18.10.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil25.10.2018

Arbeitsverträge von Arbeitnehmern Italienischer Opernhäuser dürfen nicht vom Schutz gegen Missbrauch befristeter Arbeitsverträge ausgeschlossen werdenEinsatz aufeinander­folgender befristeter Arbeitsverträge durch keinen sachlichen Grund gerechtfertigt

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass Arbeitnehmer der Stiftungen für Oper und Orchester nicht vom Schutz gegen den Missbrauch befristeter Arbeitsverträge ausgeschlossen werden dürfen.

Frau Martina Sciotto war von 2007 bis 2011 aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge bei der Fondazione Teatro dell’Opera di Roma (Stiftung Opernhaus Rom) als Balletttänzerin beschäftigt. Im Jahr 2012 beantragte sie beim Tribunale di Roma (Gericht Rom, Italien) die Feststellung der Rechts­wid­rigkeit der in diesen Verträgen festgelegten Bedingungen und die Umwandlung ihres Arbeits­ver­hält­nisses in einen unbefristeten Vertrag.

Nationales Gericht weist Klage gegen Befristung des Arbeitsvertrags ab

Im Jahr 2013 wies das Tribunale di Roma diese Klage mit der Begründung ab, dass die nationale Sonderregelung für Stiftungen für Oper und Orchester die Anwendung der allgemeinen Vorschriften über Arbeitsverträge auf diese ausschließe und daher der Umwandlung der von diesen Stiftungen geschlossenen Arbeitsverträge in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis entgegenstehe.

Nationales Gericht erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH zur Zulässigkeit der Nicht-Anwendung allgemeiner arbeits­recht­licher Regelungen

Die in der Berufungs­instanz mit diesem Rechtsstreit befasste Corte d’appello di Roma (Berufungs­gericht Rom, Italien) fragte den Gerichtshof, ob das Unionsrecht* einer nationalen Regelung entgegensteht, die den Tätig­keits­bereich der Stiftungen für Oper und Orchester von der Anwendung der allgemeinen arbeits­recht­lichen Regelungen ausschließt, mit der der missbräuchliche Rückgriff auf aufein­an­der­folgende befristete Arbeitsverträge durch die automatische Umwandlung des befristeten Vertrags in einen unbefristeten geahndet wird, wenn das Arbeits­ver­hält­nisüber einen bestimmten Zeitraum hinaus andauert.

Mitglieds­s­taaten müssen grundsätzlich wirksame Sanktion gegen Befristungen vorweisen können

Mit seinem Urteil erklärte der Gerichtshof der Europäischen Union, dass die Rahmen­ver­ein­barung über befristete Arbeitsverträge einer solchen nationalen Regelung entgegensteht, wenn es in dem Mitgliedstaat keine andere wirksame Sanktion gegen die in diesem Bereich festgestellten Missbräuche gibt.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die Rahmen­ver­ein­barung Mindest­schutz­be­stim­mungen vorsieht, mit denen die Prekarisierung der Beschäftigten verhindert werden soll. Die Mitgliedstaaten müssen daher mindestens eine der von der Rahmen­ver­ein­barung vorgesehenen Maßnahmen ergreifen**, verfügen dabei insoweit aber über ein Ermessen und haben die Möglichkeit, die besonderen Anforderungen spezifischer Branchen und/oder bestimmter Arbeit­neh­mer­ka­te­gorien zu berücksichtigen.

Italienische Regelungen sehen für Verträge der Opernhäuser keine Regelungen zu Befristungen vor

Der Gerichtshof stellt fest, dass aus den Akten hervorgeht, dass die italienische Regelung im Tätig­keits­bereich der Stiftungen für Oper und Orchester keine in der Rahmen­ver­ein­barung genannte Begrenzung bezüglich der maximal zulässigen Dauer dieser Verträge oder der Zahl ihrer Verlängerungen vorsieht. Außerdem ist nicht ersichtlich, dass der Einsatz aufein­an­der­fol­gender befristeter Arbeitsverträge in diesem Bereich durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Hierzu führt der Gerichtshof aus:

- Der öffentliche Charakter der Stiftungen für Oper und Orchester hat keine Auswirkung auf den Schutz der Arbeitnehmer gemäß der Rahmen­ver­ein­barung, da diese auf sämtliche Arbeitnehmer anwendbar ist, und zwar unabhängig davon, ob sie für einen öffentlichen oder einen privaten Arbeitgeber tätig sind.

- Die Tatsache, dass Italien in diesem besonderen Bereich traditionell befristete Arbeitsverträge verwendet, befreit diesen Staat nicht davon, die sich aus der Rahmen­ver­ein­barung ergebenden Pflichten zu beachten.

- Aus den Akten geht nicht hervor, dass es einen Grund gibt, warum die Ziele der Entwicklung der italienischen Kultur und der Bewahrung des historischen und künstlerischen Erbes Italiens es erfordern würden, dass Arbeitgeber des kulturellen und künstlerischen Sektors Personal befristet einstellen.

- Aus den Akten geht nicht hervor, dass ein vorübergehender Bedarf des Arbeitgebers die Verlängerung befristeter Verträge rechtfertigt. Vielmehr wurde Frau Sciotto offenbar während mehrerer Jahre eingestellt, um immer ähnliche Aufhaben zu erfüllen, d.h., weil die gewöhnliche Programmplanung dies erforderte (was zu überprüfen Sache der nationalen Gerichte ist).

- Haushalt­s­er­wä­gungen können das Fehlen jedweder Maßnahme zur Verhinderung eines missbräuch­lichen Rückgriffs auf aufein­an­der­folgende befristete Arbeitsverträge nicht rechtfertigen.

- Aus den Akten geht nicht hervor, dass die Verlängerung befristeter Arbeitsverträge nötig ist, um Personal bis zum Abschluss von Auswahl­ver­fahren zu vertreten, die organisiert werden, um Arbeitnehmer unbefristet einzustellen.

Mitglieds­s­taaten müssen Lösung zur Verhinderung missbräuch­licher Verwendungen aufein­an­der­fol­gender befristeter Arbeitsverträge schaffen

Was die Ahndung des Missbrauchs befristeter Verträge betrifft, führt der Gerichtshof aus, dass die Rahmen­ver­ein­barung keine allgemeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten aufstellt, die Umwandlung in einen unbefristeten Arbeitsvertrag vorzusehen. Wenn jedoch die nationale Regelung diese Art von Sanktion in einem bestimmten Bereich untersagt (wie hier im Bereich der Stiftungen für Oper und Orchester), muss es in diesem Bereich eine andere wirksame Maßnahme geben, um die missbräuchliche Verwendung aufein­an­der­fol­gender befristeter Arbeitsverträge zu verhindern und gegebenenfalls zu ahnden. Es ist Sache der nationalen Gerichte, zu überprüfen, ob es eine solche Maßnahme in der inner­staat­lichen Rechtsordnung gibt*** und ob sie hinreichend effektiv, abschreckend und verhältnismäßig ist, um die Anwendung der Rahmen­ver­ein­barung sicherzustellen.

Missbrauch muss angemessen geahndet werden

Der Gerichtshof hebt hervor, dass die nationalen Gerichte, falls sie feststellen sollten, dass es keine andere effektive Maßnahme in der nationalen Regelung gibt, um die Missbräuche gegenüber dem Personal der Stiftungen für Oper und Orchester zu verhindern und zu ahnden, dennoch verpflichtet wären, das innerstaatliche Recht im Rahmen des Möglichen so auszulegen, dass dieser Missbrauch angemessen geahndet wird und die Folgen des Unions­rechts­ver­stoßes beseitigt werden, zum Beispiel indem sie die von den allgemeinen arbeits­recht­lichen Vorschriften vorgesehene Sanktion anwenden, die darin besteht, einen befristeten Arbeitsvertrag automatisch in einen unbefristeten umzuwandeln, wenn das Arbeits­ver­hältnis über einen bestimmten Zeitpunkt hinaus besteht.

Erläuterungen
* Am 18. März 1999 geschlossene Rahmen­ver­ein­barung über befristete Arbeitsverträge (im Folgenden: Rahmen­ver­ein­barung) im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmen­ver­ein­barung über befristete Arbeitsverträge (ABl. 1999, L 175, S.1).

** Die Rahmen­ver­ein­barung verpflichtet die Mitgliedstaaten, mindestens eine der folgenden Maßnahmen zu ergreifen: Angabe sachlicher Gründe, die die Verlängerung der Verträge rechtfertigen, Festlegung der insgesamt maximal zulässigen Dauer der Verträge oder Festlegung der zulässigen Zahl ihrer Verlängerungen. Überdies muss, um die volle Wirksamkeit der Rahmen­ver­ein­barung sicherzustellen, der missbräuchliche Einsatz aufein­an­der­fol­gender befristeter Arbeitsverträge geahndet werden. Diese Maßnahme muss verhältnismäßig, wirksam und abschreckend sein.

*** Die italienische Regierung hat sich in diesem Zusammenhang auf die Haftung der Leiter der betreffenden Stiftungen als wirksame Maßnahme berufen.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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