Vor den italienischen Zivilgerichten ist der Gebrauch der italienischen Sprache vorgeschrieben. Jedes in einer anderen Sprache abgefasste Schriftstück ist nichtig. Für die Gerichte in der Provinz Bozen besteht jedoch eine Ausnahme: Die in dieser Region wohnhaften italienischen Bürger haben die Möglichkeit, die deutsche Sprache zu gebrauchen. Diese Ausnahme soll die ethnisch-kulturelle deutschsprachige Minderheit in der Provinz Bozen schützen.
Das Landesgericht Bozen fragt den Gerichtshof der Europäischen Union, ob es mit dem Unionsrecht vereinbar ist, dass die Möglichkeit, vor den Gerichten der Provinz Bozen die deutsche Sprache zu gebrauchen, allein den in dieser Region wohnhaften italienischen Bürgern vorbehalten ist. In der Rechtssache, über die es zu entscheiden hat, verletzte sich eine deutsche Skifahrerin - deren Wohnsitz sich in Deutschland befindet - auf einer Piste in der Provinz Bozen und nimmt eine tschechische Skifahrerin - deren Wohnsitz sich in der Tschechischen Republik befindet -, die den Unfall verursacht haben soll, auf Schadensersatz in Anspruch. Da der verfahrenseinleitende Schriftsatz und die Klagebeantwortung in Deutsch verfasst waren, müsste das Landesgericht Bozen diese Akte nach den italienischen Rechtsvorschriften für nichtig erklären. Es zweifelt jedoch daran, ob dies mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
Mit seinem Urteil antwortet der Gerichtshof, dass das Unionsrecht (speziell das Verbot jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und die den Unionsbürgern garantierte Freizügigkeit) einer nationalen Regelung entgegensteht, die das Recht, in Zivilverfahren vor den Gerichten einer bestimmten Gebietskörperschaft des betreffenden Mitgliedstaats eine andere Sprache als dessen Amtssprache zu gebrauchen, allein den in dieser Gebietskörperschaft wohnhaften Angehörigen dieses Staates einräumt. Der Gerichtshof erinnert daran, dass er diese Frage in Bezug auf Strafverfahren vor den Gerichten der Provinz Bozen bereits bejaht hat (vgl. Urteil des EuGH vom 24. November 1998 - Az. C-274/96 -). Die dafür maßgebenden Erwägungen gelten seines Erachtens für alle Gerichtsverfahren in der betreffenden Gebietskörperschaft.
Keines der von der italienischen Regierung in der vorliegenden Rechtssache vorgetragenen Argumente kann die fragliche Regelung rechtfertigen. Das Argument, wonach das Verfahren erschwert würde, wenn Unionsbürger die deutsche Sprache verwenden könnten, wird durch die Angaben des Landesgerichts Bozen entkräftet, dass die Richter der Provinz Bozen in der Lage sind, Gerichtsverfahren sowohl in Italienischer als auch in deutscher Sprache zu führen. Der Einwand, dass Italien durch die Anwendung dieser Sprachenregelung zusätzliche Kosten entstünden, vermag als rein wirtschaftliches Motiv keine Beschränkung einer vom Unionsrecht garantierten Grundfreiheit zu rechtfertigen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 31.03.2014
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online