03.12.2024
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Dokument-Nr. 9739

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Urteil03.06.2010Gerichtshof der Europäischen UnionC-569/08
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • CR 2010, 615Zeitschrift: Computer und Recht (CR), Jahrgang: 2010, Seite: 615
  • MMR 2010, 538Zeitschrift: Multimedia und Recht (MMR), Jahrgang: 2010, Seite: 538
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ergänzende Informationen

Gerichtshof der Europäischen Union Urteil03.06.2010

reifen.eu: EuGH zum Widerruf spekulativer oder missbräuch­licher Registrierungen von "eu"-DomainnamenBei Erfüllung der vom Gericht aufgestellten Missbrauchs­kri­terien kann Domainname entzogen werden

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat die Kriterien präzisiert, die für den Widerruf spekulativer oder missbräuch­licher Registrierungen von Namen der Domäne oberster Stufe „.eu“ gelten. Bei der Beurteilung, ob ein Domänenname bösgläubig registriert wurde, sind alle im Einzelfall erheblichen Faktoren zu berücksichtigen.

Am 7. Dezember 2005 wurde mit der Registrierung von Namen der Domäne oberster Stufe „.eu“ begonnen. Diese Registrierung, mit der die „European Registry for Internet Domains“ (EURid) in Brüssel betraut ist, begann gestaffelt in drei Phasen, wobei in jeder dieser Phasen ein früher eingereichter Regis­trie­rungs­antrag Vorrang vor einem später eingereichten besitzt. Die ersten beiden Phasen bildeten eine Vorre­gis­trie­rungsfrist („sunrise period“), in der die Registrierung allein den Inhabern älterer Rechte und öffentlichen Einrichtungen vorbehalten war; dabei waren in der ersten Phase u. a. die Inhaber eingetragener nationaler und Gemein­schafts­marken antrags­be­rechtigt. Die Registrierung eines Domänennamens, die in spekulativer oder missbräuch­licher Weise und insbesondere bösgläubig erwirkt wurde, kann im Wege eines Schieds­ver­fahrens und gegebenenfalls eines Gerichts­ver­fahrens widerrufen werden.

Sachverhalt

Ein öster­rei­chisches Unternehmen, die Internetportal und Marketing GmbH, ließ auf der Grundlage der Marke &R&E&I&F&E&N&, die es vorher in Schweden für „Sicher­heitsgurte“ hatte eintragen lassen, in der ersten Phase der Vorre­gis­trie­rungsfrist den Domänennamen „www.reifen.eu“ registrieren. Es hatte jedoch nicht die Absicht, die Marke &R&E&I&F&E&N& für die Waren, für die sie eingetragen worden war, zu benutzen, sondern plante vielmehr, unter dem auf diese Weise registrierten Domänennamen ein Internetportal für den Reifenhandel zu betreiben. Um den gewünschten Domänennamen „www.reifen.eu“ in der ersten Phase der gestaffelten Registrierung registrieren lassen zu können, ließ das Unternehmen aus seiner schwedischen Marke &R&E&I&F&E&N& alle Sonderzeichen „&“ entfernen, wofür es sich einer der in den Gemein­schafts­vor­schriften vorgesehenen Regeln für die Übertragung von Sonderzeichen bediente. Da nämlich diese Sonderzeichen aus technischen Gründen nicht in einem Domänennamen enthalten sein können, ist nach diesen Regeln u. a. ihre Entfernung aus dem zu registrierenden Namen zulässig. Ferner ließ die Internetportal und Marketing GmbH in Schweden als Marken 33 Gattungs­be­zeich­nungen eintragen, in denen vor und nach jedem Buchstaben das Sonderzeichen „&“ eingefügt war, und stellte 180 Anträge auf Registrierung von Domänennamen, die Gattungs­be­zeich­nungen entsprechen.

Schiedsgericht unterstellt bösgläubiges Handeln und entzieht fraglichen Domänennamen

Im Fall des Domänennamens „www.reifen.eu“ wurde von dem Inhaber der Benelux-Marke Reifen, eingetragen u. a. für Fenster­rei­ni­gungs­produkte, das Schiedsgericht bei der Wirtschafts­kammer und der Landwirt­schafts­kammer der Tschechischen Republik angerufen, das für Schieds­ver­fahren im Zusammenhang mit der Domäne „.eu“ zuständig ist. Das Schiedsgericht gelangte zu dem Ergebnis, dass die Internetportal und Marketing GmbH bösgläubig gehandelt habe, entzog ihr den fraglichen Domänennamen und übertrug ihn auf den Inhaber der Marke Reifen. Der Oberste Gerichtshof der Republik Österreich, der über diesen Rechtsstreit in letzter Instanz zu entscheiden hat, hat in dessen Rahmen dem Gerichtshof mehrere Fragen zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt.

EuGH zur Beurteilung eines möglichen bösgläubigen Verhaltens

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof zunächst klar, dass Bösgläubigkeit auch durch andere als die in der Gemein­schafts­re­gelung ausdrücklich aufgeführten Umstände nachgewiesen werden kann, da die darin niedergelegte Aufzählung solcher Umstände nicht abschließender Art ist. Zweitens stellt der Gerichtshof fest, dass für die Beurteilung der Frage, ob ein bösgläubiges Verhalten vorliegt, alle im Einzelfall erheblichen Faktoren und insbesondere sowohl die Umstände zu berücksichtigen sind, unter denen die Eintragung der Marke erwirkt wurde, die als Grundlage für die Registrierung des fraglichen Domänennamens in der ersten Phase des Regis­trie­rungs­ver­fahrens diente, als auch die Umstände, unter denen dieser Name der Domäne oberster Stufe „.eu“ selbst registriert wurde.

EuGH nennt vier Kriterien die auf Bösgläubigkeit hindeuten

Was die Umstände betrifft, unter denen die Eintragung der Marke erwirkt wurde, sind insbesondere zu berücksichtigen (1) die Absicht, die Marke nicht auf dem Markt zu benutzen, für den ihr Schutz beantragt wurde, (2) eine semantisch und visuell unübliche und sprachlich widersinnige Gestaltung dieser Marke, (3) die Erwirkung einer großen Zahl von anderen Marken, die Gattungs­be­griffen entsprechen, und (4) die Erwirkung der Eintragung der Marke kurz vor Beginn der gestaffelten Registrierung von Namen der Domäne oberster Stufe „.eu“.

Was die Umstände betrifft, unter denen der fragliche Name der Domäne oberster Stufe „.eu“ registriert wurde, sind insbesondere zu berücksichtigen (1) die missbräuchliche Verwendung von Sonderzeichen oder Inter­punk­ti­o­ns­zeichen zum Zweck der Anwendung der in der Gemein­schafts­re­gelung vorgesehenen Regeln für die Übertragung solcher Zeichen, (2) die Registrierung in der ersten Phase der gestaffelten Registrierung auf der Grundlage einer Marke, die unter Umständen wie den vorstehend genannten erlangt wurde, und (3) die Beantragung der Registrierung einer großen Zahl von Domänennamen, die Gattungs­be­griffen entsprechen.

Vorgehen des Unternehmens zielte offenkundig auf Umgehung des Verfahrens der gestaffelten Registrierung ab

Schließlich betont der Gerichtshof, dass die Internetportal und Marketing GmbH ohne den Kunstgriff einer Marke, die nur zu dem Zweck ersonnen und eingetragen wurde, den gewünschten Domänennamen in der ersten Phase registrieren lassen zu können, die allgemeine Registrierung von Namen der Domäne oberster Stufe „.eu“ hätte abwarten müssen und damit wie jeder andere an dem fraglichen Domänennamen Interessierte dem Risiko ausgesetzt gewesen wäre, dass ihrem Antrag nach dem oben erwähnten Grundsatz der durch den Antrags­zeitpunkt bestimmten Rangfolge der früher eingereichte Antrag eines anderen Interessierten vorgegangen wäre. Ein solches Vorgehen zielt jedoch offenkundig darauf ab, das Verfahren der gestaffelten Registrierung zu umgehen.

Quelle: ra-online, EuGH

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