18.10.2024
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Dokument-Nr. 18790

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil04.09.2014

Annullierung eines Reisepass führt nicht zur Ungültigkeit eines auf dem Reisepass angebrachten VisumsGültiges Visum muss nicht zwingend auf gültigem Reisedokument angebracht werden

Dritt­staats­an­gehörige können auch dann in das Hoheitsgebiet der Union einreisen, wenn sie einen gültigen Reisepass ohne Visum und ein gültiges Visum in einem ungültigen Reisepass vorlegen. Die Annullierung eines Reisepasses führt nämlich nicht zur Ungültigkeit eines auf diesem Reisepass angebrachten einheitlichen Visums. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Im zugrunde liegenden Fall reiste ein indischer Staats­an­ge­höriger am 8. Oktober 2010 mit der Luftfahrt­ge­sell­schaft Air Baltic von Moskau (Russland) nach Riga (Lettland). Bei der Grenzkontrolle im Flughafen Riga legte er einen gültigen indischen Reisepass ohne Visum und einen annullierten indischen Reisepass vor, auf dem ein von Italien erteiltes gültiges einheitliches Visum angebracht war. Dem indischen Staats­an­ge­hörigen wurde mit der Begründung, dass er kein gültiges Visum habe, die Einreise in das lettische Hoheitsgebiet verweigert.

Führt Annullierung eines Reisepasses automatisch zur Ungültigkeit eines auf diesem Reisepass angebrachten einheitlichen Visums?

Die lettische Verwaltung verhängte gegen Air Baltic eine Verwal­tungs­geldbuße in Höhe von 2.000 lettischen Lats (etwa 2.850 Euro), da sie eine Person ohne die für den Grenzübertritt erforderlichen Reisedokumente nach Lettland befördert habe. Air Baltic focht diese Verwal­tungs­geldbuße vor den lettischen Gerichten an. Das mit diesem Rechtsstreit befasste Administrativa apgabaltiesa (Regionales Verwal­tungs­gericht, Lettland) hat dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage vorgelegt, ob die Annullierung eines Reisepasses automatisch zur Ungültigkeit eines von einer Behörde eines Mitgliedstaats erteilten und auf diesem Reisepass angebrachten einheitlichen Visums führt. Der Gerichtshof soll auch entscheiden, ob Dritt­staats­an­ge­hörige nach dem Unionsrecht (Schengener Grenzkodex und Visakodex)* ein gültiges Visum in einem gültigen Reisedokument vorlegen müssen, um in das Hoheitsgebiet der Union einreisen zu können, und ob Lettland eine solche Einrei­se­vor­aus­setzung in seinen Rechts­vor­schriften vorsehen durfte.

Annullierung eines Visums darf nur durch die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats erfolgen

In seinem Urteil erklärt der Gerichtshof in Beantwortung der ersten Frage, dass gemäß dem Visakodex nur die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats das Visum annullieren dürfen. Dies bedeutet für den konkreten Fall, dass die Annullierung des Reisepasses durch die indischen Behörden nicht automatisch die Annullierung oder Aufhebung des von Italien erteilten Visums zur Folge haben kann.

Voraussetzungen für Einreise in EU-Gebiet sind gültiger Reisepass und gültiges Visum

Zur Frage, ob Dritt­staats­an­ge­hörige zwingend ein gültiges Visum in einem gültigen Reisedokument vorlegen müssen, stellt der Gerichtshof fest, dass gemäß dem Schengener Grenzkodex die Einreise von Dritt­staats­an­ge­hörigen in das Hoheitsgebiet der Union insbesondere von zwei verschiedenen Voraussetzungen abhängt, nämlich zum einen von der Vorlage eines gültigen Reisedokuments und zum anderen von der Vorlage eines gültigen Visums.

Visum darf gemäß dem Visakodex auch auf gesondertem Blatt außerhalb des Reisedokuments angebracht werden

In einem Fall wie dem hier in Rede stehenden (Dritt­staats­an­ge­höriger, der ein gültiges Visum und ein gültiges Reisedokument getrennt voneinander vorlegt) wollte der Unions­ge­setzgeber nach Ansicht des Gerichtshofs nicht jegliche Möglichkeit ausschließen, in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen. So weist der Gerichtshof darauf hin, dass ein Visum gemäß dem Visakodex auf einem gesonderten Blatt (und nicht auf dem Reisedokument) angebracht werden kann, falls der ausstellende Mitgliedstaat das ihm vorgelegte Reisedokument nicht anerkennt.

Gültiges Visum muss nicht zwingend auf gültigem Reisedokument angebracht werden

Außerdem enthält das Formular, das die mit den Grenzkontrollen beauftragten Behörden zur Überprüfung der Einhaltung der Einrei­se­vor­aus­set­zungen ausfüllen müssen, kein Kästchen, anhand dessen die Einrei­se­ver­wei­gerung damit begründet werden könnte, dass ein gültiges Visum nicht auf einem gültigen Reisedokument angebracht sei. Schließlich versetzt die Vorlage von zwei verschiedenen Reisedokumenten die Kontroll­be­hörden nach Ansicht des Gerichtshofs nicht in eine Situation, in der sie nicht in der Lage wären, unter angemessenen Bedingungen die erforderlichen Kontrollen unter Berück­sich­tigung der Angaben in den beiden ihnen vorgelegten Reisedokumenten durchzuführen. Der Gerichtshof gelangt daher zu dem Ergebnis, dass gültige Visa nicht unbedingt auf einem gültigen Reisedokument angebracht sein müssen.

Mitgliedsstaat ist nicht berechtigt, Einreise von weiteren Voraussetzungen abhängig zu machen

In Beantwortung der letzten Frage stellt der Gerichtshof fest, dass Lettland nicht berechtigt war, die Einreise von Dritt­staats­an­ge­hörigen davon abhängig zu machen, dass ein gültiges Visum unbedingt auf einem gültigen Reisedokument angebracht sein muss. Die Mitgliedstaaten verfügen nämlich über keinen Wertungs­spielraum, der es ihnen erlauben würde, Dritt­staats­an­ge­hörigen die Einreise unter Berufung auf eine nicht im Schengener Grenzkodex vorgesehene Voraussetzung zu verweigern: So enthält dieser Kodex keine Vorschrift, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen würde, zusätzliche Einrei­se­vor­aus­set­zungen aufzustellen, da diese Voraussetzungen abschließend aufgeführt sind.

Erläuterungen
* Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemein­schaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 105, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 265/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. März 2010 (ABl. L 85, S. 1) geänderten Fassung und Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex) (ABl. L 243, S. 1).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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