18.10.2024
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Sie sehen die Silhouette einer Person, welche an einer Wand mit vielen kleinen Bildern vorbeigeht.

Dokument-Nr. 3898

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Urteil24.06.2004Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte59320/00
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • DVBl 2004, 1091Zeitschrift: Das Deutsche Verwaltungsblatt (DVBl), Jahrgang: 2004, Seite: 1091
  • FamRZ 2004, 1455Zeitschrift für das gesamte Familienrecht mit Betreuungsrecht (FamRZ), Jahrgang: 2004, Seite: 1455
  • NJW 2005, 2480Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2005, Seite: 2480
  • NVwZ 2004, 1465Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), Jahrgang: 2004, Seite: 1465
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ergänzende Informationen

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Urteil24.06.2004

"Caroline-Urteil" - Auch eine Person der absoluten Zeitgeschichte hat das Recht auf Schutz der PrivatsphäreEuropäische Gerichtshof für Menschenrechte weist Bundes­ver­fas­sungs­gericht in die Schranken

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EuGMR) hat neue Maßgaben für die Veröf­fent­lichung von Fotos Prominenter aufgestellt. Anlass war eine Klage von Prinzessin Caroline von Hannover. Danach darf über Privates von Prominenten mit Bild nur berichtet werden, sofern diese vorher ihre Einwilligung erklärt haben. Die Bild-Berich­t­er­stattung ohne vorherige Genehmigung bleibt zulässig, sofern sie einen Prominenten in seiner Funktion zeigt, zum Beispiel bei öffentlichen Anlässen oder wenn die Fotos einen "Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem öffentlichen Interesse" leisten. Der EuGMR hat damit die Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts vom 15.12.1999 - 1 BVR 653/96 - als Verstoß gegen das in Artikel 8 der EMRK statuierte Menschenrecht auf Privatsphäre angesehen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in der Rechtssache von Hannover gegen Deutschland (Beschwerde Nr. 59320/00) in öffentlicher Verhandlung das Urteil verkündet. Der Gerichtshof hat einstimmig entschieden, dass

- Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privatlebens) der Europäischen Menschenrechtskonvention verletzt worden ist,

- die Frage der Anwendung des Artikels 41 (gerechte Entschädigung) der Konvention noch nicht spruchreif ist. Die Entscheidung hierüber wird daher zurückgestellt, und die Regierungen sowie die Beschwer­de­führerin sind aufgefordert, dem Gerichtshof schriftlich ihre entsprechenden Stellungnahmen zukommen zu lassen.

1. Sachverhalt

Die Beschwer­de­führerin Prinzessin Caroline von Hannover ist 1957 geboren und die älteste Tochter des Fürsten Rainier III von Monaco. Sie besitzt die Staats­an­ge­hö­rigkeit von Monaco und hat dort auch ihren Wohnsitz.

Seit Beginn der neunziger Jahre versucht Prinzessin Caroline von Hannover in verschiedenen Ländern Europas - oftmals unter Einschaltung der Gerichte - gegen die Boulevardpresse vorzugehen, um die Veröf­fent­lichung von Fotografien aus ihrem Privatleben zu verhindern.

Sie hat wiederholt ohne Erfolg die deutschen Gerichte angerufen, damit diese jede weitere Veröf­fent­lichung einer Reihe von Fotos untersagen, die in den neunziger Jahren in den deutschen Zeitschriften Bunte, Freizeit Revue und Neue Post veröffentlicht wurden. Sie begründete ihre Klage damit, dass durch diese Veröf­fent­li­chungen ihr Recht auf Achtung ihres Privatlebens und ihr Recht am eigenen Bild verletzt würden.

In einem Grundsatzurteil vom 15. Dezember 1999 hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Veröf­fent­lichung bestimmter Fotos, auf denen die Beschwer­de­führerin mit ihren Kindern zu sehen ist, untersagt, da Kinder in höherem Maße des Schutzes bedürften als Erwachsene.

Das Verfas­sungs­gericht befand allerdings, dass die Beschwer­de­führerin, die unzweifelhaft eine ,,absolute Person der Zeitgeschichte" sei, die Veröf­fent­lichung von Fotografien hinnehmen müsse, die sie in der Öffentlichkeit zeigen, selbst wenn die Bilder eher ihr Alltagsleben betreffen als die Erfüllung ihrer offiziellen Pflichten. Das Gericht verwies in diesem Zusammenhang auf die Pressefreiheit und auf das legitime Interesse der Öffentlichkeit zu erfahren, wie sich eine solche Persönlichkeit allgemein im öffentlichen Leben verhält.

2. Verfahren und Zusammensetzung des Gerichtshofs

Die Beschwerde wurde am 6. Juni 2000 eingereicht und am 8. Juli 2003 für zulässig erklärt. Am 16. und 26. September 2003 ermächtigte der Kammerpräsident den Verband Deutscher Zeitschrif­ten­verleger und die Hubert Burda Media Holding GmbH & Co.KG gemäß Artikel 61 § 3 der Verfah­rens­ordnung des Gerichtshofs als Drittbeteiligte eine schriftliche Stellungnahme einzureichen. Am 6. November 2003 hat im Menschen­rechts­gebäude in Straßburg eine öffentliche mündliche Verhandlung stattgefunden. Das Urteil wurde dann von einer Kammer gefällt, die sich aus folgenden 7 Richtern zusammensetzte:

Ireneu Cabral Barreto (Portugiese), Präsident,

Georg Ress (Deutscher),

Lucius Caflisch (Schweizer)

Riza Türmen (Türke),

Boštjan Zupancic (Slowene),

John Hedigan (Ire),

Kristaq Traja (Albaner), Richter,

sowie Vincent Berger, Sektionskanzler

3. Zusammenfassung des Urteils

Die Beschwer­de­führerin macht geltend, die Entscheidungen der deutschen Gerichte würden gegen ihr Recht auf Achtung ihres Privatlebens verstoßen; denn die Gerichte hätten ihr keinen angemessenen Schutz vor der Veröf­fent­lichung von Fotos gewährt, die Sensa­ti­o­ns­re­porter von ihr ohne ihr Wissen gemacht haben, weil sie aufgrund ihrer Herkunft unzweifelhaft eine ,,absolute Person der Zeitgeschichte" sei. Ferner liege eine Verletzung ihres Rechts auf Achtung ihres Familienlebens vor. Die Beschwer­de­führerin beruft sich dabei auf Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der Europäischen Menschen­rechts­kon­vention.

Entscheidung des Gerichtshofs

Der Gerichtshof hält als Erstes fest, dass einige Fotografien, auf denen die Beschwer­de­führerin mit ihren Kindern zu sehen ist, sowie das Foto, das sie in Begleitung eines Schauspielers hinten im Hof eines Restaurants zeigt, nicht länger Gegenstand des Rechtsstreits sind. Der Bundes­ge­richtshof hat nämlich jede weitere Veröf­fent­lichung dieser Fotos untersagt, da durch sie das Recht der Beschwer­de­führerin auf Achtung ihres Familienlebens verletzt werde.

Es steht außer Zweifel, dass die von verschiedenen deutschen Zeitschriften veröf­fent­lichten Fotos, auf denen die Beschwer­de­führerin allein oder mit anderen Personen im Rahmen ihres Alltagslebens zu sehen ist, ihr Privatleben berühren. Artikel 8 der Konvention ist daher in diesem Fall anwendbar. Es ist somit eine Abwägung zwischen dem Schutz des Privatlebens, auf den die Beschwer­de­führerin Anspruch hat, und der durch Artikel 10 der Konvention garantierten Freiheit der Meinung­s­äu­ßerung vorzunehmen.

Die Freiheit der Meinung­s­äu­ßerung gilt zwar auch für die Veröf­fent­lichung von Fotos, doch in diesem Bereich kommt dem Schutz des guten Rufs und der Rechte anderer besondere Bedeutung zu, da es hier nicht um die Verbreitung von „Ideen“ geht, sondern von Bildern, die sehr persönliche oder sogar intime Informationen über einen Menschen enthalten. Außerdem werden die in der Boulevardpresse veröf­fent­lichten Fotos oftmals unter Bedingungen gemacht, die einer ständigen Belästigung gleichkommen und von der betroffenen Person als Eindringen in ihr Privatleben, wenn nicht sogar als Verfolgung empfunden werden.

Das entscheidende Kriterium für die Abwägung zwischen Schutz des Privatlebens einerseits und Freiheit der Meinung­s­äu­ßerung andererseits besteht nach Ansicht des Gerichtshof darin, inwieweit die veröf­fent­lichten Fotos zu einer Debatte beitragen, für die ein Allge­mein­in­teresse geltend gemacht werden kann. Im vorliegenden Fall handelt es sich um Fotos aus dem Alltagsleben von Caroline von Hannover, um Fotos also, die sie bei rein privaten Tätigkeiten zeigen. Der Gerichtshof nimmt diesbezüglich zur Kenntnis, in welchem Zusammenhang die Fotos gemacht wurden, nämlich ohne Wissen der Beschwer­de­führerin, ohne ihre Einwilligung und zuweilen auch heimlich. Diese Fotos können nicht als Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem öffentlichem Interesse angesehen werden, da die Beschwer­de­führerin dabei kein öffentliches Amt ausübt und die strittigen Fotos und Artikel ausschließlich Einzelheiten ihres Privatlebens betreffen.

Ferner mag die Öffentlichkeit zwar ein Recht darauf haben, informiert zu werden, ein Recht, das sich unter besonderen Umständen auch auf das Privatleben von Persön­lich­keiten des öffentlichen Lebens erstrecken kann, im vorliegenden Fall ist ein solches Recht jedoch nicht gegeben. Nach Auffassung des Gerichtshofs kann die Öffentlichkeit kein legitimes Interesse daran geltend machen zu erfahren, wo Caroline von Hannover sich aufhält und wie sie sich allgemein in ihrem Privatleben verhält, auch wenn sie sich an Orte begibt, die nicht immer als abgeschieden bezeichnet werden können, und auch wenn sie eine weithin bekannte Persönlichkeit ist. Und selbst wenn ein solches Interesse der Öffentlichkeit besteht, ebenso wie ein kommerzielles Interesse der Zeitschriften, die die Fotos und die Artikel veröffentlichen, so haben diese Interessen nach Ansicht des Gerichtshofs im vorliegenden Fall hinter dem Recht der Beschwer­de­führerin auf wirksamen Schutz ihres Privatlebens zurückzutreten.

Der Gerichtshof weist darauf hin, welche grundlegende Bedeutung dem Schutz des Privatlebens für die Selbs­t­ent­faltung jedes Einzelnen zukommt, und hält fest, dass jede Person, auch wenn es sich um eine Persönlichkeit des öffentlichen Lebens handelt, die „legitime Erwartung“ hegen darf, dass ihr Privatleben geschützt und geachtet wird. Die von den inner­staat­lichen Gerichten aufgestellten Kriterien zur Unterscheidung zwischen einer „absoluten“ Person der Zeitgeschichte und einer „relativen“ Person reichen nach Ansicht des Gerichtshofs nicht aus, um einen wirksamen Schutz des Privatlebens der Beschwer­de­führerin zu gewährleisten, und es hätte anerkannt werden müssen, dass die Beschwer­de­führerin unter den gegebenen Umständen die „legitime Erwartung“ geltend machen darf, dass ihr Privatleben geschützt wird.

Angesichts dessen gelangt der Gerichtshof, trotz des Ermes­sens­spielraums des Staates auf diesem Gebiet, zu dem Schluss, dass die deutschen Gerichte die wider­strei­tenden Interessen nicht in gerechter Weise gegeneinander abgewogen haben. Somit befindet der Gerichtshof, dass Artikel 8 der Konvention verletzt worden ist und dass über den Beschwerdepunkt, den die Beschwer­de­führerin in Bezug auf ihr Recht auf Achtung ihres Familienlebens vorgebracht hat, nicht entschieden zu werden braucht.

Die Richter Cabral Barretto und Zupancic haben jeweils eine zustimmende persönliche Meinung zum Ausdruck gebracht; diese persönlichen Meinungen sind dem Urteil beigefügt.

Quelle: ra-online, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

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