21.11.2024
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Dokument-Nr. 9747

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Urteil01.06.2010Gerichtshof der Europäischen UnionC-570/07 und C-571/07
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil01.06.2010

Begrenzungen bei Errichtung neuer Apotheken in Asturien stellt grundsätzlich Beschränkung der Nieder­las­sungs­freiheit darRegelungen zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Arznei­mit­tel­ver­sorgung der Bevölkerung jedoch zulässig

Die demografischen und geografischen Begrenzungen, die die Regelung von Asturien für die Errichtung neuer Apotheken festlegt, stellen eine Beschränkung der Nieder­las­sungs­freiheit dar. Diese Begrenzungen sind aber mit dem Unionsrecht vereinbar, vorausgesetzt, sie lassen sich so ausgestalten, dass in Bezirken mit besonderen demografischen Merkmalen die Errichtung einer hinreichenden Zahl von Apotheken, die einen angemessenen pharma­zeu­tischen Dienst gewährleisten können, nicht verhindert wird. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften.

In Spanien machen die nationalen Rechts­vor­schriften die Errichtung einer neuen Apotheke von der Erteilung einer vorherigen behördlichen Erlaubnis abhängig. Diese Rechts­vor­schriften werden durch die Autonomen Gemeinschaften umgesetzt, die die genauen Kriterien für die Erteilung einer Erlaubnis zur Eröffnung von Apotheken festlegen.

Errichtung einer Apotheke nur pro Einheit von 2.800 Einwohnern zulässig

Im Jahr 2002 beschloss die Autonome Gemeinschaft Asturien (Spanien), zur Einreichung von Bewerbungen für die Erteilung von Zulassungen für Apotheken aufzurufen. Diese Entscheidung beruhte auf dem asturischen Dekret zur Regelung des Apothekenwesens. Mit diesem wurde eine Zulas­sungs­re­gelung eingeführt, die die Zahl der Apotheken in einem Gebiet nach Maßgabe der dortigen Bevöl­ke­rungszahl begrenzt (so kann grundsätzlich nur eine einzige Apotheke pro Einheit von 2.800 Einwohnern errichtet werden, und eine zusätzliche Apotheke kann nur errichtet werden, wenn diese Schwelle überschritten wird, wobei diese Apotheke bei einer Überschreitung um mehr als 2.000 Einwohner errichtet wird). Außerdem ist nach dieser Regelung die Eröffnung einer Apotheke in einer Entfernung von weniger als 250 Metern von einer anderen Apotheke untersagt. Schließlich legt das Dekret auch die Kriterien fest, nach denen konkurrierende Apotheker ausgewählt werden, indem Punkte aufgrund der beruflichen und universitären Erfahrung der Bewerber vergeben werden.

Sachverhalt

José Manuel Blanco Pérez und María del Pilar Chao Gómez, beide diplomierte Apotheker, wollen in Asturien eine neue Apotheke eröffnen, ohne dass die Regelung der territorialen Planung, die sich aus dem asturischen Dekret ergibt, auf sie Anwendung finden soll. Daher haben sie gegen den Bewer­bungs­aufruf Asturiens und gegen das genannte Dekret Klage erhoben.

Gericht hat Zweifel an Vereinbarkeit von asturischem Dekret mit Grundsatz der Nieder­las­sungs­freiheit

Das mit den Rechtss­trei­tig­keiten befasste Tribunal Superior de Justicia de Asturias (Spanien) hegt Zweifel an der Vereinbarkeit des asturischen Dekrets mit dem im Vertrag verankerten Grundsatz der Niederlassungsfreiheit und hat deshalb den Gerichtshof angerufen.

Gerichtshof hält Beschränkung der Nieder­las­sungs­freiheit in Ausnahmen für zulässig

In seinem Urteil befindet der Gerichtshof, dass die im asturischen Dekret festgelegten Voraussetzungen, die mit der Bevöl­ke­rungs­dichte und der Mindes­t­ent­fernung zwischen Apotheken in Zusammenhang stehen (nämlich eine Mindestzahl von 2 800 oder 2 000 Einwohnern pro Apotheke und eine Mindes­t­ent­fernung von 250 Metern zwischen Apotheken), eine Beschränkung der Nieder­las­sungs­freiheit darstellen. Jedoch können solche Maßnahmen gerechtfertigt sein, wenn sie vier Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen diskri­mi­nie­rungsfrei angewandt werden, durch zwingende Gründe des Allge­mein­in­teresses gerechtfertigt sein, geeignet sein, die Erreichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

Sichere und qualitativ hochwertige Arznei­mit­tel­ver­sorgung geeignetes Ziel für zulässige Beschränkung

Zunächst stellt der Gerichtshof fest, dass die Voraussetzungen, die mit der Bevöl­ke­rungs­dichte und der Mindes­t­ent­fernung zwischen Apotheken in der Region in Zusammenhang stehen, ohne Diskriminierung aus Gründen der Staats­an­ge­hö­rigkeit Anwendung finden. Sodann führt er aus, dass das Ziel der mit dem asturischen Dekret festgelegten demografischen und geografischen Beschränkungen darin besteht, eine sichere und qualitativ hochwertige Arznei­mit­tel­ver­sorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Somit liegt in diesem Ziel ein zwingender Grund des Allge­mein­in­teresses, der geeignet ist, eine Regelung wie die in den Ausgangs­ver­fahren fragliche zu rechtfertigen.

Weniger attraktive Ortschaften könnten ohne Regelung unter unzureichenden Zahl von Apothekern leiden

Der Gerichtshof hält die asturische Regelung zudem für geeignet, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten. Es lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass sich ohne jede Regulierung Apotheker in als attraktiv beurteilten Ortschaften konzentrieren, so dass bestimmte andere, weniger attraktive Ortschaften unter einer unzureichenden Zahl von Apothekern, die einen sicheren und qualitativ hochwertigen pharma­zeu­tischen Dienst gewährleisten könnten, leiden würden.

Einheitlicher Anwendung der Regelung könnte unter Umständen angemessene Zugang zum pharma­zeu­tischen Dienst für Bevölkerung nicht gewährleistet

Der Gerichtshof prüft jedoch die Kohärenz der asturischen Regelung im Hinblick auf das Ziel, eine sichere und qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu gewährleisten. Dazu weist er darauf hin, dass bei einheitlicher Anwendung der im asturischen Dekret festgelegten Grundregeln von 2.800 Einwohnern und 250 Metern Entfernung zwischen Apotheken die Gefahr besteht, dass in Bezirken, die bestimmte demografische Besonderheiten aufweisen, ein angemessener Zugang zum pharma­zeu­tischen Dienst nicht gewährleistet ist. Würde die Voraussetzung der Mindestanzahl von 2.800 Einwohnern unverändert in bestimmten ländlichen Gebieten angewandt, in denen die Bevölkerung im Allgemeinen verstreut siedelt und weniger zahlreich ist, fänden nämlich erstens bestimmte Einwohner keine Apotheke in vernünftiger Entfernung vor, so dass ihnen ein angemessener Zugang zum pharma­zeu­tischen Dienst genommen würde. Zweitens bestünde in bestimmten Gebieten mit starker Bevöl­ke­rungs­kon­zen­tration bei einer strikten Anwendung der Voraussetzung der Mindes­t­ent­fernung von 250 Metern zwischen den Apotheken die Gefahr, dass eine Lage eintritt, in der das für eine einzige Apotheke vorgesehene Einzugsgebiet mehr als 2.800 Einwohner umfasst.

Anpas­sungs­maß­nahmen sollen Auswirkungen der Anwendung der 2.800-Einwohner-Grundregel abmildern

Das asturische Dekret führt, wie der Gerichtshof dargelegt hat, die nationalen Rechts­vor­schriften durch. Letztere sehen bestimmte Anpas­sungs­maß­nahmen vor, die es ermöglichen, die Auswirkungen der Anwendung der 2.800-Einwohner-Grundregel abzumildern. Denn nach den nationalen Rechts­vor­schriften können die Autonomen Gemeinschaften in Bezirken, in denen aufgrund ihrer Merkmale bei Anwendung der allgemeinen Kriterien es nicht möglich ist, eine in einem solchen besonderen Bezirk gelegene Apotheke für den in ihrem Umfeld lebenden Bevöl­ke­rungsteil leichter zugänglich zu machen, unter 2.800 Einwohnern pro Apotheke liegende Bevöl­ke­rungs­ein­heiten festlegen. Außerdem können die Autonomen Gemeinschaften nach den genannten nationalen Rechts­vor­schriften in Abhängigkeit von der Bevöl­ke­rungs­kon­zen­tration geringere Entfernungen als 250 Meter zwischen Apotheken gestatten und auf diese Weise die Zahl der Apotheken in Gebieten mit sehr starker Bevöl­ke­rungs­kon­zen­tration erhöhen. Unter diesen Voraussetzungen befindet der Gerichtshof, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, zu prüfen, ob die zuständigen Behörden Gebrauch von der Befugnis machen, die durch die nationalen Rechts­vor­schriften in jedem räumlichen Bezirk mit besonderen demografischen Merkmalen eingeräumt wird.

Schließlich geht die asturische Regelung nach Ansicht des Gerichtshofs nicht über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels, eine sichere und qualitativ hochwertige Arznei­mit­tel­ver­sorgung der Bevölkerung sicherzustellen, erforderlich ist.

Beschränkung der Nieder­las­sungs­freiheit nur zulässig, wenn angemessener pharma­zeu­tischer Dienst gewährleistet werden kann

Demgemäß gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die im asturischen Dekret festgelegten Voraussetzungen, die mit der Bevöl­ke­rungs­dichte und der Mindes­t­ent­fernung zwischen Apotheken in Zusammenhang stehen, der Nieder­las­sungs­freiheit nicht entgegenstehen, sofern die Grundregeln von 2.800 Einwohnern und 250 Metern in jedem räumlichen Bezirk mit besonderen demografischen Merkmalen die Errichtung einer hinreichenden Zahl von Apotheken, die einen angemessenen pharma­zeu­tischen Dienst gewährleisten können, nicht verhindern, was das nationalen Gericht zu prüfen hat.

Vorab weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Nieder­las­sungs­freiheit verlangt, dass die im Rahmen eines behördlichen Erlaub­nis­vor­behalts anwendbaren Kriterien nicht diskriminierend sind.

Auswahl­kri­terien bei neuen Apotheken haben diskri­mi­nie­renden Charakter

Nach dem asturischen Dekret für die auf die Berufsausübung bezogenen beruflichen Verdienste, die in der Autonomen Gemeinschaft Asturien erworben wurden, wird ein Aufschlag von 20 % gewährt. Außerdem werden die Zulassungen bei Punkte­gleichheit mehrerer Bewerber in einer Reihenfolge vergeben, die bestimmten Bewer­ber­ka­te­gorien Vorrang einräumt. Hierzu gehören an dritter Stelle die Bewerber, die in der Autonomen Gemeinschaft Asturien ihren Beruf ausgeübt haben. Nach Ansicht des Gerichtshofs können diese beiden Kriterien leichter von inländischen Apothekern erfüllt werden, die ihrer wirtschaft­lichen Tätigkeit zumeist im nationalen Hoheitsgebiet nachgehen, als von Apothekern mit der Staats­an­ge­hö­rigkeit anderer Mitgliedstaaten, die diese Tätigkeiten zumeist in einem anderen Mitgliedstaat ausüben. Folglich gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass diese beiden Auswahl­kri­terien diskri­mi­nie­renden Charakter haben und dass ihnen somit die Nieder­las­sungs­freiheit entgegensteht.

Quelle: ra-online, EuGH

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