18.10.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil27.03.2019

Widerrufsrecht für online bestellte Matratzen gilt auch bei entfernter SchutzfolieMatratze kann mittels Reinigung oder Desinfektion wieder verkehrsfähig gemacht werden

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass das Widerrufsrecht der Verbraucher im Fall eines Onlinekaufs auch für eine Matratze gilt, deren Schutzfolie nach der Lieferung entfernt wurde. Wie bei einem Kleidungsstück kann davon ausgegangen werden, dass der Unternehmer in der Lage ist, die Matratze mittels einer Reinigung oder Desinfektion wieder verkehrsfähig zu machen, ohne dass den Erfordernissen des Gesund­heits­schutzes oder der Hygiene nicht genügt würde.

Im zugrunde liegenden Fall kaufte Herr Sascha Ledowski über die Website des deutschen Onlinehändlers slewo eine Matratze. Nach Erhalt der Ware entfernte er die Schutzfolie, mit der die Matratze versehen war. Sodann sandte er die Matratze an slewo zurück und verlangte die Erstattung des Kaufpreises in Höhe von 1.094,52 Euro und der Rücksendekosten.

Händler verweigert Rücknahme

Nach Auffassung von slewo konnte Herr Ledowski das Widerrufsrecht, das dem Verbraucher im Fall eines Onlinekaufs normalerweise 14 Tage lang zusteht, nicht ausüben. Die Verbrau­cher­schutz­richt­linie* schließe nämlich das Widerrufsrecht für "versiegelte Waren ..., die aus Gründen des Gesund­heits­schutzes oder aus Hygienegründen nicht zur Rückgabe geeignet sind und deren Versiegelung nach der Lieferung entfernt wurde", aus.

BGH erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH

Der mit dem Rechtsstreit befasste Bundes­ge­richtshof ersucht den Gerichtshof um Auslegung der Richtlinie. Insbesondere wollte er wissen, ob eine Ware wie eine Matratze, deren Schutzfolie vom Verbraucher nach der Lieferung entfernt wurde, unter den in der Richtlinie vorgesehenen Ausschlussfällt.

EuGH bejaht Ausübung des Widerrufsrechts

Mit seinem Urteil verneinte der Gerichtshof diese Frage. Folglich sei der Verbraucher nicht an der Ausübung seines Widerrufsrechts gehindert, weil er die Schutzfolie einer im Internet gekauften Matratze entfernt habe.

Widerrufsrecht gibt Verbraucher angemessene Bedenkzeit zur Probe und Prüfung der Ware

Der Gerichtshof wies darauf hin, dass das Widerrufsrecht den Verbraucher in der besonderen Situation eines Verkaufs im Fernabsatz schützen solle, in der er keine Möglichkeit habe, die Ware vor Vertrags­ab­schluss zu sehen. Es solle also den Nachteil ausgleichen, der sich für einen Verbraucher bei einem im Fernabsatz geschlossenen Vertrag ergebe, indem ihm eine angemessene Bedenkzeit eingeräumt werde, in der er die Möglichkeit habe, die gekaufte Ware zu prüfen und auszuprobieren, soweit dies erforderlich ist, um ihre Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise festzustellen.

Beschaffenheit einer Ware kann Versiegelung der Verpackung aus Hygienegründen grundsätzlich rechtfertigen

Was den hier in Rede stehenden Ausschluss anbelangt, sei es die Beschaffenheit einer Ware, die die Versiegelung ihrer Verpackung aus Gründen des Gesund­heits­schutzes oder aus Hygienegründen rechtfertigen könne. Die Entfernung der Versiegelung der Verpackung einer solchen Ware lasse daher die Garantie in Bezug auf Gesundheitsschutz oder Hygiene entfallen. Wenn bei einer solchen Ware die Versiegelung der Verpackung vom Verbraucher entfernt wurde und daher ihre Garantie in Bezug auf Gesund­heits­schutz oder Hygiene entfallen sei, könne sie möglicherweise nicht mehr von einem Dritten verwendet und infolgedessen nicht wieder in den Verkehr gebracht werden.

Keine Ausnahme vom Widerrufsrecht bei Matratzen

Eine Matratze wie die hier in Rede stehende, deren Schutzfolie vom Verbraucher nach der Lieferung entfernt wurde, falle nach Auffassung des Gerichtshofs nicht unter die fragliche Ausnahme vom Widerrufsrecht.

Auch benutzte Matratze ist wieder­ver­wendbar

Zum einen sei nämlich nicht ersichtlich, dass eine solche Matratze, auch wenn sie möglicherweise schon benutzt wurde, allein deshalb endgültig nicht von einem Dritten wiederverwendet oder nicht erneut in den Verkehr gebracht werden könne. Insoweit genüge der Hinweis, dass ein und dieselbe Matratze aufein­an­der­fol­genden Hotelgästen diene, ein Markt für gebrauchte Matratzen bestehe und gebrauchte Matratzen einer gründlichen Reinigung unterzogen werden könnten.

Matratzen mit Kleidung vergleichbar

Zum anderen könne eine Matratze im Hinblick auf das Widerrufsrecht mit einem Kleidungsstück gleichgesetzt werden, d.h. mit einer Warenkategorie, für die die Richtlinie ausdrücklich die Möglichkeit der Rücksendung nach Anprobe vorsehe. Eine solche Gleichsetzung komme insofern in Betracht, als selbst bei direktem Kontakt dieser Waren mit dem menschlichen Körper davon ausgegangen werden könne, dass der Unternehmer in der Lage ist, sie nach der Rücksendung durch den Verbraucher mittels einer Behandlung wie einer Reinigung oder einer Desinfektion für eine Wieder­ver­wendung durch einen Dritten und damit für ein erneutes Inver­kehr­bringen geeignet zu machen, ohne dass den Erfordernissen des Gesund­heits­schutzes oder der Hygiene nicht genügt würde.

Verbraucher haftet für Wertverlust einer Ware durch unsachgemäße Behandlung

Der Gerichtshof betonte allerdings, dass der Verbraucher gemäß der Richtlinie für jeden Wertverlust einer Ware hafte, der auf einen zur Prüfung der Beschaffenheit, Eigenschaften und Funktionsweise der Ware nicht notwendigen Umgang zurückzuführen ist, ohne dass er deshalb sein Widerrufsrecht verlöre.

Erläuterungen
Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2011, L 304, S. 64).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online (pm)

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