La Poste ist das öffentliche Unternehmen, das mit dem Universalpostdienst in Belgien betraut ist; ihre Anteile wurden 2003 zu 100 % vom belgischen Staat gehalten. Die Gemeinwohlaufgaben von La Poste, ihre Tarifierung, die Verhaltensregeln gegenüber den Nutzern und die Subventionen sind in einem mit dem Staat abgeschlossenen "contrat de gestion" (Betreibervertrag) im Einzelnen aufgeführt. Der Betreibervertrag regelt außerdem den Ausgleich der Nettomehrkosten der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (gemeinwirtschaftliche Dienstleistungen). 2003 hatte La Poste im Bereich Expresspakete einen Marktanteil von 18 %. 35 % bis 45 % dieses Marktes entfielen auf die Deutsche Post-Gruppe (Deutsche Post AG und ihre belgische Tochtergesellschaft DHL International SA).
Mit Schreiben vom 3. Dezember 2002 meldete Belgien bei der Kommission eine geplante Erhöhung des Kapitals von La Poste um 297,5 Mio. Euro an. Zwischen Dezember 2002 und April 2003 hielten die Kommission und die belgischen Behörden drei Besprechungen ab und wechselten mehrere Schreiben. Nachdem Deutsche Post und DHL International im Juli 2003 bekannt geworden war, dass ein Prüfungsverfahren stattfand, ersuchten sie die Kommission um Auskunft über den Stand des Verfahrens, um sich daran gegebenenfalls zu beteiligen.
Am 23. Juli 2003 beschloss die Kommission, gegen die geplante Kapitalerhöhung keine Einwände zu erheben. Sie befand, dass die angemeldete Kapitalerhöhung als solche keine staatliche Beihilfe darstelle, da ihr Betrag geringer gewesen sei als die Unterkompensation der Nettomehrkosten der gemeinwirtschaftlichen Dienstleistungen für den Zeitraum 1992-2002. Zudem vergewisserte sich die Kommission, dass zugunsten von La Poste nach deren Umwandlung in ein eigenständiges öffentliches Unternehmen keine Maßnahmen ergangen waren, die als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare staatliche Beihilfen eingestuft werden könnten.
Nach Auffassung von Deutsche Post und DHL International hätte die Kommission das förmliche Prüfungsverfahren eröffnen müssen. Sie haben daher die Nichtigerklärung der Entscheidung, keine Einwände zu erheben, beantragt.
In seinem Urteil erinnert das Gericht daran, dass die Klage eines mit dem Empfänger einer staatlichen Beihilfe konkurrierenden Unternehmens unter bestimmten Voraussetzungen selbst dann zulässig sein kann, wenn seine Marktstellung nicht spürbar beeinträchtigt wird. Deutsche Post und DHL International können als unmittelbare Wettbewerber von La Poste zu der fraglichen Maßnahme nur dann Stellung nehmen, wenn die Kommission ein förmliches Prüfungsverfahren eröffnet. Folglich ist ihre Klage gegen die Entscheidung der Kommission, über die fraglichen Maßnahmen ohne Eröffnung des förmlichen Prüfungsverfahrens zu befinden, zulässig. Das Gericht ist zwar hinsichtlich dieser Phase des Prüfungsverfahrens nicht befugt, über das Vorbringen der Parteien gegen das Bestehen einer Beihilfe oder ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt zu entscheiden, es muss jedoch alle Gesichtspunkte berücksichtigen, anhand deren es nachprüfen kann, ob die Kommission bei ihrer Vorprüfung auf ernsthafte Schwierigkeiten gestoßen ist.
Die Kommission ist nämlich, wenn das Vorprüfungsverfahren ernsthafte Schwierigkeiten aufwirft, zur Eröffnung des förmlichen Verfahrens verpflichtet und verfügt insoweit über keinerlei Ermessen. Eine unzureichende oder unvollständige Prüfung stellt einen Anhaltspunkt für das Bestehen ernsthafter Schwierigkeiten dar.
Das Gericht sieht in der Dauer und den Umständen des Vorprüfungsverfahrens mehrere Anhaltspunkte für das Bestehen ernsthafter Schwierigkeiten. Es stellt insbesondere fest, dass der Zeitraum von sieben Monaten zwischen der Anmeldung der geplanten Beihilfen und der von der Kommission nach dem Vorprüfungsverfahren erlassenen Entscheidung offenkundig die Frist von zwei Monaten überschreitet, die das Gemeinschaftsrecht für dieses Verfahren vorsieht. Zudem hat die Kommission, die den Untersuchungsbereich sehr weit gefasst hat, die Komplexität der Situation anerkannt und dreimal ergänzende Informationen eingeholt, trotz der drei Besprechungen mit den belgischen Behörden.
Zur Unzulänglichkeit und Unvollständigkeit der Prüfung stellt das Gericht fest, dass der Kommission keine Informationen vorlagen, anhand deren sie sich zur Einstufung einer der früheren Maßnahmen zugunsten von La Poste, nämlich der unentgeltlichen Übertragung von Immobilien durch den belgischen Staat, hätte äußern können. Überdies hat die Kommission nicht entsprechend dem Urteil Altmark die Kosten der von La Poste erbrachten Dienstleistungen von allgemeinem Interesse im Vergleich zu den Kosten geprüft, die ein durchschnittliches Unternehmen gehabt hätte, wobei eine solche Prüfung möglicherweise ergeben hätte, dass die untersuchten Maßnahmen keine staatlichen Beihilfen darstellen.
Das Gericht gelangt zu dem Ergebnis, dass eine Reihe von objektiven und übereinstimmenden Anhaltspunkten - überlange Dauer des Vorprüfungsverfahrens, Unterlagen, die den Umfang und die Komplexität der vorzunehmenden Prüfung und die teilweise Unvollständigkeit und Unzulänglichkeit des Inhalts der angefochtenen Entscheidung belegen - vorliegt, die bestätigen, dass die Kommission die Entscheidung, keine Einwände zu erheben, erlassen hat, obwohl ernsthafte Schwierigkeiten bestanden. Folglich erklärt das Gericht die Entscheidung für nichtig.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 09.03.2009
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 12/09 des EuG erster Instanz vom 10.02.2009