21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil25.10.2011

EuGH: Opfer von Persön­lich­keits­ver­let­zungen im Internet können wegen sämtlicher entstandener Schäden vor Gerichten ihres Wohnsitz­mit­glied­staats klagenWebsi­te­be­treiber darf in anderen Staaten keinen strengeren Anforderungen unterworfen sein als denen seines eigenen Sitzmit­glied­staats

Die Opfer mittels des Internets begangener Persön­lich­keits­ver­let­zungen können wegen des gesamten entstandenen Schadens die Gerichte ihres Wohnsitz­mit­glied­staats anrufen. Der Betreiber einer Website, für die die Richtlinie über den elektronischen Rechtsverkehr gilt, darf jedoch in diesem Staat keinen strengeren als den im Recht seines Sitzmit­glied­staats vorgesehenen Anforderungen unterworfen werden. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Nach der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit* sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, grundsätzlich vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen. Bilden jedoch eine unerlaubte Handlung, eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens, so kann eine Person auch in einem anderen Mitgliedstaat vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, verklagt werden. So hat ein Betroffener bei Ehrverletzungen durch einen in mehreren Mitgliedstaaten verbreiteten Artikel in Printmedien für die Erhebung einer Schaden­s­er­satzklage gegen den Herausgeber zwei Möglichkeiten. Zum einen kann er die Gerichte des Staates anrufen, in dem der Herausgeber ansässig ist, wobei diese Gerichte für die Entscheidung über den Ersatz sämtlicher durch die Ehrverletzung entstandener Schäden zuständig sind. Zum anderen kann er sich an die Gerichte jedes Mitgliedstaats wenden, in dem die Veröf­fent­lichung verbreitet worden ist und in dem das Ansehen des Betroffenen nach dessen Vorbringen beeinträchtigt worden ist (Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs). In diesem Fall sind die nationalen Gerichte jedoch nur für die Entscheidung über den Ersatz der Schäden zuständig, die in dem Staat verursacht worden sind, in dem sie ihren Sitz haben.

Der Bundes­ge­richtshof (Deutschland) und das Tribunal de grande instance de Paris (Frankreich) haben den Gerichtshof um Klärung ersucht, inwieweit diese Grundsätze auf Verletzungen von Persön­lich­keits­rechten durch Inhalte auf einer Website übertragbar sind (vgl. Bundes­ge­richtshof, Beschluss v. 10.11.2009 - VI ZR 217/08 -).

Sachverhalt in der Rechtssache C-509/09

Der in Deutschland wohnhafte X wurde im Jahr 1993 zusammen mit seinem Bruder von einem deutschen Gericht wegen Mordes an einem bekannten Schauspieler zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Im Januar 2008 wurde er auf Bewährung entlassen.

Beklagte in Österreich niedergelassene Gesellschaft zweifelt Zuständigkeit deutscher Gerichte an

Die in Österreich niedergelassene Gesellschaft eDate Advertising betreibt unter der Adresse „www.rainbow.at“ ein Internetportal, auf dem sie über Rechtsbehelfe von X und dessen Bruder gegen ihre Verurteilung berichtete. Obwohl eDate Advertising die streitige Meldung aus ihrem Inter­ne­t­auftritt entfernte, beantragte X bei den deutschen Gerichten, der öster­rei­chischen Gesellschaft aufzugeben, es zu unterlassen, über ihn im Zusammenhang mit der Tat unter voller Namensnennung zu berichten. eDate Advertising rügt ihrerseits die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für die Entscheidung über diesen Rechtsstreit, da sie der Auffassung ist, dass sie nur vor den öster­rei­chischen Gerichten verklagt werden könne.

Sachverhalt in der Rechtssache C-161/10

Am 3. Februar 2008 erschien auf der Website der britischen Zeitung Sunday Mirror ein in Englisch verfasster, mit „Kylie Minogue ist wieder mit Olivier Martinez zusammen“ überschriebener Text mit Details zu einem Treffen zwischen der australischen Sängerin und dem französischen Schauspieler. Dieser und dessen Vater Robert Martinez rügen eine Verletzung ihres Privatlebens sowie des Rechts am eigenen Bild von Olivier Martinez. Sie gingen in Frankreich gegen die britische Gesellschaft MGN, die Herausgeberin des Sunday Mirror, vor. Diese bestreitet wie eDate Advertising die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, denn sie ist der Ansicht, dass es an einem hinreichend engen Bezug zwischen der Veröf­fent­lichung im Vereinigten Königreich und dem geltend gemachten Schaden im französischen Hoheitsgebiet fehle. Allein ein solcher Bezug könne aber die Zuständigkeit der französischen Gerichte für die Entscheidung über die schädigenden Ereignisse im Zusammenhang mit der streitigen Veröf­fent­lichung im Internet begründen.

Auswirkungen auf Persön­lich­keits­rechte einer Person am besten durch Gericht vor Ort beurteiltbar

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass sich die Veröf­fent­lichung von Inhalten auf einer Website von der gebiets­ab­hängigen Verbreitung eines Druck­e­r­zeug­nisses dadurch unterscheidet, dass die Inhalte von einer unbestimmten Zahl von Internetnutzern überall auf der Welt unmittelbar abgerufen werden können. Somit kann die weltumspannende Verbreitung zum einen die Schwere der Verletzungen von Persön­lich­keits­rechten erhöhen, und zum anderen ist es dadurch sehr schwierig, die Orte zu bestimmen, an denen sich der Erfolg des aus diesen Verletzungen entstandenen Schadens verwirklicht hat. Unter diesen Umständen – und da die Auswirkungen eines im Internet veröf­fent­lichten Inhalts auf die Persön­lich­keits­rechte einer Person am besten von dem Gericht des Ortes beurteilt werden können, an dem das Opfer den Mittelpunkt seiner Interessen hat – erklärt der Gerichtshof dieses Gericht für zuständig, über den gesamten im Gebiet der Europäischen Union verursachten Schaden zu entscheiden. In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof klar, dass der Ort, an dem eine Person den Mittelpunkt ihrer Interessen hat, im Allgemeinen ihrem gewöhnlichen Aufenthalt entspricht.

Anrufen des Gerichts in dem Mitgliedsstaat, in dem Inhalte im Internet veröffentlicht wurden, ebenfalls zulässig

Der Gerichtshof hebt jedoch hervor, dass das Opfer anstelle einer Haftungsklage auf Ersatz des gesamten Schadens auch die Gerichte jedes Mitgliedstaats anrufen kann, in dessen Hoheitsgebiet ein im Internet veröf­fent­lichter Inhalt zugänglich ist oder war. In diesem Fall sind die Gerichte wie bei Schäden durch ein Druckerzeugnis nur für die Entscheidung über den Schaden zuständig, der im Hoheitsgebiet des Staates entstanden ist, in dem sie ihren Sitz haben. Ebenso kann die verletzte Person wegen des gesamten entstandenen Schadens auch die Gerichte des Mitgliedstaats anrufen, in dem der Urheber der im Internet veröf­fent­lichten Inhalte niedergelassen ist.

Anforderungen dürfen nicht strenger als in Sitzmit­gliedstaat des Anbieters sein

Schließlich legt der Gerichtshof die Richtlinie über den elektronischen Geschäfts­ver­kehr** dahin aus, dass es der Grundsatz des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs grundsätzlich nicht zulässt, dass der Anbieter eines Dienstes des elektronischen Geschäfts­verkehrs im Aufnah­me­mit­gliedstaat strengeren Anforderungen unterliegt, als sie das Recht des Mitgliedstaats vorsieht, in dem der Anbieter niedergelassen ist.

Erläuterungen

* Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

** Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Infor­ma­ti­o­ns­ge­sell­schaft, insbesondere des elektronischen Geschäfts­verkehrs, im Binnenmarkt (ABl. L 178, S. 1).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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