21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil11.06.2015

Ungarisches Verbot des Betriebs von Geldspiel­au­tomaten außerhalb von Spielkasinos verstößt möglicherweise gegen Dienst­leistungs­freiheitGesetzgeber muss bei Widerruf der Genehmigung Inhabern von Spielhallen angemessene Entschädigung zahlen oder einen hinreichend langen Überg­angs­zeitraum vorsehen

Die ungarischen Rechts­vor­schriften, die den Betrieb von Geldspiel­au­tomaten außerhalb von Spielkasinos verbieten, verstoßen möglicherweise gegen den Grundsatz der Dienst­leistungs­freiheit. Widerruft der nationale Gesetzgeber eine Genehmigung, die ihrem Inhaber die Ausübung einer wirtschaft­lichen Tätigkeit ermöglicht, muss er eine angemessene Ent­schädigungs­regelung oder einen hinreichend langen Überg­angs­zeitraum vorsehen, damit sich der Inhaber der Genehmigung darauf einstellen kann. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Bis zum 9. Oktober 2012 durften in Ungarn Geldspielautomaten sowohl in Spielkasinos als auch in Spielhallen betrieben werden. Bis zum 31. Oktober 2011 betrug die Pauschalsteuer auf den Betrieb von Geldspiel­au­tomaten, die in Spielhallen aufgestellt waren, je Spielstelle monatlich 100.000 HUF (ca. 324 Euro). Zum 1. November 2011 wurde dieser Betrag auf 500.000 HUF (ca. 1 620 Euro) erhöht. Ab diesem Datum wurde auf den Betrieb von Geldspiel­au­tomaten in Spielhallen außerdem eine Propor­ti­o­nal­steuer erhoben, die sich je Spielstelle auf 20 % des 900.000 HUF (ca. 2 916 Euro) übersteigenden viertel­jähr­lichen Nettoumsatzes belief. Für den Betrieb von Geldspiel­au­tomaten in Spielkasinos galt eine andere Steuerregelung, die im Herbst 2011 nicht geändert wurde.

Geldspiel­au­tomaten dürfen nur noch in Spielkasinos betrieben werden

Aufgrund eines am 2. Oktober 2012 verabschiedeten Gesetzes dürfen Geldspiel­au­tomaten seit dem 10. Oktober 2012 nur noch in Spielkasinos betrieben werden, so dass diese Tätigkeit seither nicht mehr in Spielhallen ausgeübt werden kann.

Spiel­ha­l­len­be­treiber fordern Schadensersatz

Mehrere Gesellschaften, die Geldspiel­au­tomaten in Spielhallen betrieben, haben die ungarischen Gerichte angerufen, weil sie der Auffassung sind, das Unionsrecht stehe Maßnahmen entgegen, die in einem ersten Schritt ihre steuerliche Belastung drastisch erhöht und in einem zweiten Schritt mit quasi sofortiger Wirkung den Betrieb von Geldspiel­au­tomaten verboten hätten. Diese Gesellschaften fordern Ersatz für den Schaden, der ihnen durch diese Maßnahmen entstanden sei. Der mit ihren Klagen befasste Fõvárosi Törvényszék (Haupt­städ­tischer Gerichtshof, Budapest, Ungarn) fragt den Gerichtshof, ob derartige Maßnahmen mit dem Unionsrecht vereinbar sind.

Betrieb und Ausübung bestimmter Glücksspiele nur in Spielkasinos stellt Beschränkung des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs dar

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass nationale Rechts­vor­schriften, die den Betrieb und die Ausübung bestimmter Glücksspiele nur in Spielkasinos erlauben, eine Beschränkung des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs darstellen. Ferner kann eine Maßnahme, mit der die Steuern auf den Betrieb von Geldspiel­au­tomaten in Spielhallen drastisch erhöht werden, ebenfalls als beschränkend gewertet werden, wenn sie geeignet ist, die Ausübung der Dienstleistungsfreiheit in Gestalt des Betriebs von Geldspiel­au­tomaten in Spielhallen zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen. Hierzu führt der Gerichtshof aus, dass dies der Fall wäre, wenn das nationale Gericht feststellen sollte, dass die Steuererhöhung den rentablen Betrieb von Geldspiel­au­tomaten in Spielhallen verhindert und dadurch ihren Betrieb tatsächlich auf Spielkasinos beschränkt hätte.

Maßnahmen zur Beschränkungen von Glückss­piel­tä­tig­keiten können grundsätzlich gerechtfertigt sein

Der Gerichtshof stellt sodann fest, dass die mit den streitigen Maßnahmen verfolgten Ziele, nämlich der Schutz der Verbraucher vor Spielsucht sowie die Verhinderung von Kriminalität und Betrug im Zusammenhang mit dem Spielen, Beschränkungen von Glückss­piel­tä­tig­keiten grundsätzlich rechtfertigen können. Mit diesen Beschränkungen müssen die genannten Ziele jedoch in kohärenter und systematischer Weise verfolgt werden. Insoweit bemerkt der Gerichtshof - vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht zu treffenden Feststellungen -, dass Ungarn offenbar eine Politik der kontrollierten Expansion von Glückss­piel­tä­tig­keiten verfolgt, in deren Rahmen u. a. im Jahr 2014 neue Konzessionen zum Betrieb von Spielkasinos erteilt wurden. Bei einer solchen Politik kann allerdings nur dann davon ausgegangen werden, dass sie die genannten Ziele in kohärenter und systematischer Weise verfolgt, wenn sie zum einen geeignet ist, einem tatsächlichen Problem in Verbindung mit kriminellen und betrügerischen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Spielen sowie der Spielsucht in Ungarn abzuhelfen, und zum anderen keinen Umfang hat, der sie mit dem Ziel der Eindämmung der Spielsucht unvereinbar macht, was vom nationalen Gericht zu prüfen ist.

Gesetzgeber muss hinreichend langen Überg­angs­zeitraum schaffen oder Entschä­di­gungs­zah­lungen leisten

Das nationale Gericht wird auch zu prüfen haben, ob die in Rede stehenden Maßnahmen die Grundsätze der Rechts­si­cherheit und des Vertrau­ens­schutzes sowie das Eigentumsrecht der Spielhallenbetreiber beachten. In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof darauf hin, dass der nationale Gesetzgeber, wenn er Genehmigungen widerruft, die ihren Inhabern die Ausübung einer wirtschaft­lichen Tätigkeit ermöglichen, eine angemessene Entschä­di­gungs­re­gelung oder einen hinreichend langen Überg­angs­zeitraum vorsehen muss, damit sich die Inhaber der Genehmigungen darauf einstellen können.

Spiel­ha­l­len­be­treiber können bei nicht gerecht­fer­tigter Beschränkung der Dienst­leis­tungs­freiheit Schadensersatz fordern

Schließlich betont der Gerichtshof, dass die Spiel­ha­l­len­be­treiber für den Fall, dass eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Dienst­leis­tungs­freiheit festgestellt werden sollte, vom ungarischen Staat Ersatz für den ihnen infolge dieses Verstoßes gegen das Unionsrecht entstandenen Schaden erhalten können, soweit der Verstoß hinreichend qualifiziert ist und zwischen dem Verstoß und dem entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausa­l­zu­sam­menhang besteht, was zu prüfen Sache des nationalen Gerichts ist.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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