03.12.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil24.11.2011

EuGH: Inter­net­dienst­leister muss kein Filtersystem zur Vermeidung unzulässiger Downloads einrichtenMaßnahme zum Schutz des Urheberrechts nicht mit Unionsrecht vereinbar

Eine von einem nationalen Gericht erlassenen Anordnung, die einem Anbieter von Inter­net­zu­gangs­diensten aufgibt, ein Filtersystem einzurichten, um einem unzulässigen Herunterladen von Dateien vorzubeugen, ist nicht mit dem Unionsrecht vereinbar. Eine solche Anordnung beachtet weder das Verbot, solchen Anbietern eine allgemeine Überwa­chungs­pflicht aufzuerlegen, noch das Erfordernis, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen einerseits dem Recht am geistigen Eigentum und andererseits der unter­neh­me­rischen Freiheit, dem Recht auf den Schutz perso­nen­be­zogener Daten und dem Recht auf freien Empfang oder freie Sendung der Informationen zu gewährleisten. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Diese Rechtssache beruht auf einem Rechtsstreit zwischen der Scarlet Extended SA, einem Anbieter von Inter­net­zu­gangs­diensten, und SABAM, einer belgischen Verwer­tungs­ge­sell­schaft, deren Aufgabe es ist, die Verwendung von Werken der Musik von Autoren, Komponisten und Herausgebern zu genehmigen. SABAM stellte im Jahr 2004 fest, dass Internetnutzer, die die Dienste von Scarlet in Anspruch nähmen, über das Internet – ohne Genehmigung und ohne Gebühren zu entrichten – zu ihrem Repertoire gehörende Werke über „Peer-to-Peer“-Netze (ein offenes, unabhängiges, dezen­tra­li­siertes und mit hochent­wi­ckelten Such- und Download­funk­tionen ausgestattetes Hilfsmittel zum Austausch von Inhalten) herunterladen würden.

Nationales Gericht untersagt unzulässigen Datei-Download

Auf Antrag von SABAM gab der Präsident des Tribunal de première instance de Bruxelles (Belgien) Scarlet als Anbieter von Inter­net­zu­gangs­diensten unter Androhung eines Zwangsgelds auf, diese Urheber­rechts­ver­let­zungen abzustellen, indem sie es ihren Kunden unmöglich mache, Dateien, die ein Werk der Musik aus dem Repertoire von SABAM enthielten, in irgendeiner Form mit Hilfe eines „Peer-to-Peer“-Programms zu senden oder zu empfangen.

Nationales Gericht erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH zur Zulässigkeit der Einrichtung von Filtersystemen für den Datei-Download

Scarlet legte bei der Cour d’appel de Bruxelles Berufung ein und machte geltend, dass die Anordnung nicht unions­rechts­konform sei, weil sie ihr de facto eine allgemeine Pflicht zur Überwachung der Kommunikationen in ihrem Netz auferlege, was mit der Richtlinie über den elektronischen Geschäfts­verkehr* und den Grundrechten unvereinbar sei. Vor diesem Hintergrund fragt die Cour d’appel den Gerichtshof, ob die Mitgliedstaaten aufgrund des Unionsrechts dem nationalen Richter erlauben können, einem Anbieter von Inter­net­zu­gangs­diensten aufzugeben, generell und präventiv allein auf seine eigenen Kosten und zeitlich unbegrenzt ein System der Filterung der elektronischen Kommunikationen einzurichten, um ein unzulässiges Herunterladen von Dateien zu identifizieren.

Inter­net­diens­tean­bieter ist nicht zur allgemeinen Überwachung der übermittelten Informationen verpflichtet

In seinem Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums gerichtliche Anordnungen gegen Vermittler wie die Anbieter von Inter­net­zu­gangs­diensten beantragen können, deren Dienste von einem Dritten zur Verletzung ihrer Rechte genutzt werden. Die Modalitäten der Anordnungen sind Gegenstand des nationalen Rechts. Diese nationalen Regelungen müssen jedoch die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Beschränkungen wie u. a. die Richtlinie über den elektronischen Geschäfts­verkehr beachten, wonach nationale Stellen keine Maßnahmen erlassen dürfen, die einen Anbieter von Inter­net­zu­gangs­diensten verpflichten würden, die von ihm in seinem Netz übermittelten Informationen allgemein zu überwachen.

Anordnung zur allgemeinen Überwachung mit Richtlinie über elektronischen Geschäfts­verkehr unvereinbar

Insoweit stellt der Gerichtshof fest, dass die fragliche Anordnung Scarlet verpflichten würde, eine aktive Überwachung sämtlicher Daten aller ihrer Kunden vorzunehmen, um jeder künftigen Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums vorzubeugen. Daraus folgt, dass die Anordnung zu einer allgemeinen Überwachung verpflichten würde, die mit der Richtlinie über den elektronischen Geschäfts­verkehr unvereinbar ist. Außerdem würde eine solche Anordnung nicht die anwendbaren Grundrechte beachten.

Anordnung zur Überwachung würde zu qualifizierter Beein­träch­tigung der unter­neh­me­rischen Freiheit führen

Zwar ist der Schutz des Rechts am geistigen Eigentum in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert. Gleichwohl ergibt sich weder aus der Charta selbst noch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass dieses Recht schrankenlos und sein Schutz daher bedingungslos zu gewährleisten wäre. Im vorliegenden Fall bedeutet die Einrichtung eines Filtersystems, dass im Interesse der Inhaber von Urheberrechten sämtliche elektronischen Kommunikationen im Netz des fraglichen Anbieters von Inter­net­zu­gangs­diensten überwacht werden, wobei diese Überwachung zudem zeitlich unbegrenzt ist. Deshalb würde eine solche Anordnung zu einer qualifizierten Beein­träch­tigung der unter­neh­me­rischen Freiheit von Scarlet führen, da sie sie verpflichten würde, ein kompliziertes, kostspieliges, auf Dauer angelegtes und allein auf ihre Kosten betriebenes Infor­ma­tik­system einzurichten.

EuGH sieht Gefahr der Verletzung des Rechts auf Schutz perso­nen­be­zogener Daten und Beein­träch­tigung der Infor­ma­ti­o­ns­freiheit

Darüber hinaus würden sich die Wirkungen dieser Anordnung nicht auf Scarlet beschränken, weil das Filtersystem auch die Grundrechte ihrer Kunden beeinträchtigen kann, nämlich ihre durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union geschützten Rechte auf den Schutz perso­nen­be­zogener Daten und auf freien Empfang oder freie Sendung von Informationen. Zum einen steht nämlich fest, dass diese Anordnung eine systematische Prüfung aller Inhalte sowie die Sammlung und Identifizierung der IP-Adressen der Nutzer bedeuten würde, die die Sendung unzulässiger Inhalte in diesem Netz veranlasst haben, wobei es sich bei diesen Adressen um perso­nen­be­zogene Daten handelt. Zum anderen könnte diese Anordnung die Infor­ma­ti­o­ns­freiheit beeinträchtigen, weil dieses System möglicherweise nicht hinreichend zwischen einem unzulässigen Inhalt und einem zulässigen Inhalt unterscheiden kann, so dass sein Einsatz zur Sperrung von Kommunikationen mit zulässigem Inhalt führen könnte.

Gleichgewicht zwischen Recht am geistigen Eigentum und Recht auf Schutz perso­nen­be­zogener Daten durch Einführung eines Filtersystems nicht gewährleistet

Daher stellt der Gerichtshof fest, dass das nationale Gericht, erließe es die Anordnung, mit der Scarlet zur Einrichtung eines solchen Filtersystems verpflichtet würde, nicht das Erfordernis beachten würde, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen einerseits dem Recht am geistigen Eigentum und andererseits der unter­neh­me­rischen Freiheit, dem Recht auf den Schutz perso­nen­be­zogener Daten und dem Recht auf freien Empfang oder freie Sendung der Informationen zu gewährleisten.

Unionsrecht steht Anordnung zur Einrichtung von Filtersystemen entgegen

Der Gerichtshof antwortet folglich, dass das Unionsrecht einer Anordnung an einen Anbieter von Inter­net­zu­gangs­diensten entgegensteht, ein System der Filterung aller seine Dienste durchlaufenden elektronischen Kommunikationen, das unterschiedslos auf alle seine Kunden anwendbar ist, präventiv, auf ausschließlich seine eigenen Kosten und zeitlich unbegrenzt einzurichten.

Erläuterungen

* Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Infor­ma­ti­o­ns­ge­sell­schaft, insbesondere des elektronischen Geschäfts­verkehrs, im Binnenmarkt (ABl. L 178, S. 1).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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