15.11.2024
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Dokument-Nr. 12879

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil21.12.2011

EU-Produkt­haf­tungs­richtlinie nicht auf Dienstleister anwendbarDienstleisters kann bei Verwendung fehlerhafter Geräte oder Produkte nicht gemäß EU-Richtlinie haftbar gemacht werden

Die Haftung einer öffentlichen Gesund­heits­ein­richtung als Dienstleister fällt nicht in den Anwen­dungs­bereich der Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte. Ein Mitgliedstaat darf daher nicht an der Einführung einer Regelung gehindert werden, nach der eine öffentliche Gesund­heits­ein­richtung den Schaden, den ihr Patient infolge der Fehler­haf­tigkeit eines bei der Behandlung verwendeten Produkts erlitten hat, selbst dann ersetzen muss, wenn sie kein Verschulden trifft. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Die Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte* sieht den Grundsatz einer verschul­den­su­n­ab­hängigen Haftung vor, nach dem der Hersteller für durch einen Fehler seines Produkts verursachte Schäden haftet. Kann der Hersteller nicht festgestellt werden, so wird jeder Lieferant des Produkts als dessen Hersteller behandelt, es sei denn, dass er dem Geschädigten innerhalb angemessener Zeit den Hersteller oder diejenige Person benennt, die ihm das Produkt geliefert hat. Bei in die Union eingeführten Produkten haftet der Importeur wie der Hersteller.

Haftungs­re­gelung soll unverfälschten Wettbewerb zwischen Wirtschafts­be­tei­ligten gewährleisten

Die von der Richtlinie errichtete Haftungs­re­gelung dient dem Ziel, einen unverfälschten Wettbewerb zwischen den Wirtschafts­be­tei­ligten zu gewährleisten, den freien Warenverkehr zu erleichtern und einen unter­schied­lichen Verbrau­cher­schutz zu vermeiden. Im Übrigen werden die Ansprüche, die ein Geschädigter aufgrund der Vorschriften über die vertragliche und außer­ver­tragliche Haftung oder aufgrund einer zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Richtlinie bestehenden besonderen Haftungs­re­gelung geltend machen kann, durch die Richtlinie nicht berührt.

Französisches Recht sieht Haftung der öffentlichen Gesund­heits­ein­rich­tungen auch dann vor, wenn Einrichtung eigentlich keine Schuld triff

Im französischen Recht richtet sich die Haftung der öffentlichen Gesund­heits­ein­rich­tungen gegenüber ihren Patienten insbesondere nach einem vom Conseil d’État (Frankreich) aufgestellten Recht­spre­chungs­grundsatz, wonach eine öffentliche Krankenanstalt den Schaden, den ein Patient infolge der Fehler­haf­tigkeit eines im Rahmen seiner Behandlung verwendeten Geräts oder Produkts erlitten hat, selbst dann ersetzen muss, wenn sie kein Verschulden trifft.

Sachverhalt

Im vorliegenden Fall erlitt der damals dreizehnjährige Thomas Dutrueux während eines am 3. Oktober 2000 im Univer­si­täts­klinikum Besançon (CHU Besançon) durchgeführten chirurgischen Eingriffs Verbrennungen. Diese Verbrennungen wurden durch ein fehlerhaftes Tempe­ra­tur­re­ge­lungs­system der Heizmatratze verursacht, auf die er gelegt worden war. Das CHU Besançon wurde verurteilt, diesen Schaden zu ersetzen und hierfür 9.000 Euro an den Geschädigten und rund 5.970 Euro an die Caisse primaire d’assurance maladie du Jura zu zahlen. Das Klinikum wandte sich an den Conseil d’État und vertrat dabei die Auffassung, dass nach der Richtlinie, so wie sie in das französische Recht umgesetzt sei, nur der Hersteller der Matratze haftbar gemacht werden könne, da er ordnungsgemäß ermittelt worden sei.

Nationales Gericht befragt EuGH zur Zulässigkeit der französischen Regelung in Verbindung mit EU-Richtlinie

Der in letzter Instanz mit diesem Rechtsstreit befasste Conseil d’État legte dem Gerichtshof Fragen zur Auslegung der Richtlinie vor. Er möchte wissen, ob die französische Regelung der verschul­den­su­n­ab­hängigen Haftung öffentlicher Kranke­n­an­stalten neben dem von dieser Richtlinie errichteten System der Herstellerhaftung bestehen kann.

Richtlinie regelt nur Haftung des Herstellers

In seinem Urteil weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Richtlinie nur die Haftung des Herstellers oder gegebenenfalls des Importeurs oder Lieferanten des fehlerhaften Produkts regelt. Die Richtlinie soll hingegen nicht den Bereich der Haftung für fehlerhafte Produkte über ihren Anwen­dungs­bereich hinaus abschließend harmonisieren.

Verwender eines Produkts fällt nicht in Anwen­dungs­bereich der Richtlinie

Die Haftung, die einen Verwender treffen kann, der, wie das CHU Besançon, ein zuvor von ihm erworbenes Produkt oder Gerät wie beispielsweise eine Heizmatratze im Rahmen einer einem Patienten gewährten Behand­lungs­leistung verwendet, fällt damit nicht in den Anwen­dungs­bereich der Richtlinie, denn ein solcher Verwender kann weder als ein Beteiligter der Herstellungs- und Vertriebskette des fraglichen Produkts angesehen noch als ein Lieferant des Produkts eingestuft werden.

Im Übrigen vermag der bloße Umstand, dass neben der von der Richtlinie errichteten Regelung der Herstel­ler­haftung eine nationale Regelung besteht, nach der ein Dienstleister der verschul­den­su­n­ab­hängigen Haftung unterliegt, weder die Wirksamkeit dieser Regelung der Herstel­ler­haftung noch die vom Unions­ge­setzgeber mit ihr verfolgten Ziele zu beeinträchtigen.

Nationale Regelung darf praktische Wirksamkeit der Richtlinie nicht beeinträchtigen

Allerdings darf, so der Gerichtshof weiter, die Haftung des Dienstleisters die von der Richtlinie errichtete Regelung nicht beeinträchtigen. Die Anwendung der inner­staat­lichen Vorschriften darf nämlich nicht die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigen. Daher muss für die Beteiligten die Möglichkeit unberührt bleiben, den Hersteller zur Haftung heranzuziehen, wenn die hierfür von der Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind. Dem Dienstleister muss also ein rechtlicher Mechanismus – wie die in den französischen Rechts­vor­schriften vorgesehenen Gewähr­leis­tungs­ansprüche – zur Verfügung stehen, um den Hersteller zur Haftung heranzuziehen.

Verschul­den­su­n­ab­hängige Haftung des Dienstleisters kann zur Stärkung des Verbrau­cher­schutzes beitragen

Der Gerichtshof weist schließlich auch darauf hin, dass die etwaige verschul­den­su­n­ab­hängige Haftung des Dienstleisters, die zu der Herstel­ler­haftung gemäß der Richtlinie hinzutreten kann, dazu angetan ist, zu einer Stärkung des Verbrau­cher­schutzes beizutragen.

Haftung eines Dienstleisters bei Verwendung fehlerhafter Geräte oder Produkte fällt nicht in Anwen­dungs­bereich der Richtlinie

Im Ergebnis hat der Gerichtshof auf die Fragen des Conseil d'Etat daher geantwortet, dass die Haftung eines Dienstleisters, der im Rahmen der Erbringung von Dienst­leis­tungen wie einer Kranken­h­aus­be­handlung fehlerhafte Geräte oder Produkte verwendet, deren Hersteller er nicht ist, und der dadurch dem Empfänger der Dienstleistung einen Schaden zufügt, nicht in den Anwen­dungs­bereich der Richtlinie fällt. Es läuft der Richtlinie daher nicht zuwider, dass ein Mitgliedstaat eine nationale Regelung einführt, die die Haftung eines solchen Dienstleisters für so verursachte Schäden auch ohne sein Verschulden vorsieht, vorausgesetzt, für den Geschädigten und/oder den Dienstleister bleibt die Möglichkeit unberührt, die Haftung des Herstellers auf der Grundlage der Richtlinie in Anspruch zu nehmen.

Erläuterungen
* Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwal­tungs­vor­schriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ABl. L 210, S. 29).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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