21.11.2024
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Dokument-Nr. 27919

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil01.10.2019

Verfahrens­vor­schriften für Zulassung von glypho­sa­t­haltigen Pflanzen­schutz­mitteln gültigPrüfverfahren für Pflanzen­schutz­mittel kann nicht in Frage gestellt werden

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass die für die Zulassung von - u.a. glypho­sa­t­haltigen - Pflanzen­schutz­mitteln geltenden Verfahrens­vor­schriften gültig sind und es nichts gibt, was die Gültigkeit der Verordnung über das Inver­kehr­bringen von Pflanzen­schutz­mitteln in Frage stellen könnte.

Mehreren Umwelt­ak­ti­visten, Mitgliedern der "Faucheurs volontaires d'OGM ariégeois" ("Freiwillige Schnitter der Ariège gegen GVO"), wird zur Last gelegt, in Geschäftsräumen in den französischen Städten Pamiers, Saint Jean du Falga und Foix Kanister mit Unkraut­ver­nich­tungs­mitteln, die die Chemikalie Glyphosat enthielten (konkret "Roundup"), in strafrechtlich relevanter Weise beschädigt zu haben. Den Aktivisten wird vorgeworfen, gemein­schaftlich handelnd einen einem Dritten gehörenden Gegenstand beschädigt oder zerstört zu haben.

Nationales Gericht erbittet Überprüfung der Pflan­zen­schutz­mit­tel­ver­ordnung

Das Tribunal correctionnel de Foix (Strafgericht Foix) ist der Auffassung, dass die Ungültigkeit der maßgeblichen EU-Verordnung* (im Folgenden: Pflan­zen­schutz­mit­tel­ver­ordnung) die Tatbe­stands­merkmale der den Beschuldigten zur Last gelegten Straftat neutralisieren könnte, und möchte daher vom Gerichtshof wissen, ob diese Verordnung mit dem Vorsorgeprinzip vereinbar ist. Konkret hat es Zweifel, ob mit diesem Prinzip bestimmte Vorschriften der Pflan­zen­schutz­mit­tel­ver­ordnung vereinbar sind, die es dahin auslegt, dass sie

- dem Hersteller des Pflan­zen­schutz­mittels, das in Verkehr gebracht werden soll, ein zu weites Ermessen hinsichtlich der Identifizierung des Stoffs, den er als "Wirkstoff" seines Mittels bezeichnet, einräumen

- vorsehen, dass die im Dossier enthaltenen Analysen und Bewertungen ohne eine unabhängige Gegen­un­ter­suchung und ohne hinreichende Öffentlichkeit vom Hersteller vorgelegt werden,

- nicht gewährleisten, dass das Vorhandensein mehrerer Wirkstoffe in ein und demselben Pflanzenschutzmittel und der mögliche "Cocktaileffekt", der sich daraus ergeben kann, hinreichend berücksichtigt werden, und

- nicht die Durchführung hinreichender Versuche bezüglich der Langzeit­to­xizität gewährleisten.

Vorschriften zum Inver­kehr­bringen von Pflan­zen­schutz­mitteln müssen hohes Gesund­heits­schutz­niveau sicherstellen

In seinem Urteil weist der Gerichtshof zunächst darauf hin, dass der Unions­ge­setzgeber beim Erlass von Vorschriften zum Inver­kehr­bringen von Pflan­zen­schutz­mitteln das Vorsorgeprinzip zu befolgen hat, um u.a. ein hohes Gesund­heits­schutz­niveau sicherzustellen. Diese Vorschriften müssen somit einen normativen Rahmen festlegen, der es den zuständigen Behörden ermöglicht, über hinreichende Angaben zu verfügen, um die sich aus der Verwendung von Pflan­zen­schutz­mitteln für die Gesundheit ergebenden Gefahren zu beurteilen.

Bei Antrag auf Zulassung eines Pflan­zen­schutz­mittels kann nicht über zur Prüfung eingereichte Wirkstoffe frei entschieden werden

Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass der Antragsteller bei der Einreichung seines Antrags auf Zulassung eines Pflan­zen­schutz­mittels jeden Stoff, der in der Zusammensetzung dieses Mittels verwendet wird und die in der Pflan­zen­schutz­mit­tel­ver­ordnung aufgestellten Kriterien erfüllt, anzugeben hat, so dass er entgegen der Prämisse, auf die sich das vorlegende Gericht stützt, keine Möglichkeit hat, nach Ermessen zu entscheiden, welcher Bestandteil des Mittels für die Zwecke der Prüfung des Antrags als ein Wirkstoff anzusehen ist. Er führt weiter aus, dass nicht offensichtlich ist, dass die in dieser Vorschrift genannten Kriterien ungenügend wären, um eine objektive Bestimmung der betreffenden Stoffe zu ermöglichen und sicherzustellen, dass die Stoffe, die für die Wirksamkeit der Pflan­zen­schutz­mittel tatsächlich eine Rolle spielen, bei der Beurteilung der Gefahren, die sich aus der Verwendung dieser Mittel ergeben, tatsächlich berücksichtigt werden.

Der Gerichtshof gelangt daher zu dem Schluss, dass die Entscheidungen, die der Unions­ge­setzgeber hinsichtlich der Verpflichtungen getroffen hat, denen der Antragsteller bezüglich der Identifizierung der Wirkstoffe unterliegt, die Bestandteil des Pflan­zen­schutz­mittels sind, auf das sich sein Zulas­sungs­antrag bezieht, nicht mit einem offen­sicht­lichen Beurtei­lungs­fehler behaftet sind.

Bei Zulassung eines Pflan­zen­schutz­mittels sind Kummulations- und Synergieeffekte des Mittels zu berücksichtigen

Sodann prüft der Gerichtshof die Frage der Vereinbarkeit des behaupteten Fehlens einer Berück­sich­tigung und einer spezifischen Analyse der Wirkungen der Kumulierung mehrerer Wirkstoffe in einem Pflan­zen­schutz­mittel ("Cocktaileffekt") mit dem Vorsorgeprinzip. Er weist darauf hin, dass im Rahmen des Verfahrens zur Zulassung eines Pflan­zen­schutz­mittels die Kummulations- und Synergieeffekte dieses Mittels zu berücksichtigen sind.

Deshalb, so der Gerichtshof, müssen die Verfahren, nach denen die Zulassung eines Pflan­zen­schutz­mittels erfolgt, zwingend eine Beurteilung nicht nur der eigenen Effekte der in diesem Mittel enthaltenen Wirkstoffe, sondern auch der Kumula­ti­o­ns­effekte dieser Stoffe sowie ihre kumulierten Effekte mit anderen Bestandteilen dieses Pflan­zen­schutz­mittels umfassen. Die Pflan­zen­schutz­mit­tel­ver­ordnung ist somit auch insoweit nicht mit einem offen­sicht­lichen Beurtei­lungs­fehler behaftet.

Zuständige Behörden müssen zuverlässigste wissen­schaftliche Daten und neueste internationale Forschungs­er­gebnisse berücksichtigen

Weiter weist der Gerichtshof darauf hin, dass zum einen der Unions­ge­setzgeber die Qualität der zur Stützung eines auf die Pflan­zen­schutz­mit­tel­ver­ordnung gegründeten Antrags vorgelegten Versuche, Studien und Analysen in einen Rahmen fassen wollte, und zum anderen der mit einem Antrag befasste Mitgliedstaat eine unabhängige, objektive und transparente Bewertung dieses Antrags unter Berück­sich­tigung des neuesten Stands von Wissenschaft und Technik vorzunehmen hat, während die Europäische Behörde für Lebens­mit­tel­si­cherheit (EFSA) unter Berück­sich­tigung des neuesten Stands von Wissenschaft und Technik zu entscheiden hat. Aus diesem Grund haben die zuständigen Behörden insbesondere die zuverlässigsten verfügbaren wissen­schaft­lichen Daten sowie die neuesten Ergebnisse der internationalen Forschung zu berücksichtigen und den vom Antragsteller vorgelegten Studien nicht in allen Fällen ein überwiegendes Gewicht beizumessen.

Kommission kann Genehmigung eines Wirkstoffs jederzeit überprüfen

Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass der berich­t­er­stattende Mitgliedstaat einen Entwurf des Bewer­tungs­be­richts erstellt, der den anderen Mitgliedstaaten sowie der EFSA übermittelt wird. Des Weiteren hat Letztere im Hinblick auf die Annahme ihrer Schluss­fol­gerung die Möglichkeit, eine Konsultation mit Experten zu organisieren und die Kommission zu ersuchen, ein gemein­schaft­liches Referenzlabor zu konsultieren, dem der Antragsteller gegebenenfalls Proben und Analy­se­standards vorzulegen hat. Diese Schluss­fol­gerung wird darüber hinaus den Mitgliedstaaten übermittelt. Schließlich kann die Kommission die Genehmigung eines Wirkstoffs jederzeit überprüfen, u.a. wenn es aufgrund neuer wissen­schaft­licher und technischer Kenntnisse Anzeichen dafür gibt, dass der Stoff die Geneh­mi­gungs­kri­terien nach der Pflan­zen­schutz­mit­tel­ver­ordnung nicht mehr erfüllt.

Pflan­zen­schutz­mit­tel­ver­ordnung ist nicht mit offen­sicht­lichem Beurtei­lungs­fehler behaftet

Der Gerichtshof stellt daher fest, dass die Pflan­zen­schutz­mit­tel­ver­ordnung auch insoweit, als sie vorsieht, dass die in den Verfahren zur Genehmigung eines Wirkstoffs und zur Zulassung eines Pflan­zen­schutz­mittels notwendigen Versuche, Studien und Analysen vom Antragsteller vorgelegt werden, ohne dass systematisch die Durchführung einer unabhängigen Gegen­un­ter­suchung verlangt wird, nicht mit einem offen­sicht­lichen Beurtei­lungs­fehler behaftet ist.

Zugangsantrag darf nicht aus Gründen des Schutzes von Geschäfts- und Betrie­bs­ge­heim­nissen abgelehnt werden

Was den Zugang zu den in den Anträgen enthaltenen Informationen anbelangt, betont der Gerichtshof, dass die Pflan­zen­schutz­mit­tel­ver­ordnung ausdrücklich auf die Bestimmungen der Richtlinie über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umwelt­in­for­ma­ti­onen** verweist. In dieser Richtlinie heißt es, dass die Mitgliedstaaten nicht vorsehen dürfen, dass ein Zugangsantrag, der sich auf Informationen über Emissionen in die Umwelt bezieht, aus Gründen des Schutzes von Geschäfts- und Betrie­bs­ge­heim­nissen abgelehnt wird. Diese spezifische Bestimmung gilt u.a. für die Studien, die zur Beurteilung der Schädlichkeit der Verwendung eines Pflan­zen­schutz­mittels oder des Vorhandenseins von Rückständen in der Umweltnach der Anwendung des Mittels bestimmt sind.

Der Gerichtshof stellt daher fest, dass die vom Unions­ge­setzgeber eingeführte Regelung zur Gewährleistung des Zugangs der Öffentlichkeit zu den für die Beurteilung der sich aus der Verwendung eines Pflan­zen­schutz­mittels ergebenden Risiken relevanten Inhalten der die Anträge betreffenden Dossiers nicht mit einem offen­sicht­lichen Beurtei­lungs­fehler behaftet ist.

Pflan­zen­schutz­mittel darf keine sofortigen oder verzögerten schädlichen Auswirkungen auf Gesundheit von Menschen haben

Schließlich weist der Gerichtshof darauf hin, dass ein Pflan­zen­schutz­mittel nur zugelassen werden kann, wenn nachgewiesen ist, dass es keine sofortigen oder verzögerten schädlichen Auswirkungen auf die Gesundheit von Menschen hat, wobei dieser Nachweis vom Antragsteller zu erbringen ist. Weist ein Pflan­zen­schutz­mittel aber eine Art der Karzinogenität oder Langzeit­to­xizität auf, so kann es, wie der Gerichtshof betont, nicht als dieser Voraussetzung genügend angesehen werden. Der Gerichtshof stellt fest, dass es daher die Aufgabe der zuständigen Behörden ist, bei der Prüfung des Antrags auf Zulassung eines Pflan­zen­schutz­mittels zu prüfen, dass die vom Antragsteller vorgelegten Nachweise, zu denen in erster Linie die Versuche, Analysen und Studien zu dem Pflan­zen­schutz­mittel zählen, genügen, um im Licht des wissen­schaft­lichen und technischen Kenntnisstands die Gefahr auszuschließen, dass dieses Mittel eine solche Karzinogenität oder Toxizität aufweist.

Gültigkeit der Pflan­zen­schutz­mit­tel­ver­ordnung wird nicht in Frage gestellt

Somit gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die Prüfung der vom nationalen Gericht vorgelegten Fragen nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der Pflan­zen­schutz­mit­tel­ver­ordnung berühren könnte.

Erläuterungen

* Verordnung (EG) Nr.1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inver­kehr­bringen von Pflan­zen­schutz­mitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates (ABl. 2009, L 309 1).

** Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umwelt­in­for­ma­tionen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates (ABl. 2003, L 41, S. 26).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online (pm/kg)

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