­rungen abzugeben.

Informationen lagen dem Finanzamt vor

Das Finanzgericht Münster hat der Klage stattgegeben. Bei Erlass der Bescheide im Jahr 2018 sei für die Streitjahre 2009 und 2010 die reguläre Festset­zungsfrist von vier Jahren abgelaufen gewesen. Die Frist habe sich nicht auf zehn bzw. fünf Jahre verlängert, weil bereits objektiv weder eine Steuer­hin­ter­ziehung noch eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliege. Die Voraussetzung der vorliegend allein in Betracht kommenden Unter­las­sungs­va­riante, dass der Steuer­pflichtige die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lasse, sei nicht gegeben. Die Finanzbehörde könne nur über solche Umstände in Unkenntnis gelassen werden, über die sie nicht bereits informiert sei. Diese Auffassung ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO und sei auch vom Sinn und Zweck des Gesetzes, nämlich der Sicherung des Steuer­auf­kommens, gedeckt. Das Steueraufkommen sei nicht gefährdet, wenn die Finanzbehörden tatsächlich über alle wesentlichen Umstände informiert sind.

Verletzung von Erklä­rungs­pflichten allein nicht ausreichend

Im Streitfall seien die Kläger zwar verpflichtet gewesen, Einkom­men­steu­e­r­er­klä­rungen einzureichen, weil sie Arbeitslohn bezogen haben, der nach den Steuerklassen III und V lohnversteuert wurde. Allein die Verletzung von Erklä­rungs­pflichten reiche aber nicht aus, um den objektiven Verkür­zung­s­tat­bestand zu verwirklichen, denn die Erfüllung von steuerlichen Mitwirkungs- und Erklä­rungs­pflichten sei nicht von § 370 AO geschützt. Dem Finanzamt seien aufgrund der vorliegenden elektronischen Lohnsteu­er­be­schei­ni­gungen, die unter der Steuernummer der Kläger gespeichert waren, vielmehr alle maßgeblichen Umstände bekannt gewesen. Dass es diese Daten aus verwal­tungs­öko­no­mischen Gründen nicht zur Prüfung einer Pflicht­ver­an­lagung herangezogen habe, ändere an dieser Kenntnis nichts. Der Senat hat die Revision zum Bundesfinanzhof zugelassen, da zu der streitigen Frage noch keine höchst­rich­terliche Rechtsprechung vorliege.

Quelle: Finanzgericht Münster, ra-online (pm/ab)

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