21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss06.06.2018

Verbot mehrfacher sachgrundloser Befristung im Grundsatz verfas­sungsgemäßGesetzliche Regelungs­konzept darf von Fachgerichten nicht übergangen und durch eigenes Konzept ersetzt werden

Nach der Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 des Teilzeit- und Befris­tungs­ge­setzes (TzBfG) sind sachgrundlose Befristungen zwischen denselben Vertrags­parteien auf die erstmalige Begründung eines Arbeits­verhältnisses beschränkt; damit ist jede erneute sachgrundlos befristete Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber verboten. Das Bundes­verfassungs­gericht entschied, dass dies grundsätzlich mit den verfassungs­rechtlichen Maßgaben vereinbar ist, denn die Verhinderung von Ketten­be­fris­tungen und die Sicherung der unbefristeten Dauer­be­schäf­tigung als Regel­beschäftigungs­form trägt der Pflicht des Staates zum Schutz der strukturell unterlegenen Beschäftigten im Arbeits­ver­hältnis und auch dem Sozial­staats­prinzip Rechnung. Allerdings gilt dies nur, soweit die Beschäftigten nach Art und Umfang der Vorbe­schäf­tigung tatsächlich des Schutzes vor Ketten­be­fris­tungen bedürfen und andernfalls das unbefristete Arbeits­ver­hältnis als Regel­beschäftigungs­form gefährdet wäre.

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht stellte gleichzeitig klar, dass eine - vom Bundes­a­r­beits­gericht vorgenommene - Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG, die eine wiederholte sachgrundlose Befristung zwischen denselben Vertrags­parteien immer dann gestattet, wenn zwischen den Arbeits­ver­hält­nissen ein Zeitraum von mehr als drei Jahren liegt, mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren ist. Richterliche Rechts­fort­bildung darf den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht übergehen und durch ein eigenes Regelungsmodell ersetzen. Hier hatte sich der Gesetzgeber klar erkennbar gegen eine solche Frist entschieden.

Sachverhalt

Der Entscheidung lagen Klagen auf Entfristung eines Arbeits­ver­trages zugrunde. Die Beschäftigten machten gegenüber ihrem jeweiligen Arbeitgeber geltend, dass die zuletzt vereinbarte sachgrundlose Befristung ihres Arbeits­ver­hält­nisses unwirksam sei. Sie verstoße gegen § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG, weil sie bereits zuvor bei demselben Arbeitgeber beschäftigt waren. In einem Verfahren (1 BvL 7/14) hatte das Arbeitsgericht dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht die Frage vorgelegt, ob die Regelung mit den Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, wenn damit eine sachgrundlose Befristung auf die erstmalige Beschäftigung beim jeweiligen Vertrags­a­r­beitgeber beschränkt sei. In dem anderen Verfahren (1 BvR 1375/14) wollte der Arbeitnehmer nicht nochmals befristet, sondern nun unbefristet beschäftigt werden. Das Arbeitsgericht ist jedoch der Rechtsprechung des Bundes­a­r­beits­ge­richts gefolgt und damit davon ausgegangen, dass eine erneute sachgrundlose Befristung nach Ablauf von drei Jahren wieder zulässig sei. Die Entfris­tungsklage war erfolglos. Dagegen wandte sich der Arbeitnehmer mit der Verfas­sungs­be­schwerde. Die Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG durch das Bundes­a­r­beits­gericht verletze seine Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, denn sie überschreite die Grenzen richterlicher Rechts­fort­bildung.

Regelungen zur sachgrundlosen Befristung grundsätzlich mit Verfassung vereinbar

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass grundsätzlich in der Auslegung des vorlegenden Arbeitsgerichts die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG mit der Verfassung vereinbar ist. Sie verletzt im Ergebnis weder die Berufsfreiheit der Beschäftigten noch die berufliche und wirtschaftliche Betäti­gungs­freiheit der Arbeitgeber. Ist es im Einzelfall unzumutbar, eine sachgrundlose Befristung zu verbieten, weil es sich nicht um die Ersteinstellung handelt, können und müssen die Arbeitsgerichte den Anwen­dungs­bereich des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG zum Schutz der Rechte der Beteiligten allerdings einschränken. Das ist der Fall, wo keine Gefahr einer Ketten­be­fristung besteht und unbefristete Arbeits­ver­hältnisse als Regel­be­schäf­ti­gungsform erhalten bleiben.

Arbeitgebern stehen Alternativen zur sachgrundlosen Befristung zur Verfügung

Das Verbot sachgrundloser Befristung eines Arbeitsvertrags, wenn zuvor bereits einmal ein Beschäf­ti­gungs­ver­hältnis vorlag, beeinträchtigt insbesondere die Berufs­wahl­freiheit von Arbeits­su­chenden (Art. 12 Abs. 1 GG) und die berufliche und wirtschaftliche Betäti­gungs­freiheit von Arbeitgebern (Art. 12 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG). Dies wiegt zwar schwer. Dem Interesse der Arbeitgeber an Flexi­bi­li­sierung wird allerdings dadurch Rechnung getragen, dass ihnen Alternativen zur sachgrundlosen Befristung zur Verfügung stehen, wozu auch die vom Gesetzgeber in bestimmten Fällen erlaubte, mit Sachgrund befristete Beschäftigung gehört.

Gesetzgeber will Arbeitnehmer vor Ketten­be­fris­tungen schützen und unbefristetes Arbeits­ver­hältnis als Regel­be­schäf­ti­gungsform sichern

In der Abwägung mit dem Schutz der Beschäftigten im Arbeits­ver­hältnis und den im Sozial­staats­prinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) verankerten sozial- und beschäf­ti­gungs­po­li­tischen Zielsetzungen ist dies jedoch grundsätzlich zumutbar. Der Gesetzgeber will mit § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG die strukturell dem Arbeitgeber unterlegenen Arbeit­neh­me­rinnen und Arbeitnehmer vor Ketten­be­fris­tungen schützen und zugleich das unbefristete Arbeits­ver­hältnis als Regel­be­schäf­ti­gungsform sichern. Daneben steht die beschäf­ti­gungs­po­li­tische Zielsetzung, Arbeits­lo­sigkeit zu bekämpfen. Hier hat der Gesetzgeber einen großen Spielraum. Wenn er entscheidet, die sachgrundlose Befristung zwar als Brücke in eine Dauer­be­schäf­tigung zuzulassen, dies aber grundsätzlich beschränkt, ist das verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden.

Ausnahmen vom Verbot der sachgrundlosen Befristung möglich

Unzumutbar ist ein generelles Verbot der sachgrundlosen Befristung bei nochmaliger Einstellung bei demselben Arbeitgeber allerdings, wenn und soweit eine Gefahr der Ketten­be­fristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeits­ver­hältnis als Regel­be­schäf­ti­gungsform zu erhalten. Dies kann insbesondere der Fall sein, wenn eine Vorbe­schäf­tigung sehr lang zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist. Das können bestimmte geringfügige Neben­be­schäf­ti­gungen während der Schul- und Studienzeit oder der Familienzeit sein, die Tätigkeit von Werkstu­die­renden oder die lang zurückliegende Beschäftigung von Menschen, die sich später beruflich völlig neu orientieren. Die Fachgerichte können und müssen in solchen Fällen den Anwen­dungs­bereich von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einschränken.

Annahme einer zulässigen sachgrundlose Befristung bei zurückliegender Vorbe­schäf­tigung von mehr als drei Jahre überschreitet Grenzen richterlicher Rechts­fort­bildung

Die Auslegung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG durch das Bundes­a­r­beits­gericht ist allerdings mit den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen nicht zu vereinbaren. Die Annahme, eine sachgrundlose Befristung des Arbeits­ver­trages sei immer dann zulässig, wenn eine Vorbe­schäf­tigung mehr als drei Jahre zurückliege, überschreitet die Grenzen richterlicher Rechts­fort­bildung, weil der Gesetzgeber sich hier erkennbar gegen eine solche Befristung entschieden hatte. Die Auslegung der Gesetze durch die Fachgerichte muss die gesetz­ge­be­rische Grund­ent­scheidung respektieren. Dazu muss sie auch die Geset­zes­ma­te­rialien in Betracht ziehen. In Betracht zu ziehen sind hier die Begründung eines Gesetzentwurfes, der unverändert verabschiedet worden ist, die darauf bezogenen Stellungnahmen von Bundesrat und Bundesregierung und die Stellungnahmen, Beschluss­emp­feh­lungen und Berichte der Ausschüsse. Diese zeigten hier deutlich auf, dass eine sachgrundlose Befristung zwischen denselben Arbeits­ver­trags­parteien grundsätzlich nur einmal und nur bei der erstmaligen Einstellung zulässig sein soll. Das damit klar erkennbare gesetzliche Regelungs­konzept darf von den Fachgerichten nicht übergangen und durch ein eigenes Konzept ersetzt werden.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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