Die Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte* sieht den Grundsatz einer verschuldensunabhängigen Haftung vor, nach dem der Hersteller für durch einen Fehler seines Produkts verursachte Schäden haftet. Kann der Hersteller nicht festgestellt werden, so wird jeder Lieferant des Produkts als dessen Hersteller behandelt, es sei denn, dass er dem Geschädigten innerhalb angemessener Zeit den Hersteller oder diejenige Person benennt, die ihm das Produkt geliefert hat. Bei in die Union eingeführten Produkten haftet der Importeur wie der Hersteller.
Die von der Richtlinie errichtete Haftungsregelung dient dem Ziel, einen unverfälschten Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsbeteiligten zu gewährleisten, den freien Warenverkehr zu erleichtern und einen unterschiedlichen Verbraucherschutz zu vermeiden. Im Übrigen werden die Ansprüche, die ein Geschädigter aufgrund der Vorschriften über die vertragliche und außervertragliche Haftung oder aufgrund einer zum Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Richtlinie bestehenden besonderen Haftungsregelung geltend machen kann, durch die Richtlinie nicht berührt.
Im französischen Recht richtet sich die Haftung der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen gegenüber ihren Patienten insbesondere nach einem vom Conseil d’État (Frankreich) aufgestellten Rechtsprechungsgrundsatz, wonach eine öffentliche Krankenanstalt den Schaden, den ein Patient infolge der Fehlerhaftigkeit eines im Rahmen seiner Behandlung verwendeten Geräts oder Produkts erlitten hat, selbst dann ersetzen muss, wenn sie kein Verschulden trifft.
Im vorliegenden Fall erlitt der damals dreizehnjährige Thomas Dutrueux während eines am 3. Oktober 2000 im Universitätsklinikum Besançon (CHU Besançon) durchgeführten chirurgischen Eingriffs Verbrennungen. Diese Verbrennungen wurden durch ein fehlerhaftes Temperaturregelungssystem der Heizmatratze verursacht, auf die er gelegt worden war. Das CHU Besançon wurde verurteilt, diesen Schaden zu ersetzen und hierfür 9.000 Euro an den Geschädigten und rund 5.970 Euro an die Caisse primaire d’assurance maladie du Jura zu zahlen. Das Klinikum wandte sich an den Conseil d’État und vertrat dabei die Auffassung, dass nach der Richtlinie, so wie sie in das französische Recht umgesetzt sei, nur der Hersteller der Matratze haftbar gemacht werden könne, da er ordnungsgemäß ermittelt worden sei.
Der in letzter Instanz mit diesem Rechtsstreit befasste Conseil d’État legte dem Gerichtshof Fragen zur Auslegung der Richtlinie vor. Er möchte wissen, ob die französische Regelung der verschuldensunabhängigen Haftung öffentlicher Krankenanstalten neben dem von dieser Richtlinie errichteten System der Herstellerhaftung bestehen kann.
In seinem Urteil weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Richtlinie nur die Haftung des Herstellers oder gegebenenfalls des Importeurs oder Lieferanten des fehlerhaften Produkts regelt. Die Richtlinie soll hingegen nicht den Bereich der Haftung für fehlerhafte Produkte über ihren Anwendungsbereich hinaus abschließend harmonisieren.
Die Haftung, die einen Verwender treffen kann, der, wie das CHU Besançon, ein zuvor von ihm erworbenes Produkt oder Gerät wie beispielsweise eine Heizmatratze im Rahmen einer einem Patienten gewährten Behandlungsleistung verwendet, fällt damit nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie, denn ein solcher Verwender kann weder als ein Beteiligter der Herstellungs- und Vertriebskette des fraglichen Produkts angesehen noch als ein Lieferant des Produkts eingestuft werden.
Im Übrigen vermag der bloße Umstand, dass neben der von der Richtlinie errichteten Regelung der Herstellerhaftung eine nationale Regelung besteht, nach der ein Dienstleister der verschuldensunabhängigen Haftung unterliegt, weder die Wirksamkeit dieser Regelung der Herstellerhaftung noch die vom Unionsgesetzgeber mit ihr verfolgten Ziele zu beeinträchtigen.
Allerdings darf, so der Gerichtshof weiter, die Haftung des Dienstleisters die von der Richtlinie errichtete Regelung nicht beeinträchtigen. Die Anwendung der innerstaatlichen Vorschriften darf nämlich nicht die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigen. Daher muss für die Beteiligten die Möglichkeit unberührt bleiben, den Hersteller zur Haftung heranzuziehen, wenn die hierfür von der Richtlinie vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind. Dem Dienstleister muss also ein rechtlicher Mechanismus – wie die in den französischen Rechtsvorschriften vorgesehenen Gewährleistungsansprüche – zur Verfügung stehen, um den Hersteller zur Haftung heranzuziehen.
Der Gerichtshof weist schließlich auch darauf hin, dass die etwaige verschuldensunabhängige Haftung des Dienstleisters, die zu der Herstellerhaftung gemäß der Richtlinie hinzutreten kann, dazu angetan ist, zu einer Stärkung des Verbraucherschutzes beizutragen.
Im Ergebnis hat der Gerichtshof auf die Fragen des Conseil d'Etat daher geantwortet, dass die Haftung eines Dienstleisters, der im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen wie einer Krankenhausbehandlung fehlerhafte Geräte oder Produkte verwendet, deren Hersteller er nicht ist, und der dadurch dem Empfänger der Dienstleistung einen Schaden zufügt, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fällt. Es läuft der Richtlinie daher nicht zuwider, dass ein Mitgliedstaat eine nationale Regelung einführt, die die Haftung eines solchen Dienstleisters für so verursachte Schäden auch ohne sein Verschulden vorsieht, vorausgesetzt, für den Geschädigten und/oder den Dienstleister bleibt die Möglichkeit unberührt, die Haftung des Herstellers auf der Grundlage der Richtlinie in Anspruch zu nehmen.
Erläuterungen
* Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ABl. L 210, S. 29).
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 17.01.2012
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online