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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil01.06.2010
Begrenzungen bei Errichtung neuer Apotheken in Asturien stellt grundsätzlich Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darRegelungen zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung jedoch zulässig
Die demografischen und geografischen Begrenzungen, die die Regelung von Asturien für die Errichtung neuer Apotheken festlegt, stellen eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. Diese Begrenzungen sind aber mit dem Unionsrecht vereinbar, vorausgesetzt, sie lassen sich so ausgestalten, dass in Bezirken mit besonderen demografischen Merkmalen die Errichtung einer hinreichenden Zahl von Apotheken, die einen angemessenen pharmazeutischen Dienst gewährleisten können, nicht verhindert wird. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften.
In Spanien machen die nationalen Rechtsvorschriften die Errichtung einer neuen Apotheke von der Erteilung einer vorherigen behördlichen Erlaubnis abhängig. Diese Rechtsvorschriften werden durch die Autonomen Gemeinschaften umgesetzt, die die genauen Kriterien für die Erteilung einer Erlaubnis zur Eröffnung von Apotheken festlegen.
Errichtung einer Apotheke nur pro Einheit von 2.800 Einwohnern zulässig
Im Jahr 2002 beschloss die Autonome Gemeinschaft Asturien (Spanien), zur Einreichung von Bewerbungen für die Erteilung von Zulassungen für Apotheken aufzurufen. Diese Entscheidung beruhte auf dem asturischen Dekret zur Regelung des Apothekenwesens. Mit diesem wurde eine Zulassungsregelung eingeführt, die die Zahl der Apotheken in einem Gebiet nach Maßgabe der dortigen Bevölkerungszahl begrenzt (so kann grundsätzlich nur eine einzige Apotheke pro Einheit von 2.800 Einwohnern errichtet werden, und eine zusätzliche Apotheke kann nur errichtet werden, wenn diese Schwelle überschritten wird, wobei diese Apotheke bei einer Überschreitung um mehr als 2.000 Einwohner errichtet wird). Außerdem ist nach dieser Regelung die Eröffnung einer Apotheke in einer Entfernung von weniger als 250 Metern von einer anderen Apotheke untersagt. Schließlich legt das Dekret auch die Kriterien fest, nach denen konkurrierende Apotheker ausgewählt werden, indem Punkte aufgrund der beruflichen und universitären Erfahrung der Bewerber vergeben werden.
Sachverhalt
José Manuel Blanco Pérez und María del Pilar Chao Gómez, beide diplomierte Apotheker, wollen in Asturien eine neue Apotheke eröffnen, ohne dass die Regelung der territorialen Planung, die sich aus dem asturischen Dekret ergibt, auf sie Anwendung finden soll. Daher haben sie gegen den Bewerbungsaufruf Asturiens und gegen das genannte Dekret Klage erhoben.
Gericht hat Zweifel an Vereinbarkeit von asturischem Dekret mit Grundsatz der Niederlassungsfreiheit
Das mit den Rechtsstreitigkeiten befasste Tribunal Superior de Justicia de Asturias (Spanien) hegt Zweifel an der Vereinbarkeit des asturischen Dekrets mit dem im Vertrag verankerten Grundsatz der Niederlassungsfreiheit und hat deshalb den Gerichtshof angerufen.
Gerichtshof hält Beschränkung der Niederlassungsfreiheit in Ausnahmen für zulässig
In seinem Urteil befindet der Gerichtshof, dass die im asturischen Dekret festgelegten Voraussetzungen, die mit der Bevölkerungsdichte und der Mindestentfernung zwischen Apotheken in Zusammenhang stehen (nämlich eine Mindestzahl von 2 800 oder 2 000 Einwohnern pro Apotheke und eine Mindestentfernung von 250 Metern zwischen Apotheken), eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit darstellen. Jedoch können solche Maßnahmen gerechtfertigt sein, wenn sie vier Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen diskriminierungsfrei angewandt werden, durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, geeignet sein, die Erreichung des mit ihnen verfolgten Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
Sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung geeignetes Ziel für zulässige Beschränkung
Zunächst stellt der Gerichtshof fest, dass die Voraussetzungen, die mit der Bevölkerungsdichte und der Mindestentfernung zwischen Apotheken in der Region in Zusammenhang stehen, ohne Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit Anwendung finden. Sodann führt er aus, dass das Ziel der mit dem asturischen Dekret festgelegten demografischen und geografischen Beschränkungen darin besteht, eine sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Somit liegt in diesem Ziel ein zwingender Grund des Allgemeininteresses, der geeignet ist, eine Regelung wie die in den Ausgangsverfahren fragliche zu rechtfertigen.
Weniger attraktive Ortschaften könnten ohne Regelung unter unzureichenden Zahl von Apothekern leiden
Der Gerichtshof hält die asturische Regelung zudem für geeignet, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten. Es lässt sich nämlich nicht ausschließen, dass sich ohne jede Regulierung Apotheker in als attraktiv beurteilten Ortschaften konzentrieren, so dass bestimmte andere, weniger attraktive Ortschaften unter einer unzureichenden Zahl von Apothekern, die einen sicheren und qualitativ hochwertigen pharmazeutischen Dienst gewährleisten könnten, leiden würden.
Einheitlicher Anwendung der Regelung könnte unter Umständen angemessene Zugang zum pharmazeutischen Dienst für Bevölkerung nicht gewährleistet
Der Gerichtshof prüft jedoch die Kohärenz der asturischen Regelung im Hinblick auf das Ziel, eine sichere und qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu gewährleisten. Dazu weist er darauf hin, dass bei einheitlicher Anwendung der im asturischen Dekret festgelegten Grundregeln von 2.800 Einwohnern und 250 Metern Entfernung zwischen Apotheken die Gefahr besteht, dass in Bezirken, die bestimmte demografische Besonderheiten aufweisen, ein angemessener Zugang zum pharmazeutischen Dienst nicht gewährleistet ist. Würde die Voraussetzung der Mindestanzahl von 2.800 Einwohnern unverändert in bestimmten ländlichen Gebieten angewandt, in denen die Bevölkerung im Allgemeinen verstreut siedelt und weniger zahlreich ist, fänden nämlich erstens bestimmte Einwohner keine Apotheke in vernünftiger Entfernung vor, so dass ihnen ein angemessener Zugang zum pharmazeutischen Dienst genommen würde. Zweitens bestünde in bestimmten Gebieten mit starker Bevölkerungskonzentration bei einer strikten Anwendung der Voraussetzung der Mindestentfernung von 250 Metern zwischen den Apotheken die Gefahr, dass eine Lage eintritt, in der das für eine einzige Apotheke vorgesehene Einzugsgebiet mehr als 2.800 Einwohner umfasst.
Anpassungsmaßnahmen sollen Auswirkungen der Anwendung der 2.800-Einwohner-Grundregel abmildern
Das asturische Dekret führt, wie der Gerichtshof dargelegt hat, die nationalen Rechtsvorschriften durch. Letztere sehen bestimmte Anpassungsmaßnahmen vor, die es ermöglichen, die Auswirkungen der Anwendung der 2.800-Einwohner-Grundregel abzumildern. Denn nach den nationalen Rechtsvorschriften können die Autonomen Gemeinschaften in Bezirken, in denen aufgrund ihrer Merkmale bei Anwendung der allgemeinen Kriterien es nicht möglich ist, eine in einem solchen besonderen Bezirk gelegene Apotheke für den in ihrem Umfeld lebenden Bevölkerungsteil leichter zugänglich zu machen, unter 2.800 Einwohnern pro Apotheke liegende Bevölkerungseinheiten festlegen. Außerdem können die Autonomen Gemeinschaften nach den genannten nationalen Rechtsvorschriften in Abhängigkeit von der Bevölkerungskonzentration geringere Entfernungen als 250 Meter zwischen Apotheken gestatten und auf diese Weise die Zahl der Apotheken in Gebieten mit sehr starker Bevölkerungskonzentration erhöhen. Unter diesen Voraussetzungen befindet der Gerichtshof, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, zu prüfen, ob die zuständigen Behörden Gebrauch von der Befugnis machen, die durch die nationalen Rechtsvorschriften in jedem räumlichen Bezirk mit besonderen demografischen Merkmalen eingeräumt wird.
Schließlich geht die asturische Regelung nach Ansicht des Gerichtshofs nicht über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels, eine sichere und qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen, erforderlich ist.
Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nur zulässig, wenn angemessener pharmazeutischer Dienst gewährleistet werden kann
Demgemäß gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass die im asturischen Dekret festgelegten Voraussetzungen, die mit der Bevölkerungsdichte und der Mindestentfernung zwischen Apotheken in Zusammenhang stehen, der Niederlassungsfreiheit nicht entgegenstehen, sofern die Grundregeln von 2.800 Einwohnern und 250 Metern in jedem räumlichen Bezirk mit besonderen demografischen Merkmalen die Errichtung einer hinreichenden Zahl von Apotheken, die einen angemessenen pharmazeutischen Dienst gewährleisten können, nicht verhindern, was das nationalen Gericht zu prüfen hat.
Vorab weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Niederlassungsfreiheit verlangt, dass die im Rahmen eines behördlichen Erlaubnisvorbehalts anwendbaren Kriterien nicht diskriminierend sind.
Auswahlkriterien bei neuen Apotheken haben diskriminierenden Charakter
Nach dem asturischen Dekret für die auf die Berufsausübung bezogenen beruflichen Verdienste, die in der Autonomen Gemeinschaft Asturien erworben wurden, wird ein Aufschlag von 20 % gewährt. Außerdem werden die Zulassungen bei Punktegleichheit mehrerer Bewerber in einer Reihenfolge vergeben, die bestimmten Bewerberkategorien Vorrang einräumt. Hierzu gehören an dritter Stelle die Bewerber, die in der Autonomen Gemeinschaft Asturien ihren Beruf ausgeübt haben. Nach Ansicht des Gerichtshofs können diese beiden Kriterien leichter von inländischen Apothekern erfüllt werden, die ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zumeist im nationalen Hoheitsgebiet nachgehen, als von Apothekern mit der Staatsangehörigkeit anderer Mitgliedstaaten, die diese Tätigkeiten zumeist in einem anderen Mitgliedstaat ausüben. Folglich gelangt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass diese beiden Auswahlkriterien diskriminierenden Charakter haben und dass ihnen somit die Niederlassungsfreiheit entgegensteht.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 07.06.2010
Quelle: ra-online, EuGH
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