18.10.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil04.07.2013

EU-Mitglieds­s­taaten müssen alle Arbeitgeber zur Schaffung angemessener Maßnahmen zugunsten von Menschen mit Behinderungen verpflichtenItalien verstößt gegen unions­rechtliche Verpflichtungen

Die Mitgliedstaaten müssen alle Arbeitgeber dazu verpflichten, praktikable und wirksame Maßnahmen zugunsten aller Menschen mit Behinderungen zu ergreifen. Der Gerichtshof der Europäischen Union entschied, dass Italien dies nicht getan und damit gegen seine unions­recht­lichen Verpflichtungen verstoßen hat.

Das - durch einen Beschluss des Rates der Europäischen Union* in deren Namen genehmigte - Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen bezweckt, den vollen und gleich­be­rech­tigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.

Richtlinie soll allgemeinen Rahmen zur Bekämpfung der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen schaffen

Die europäische Richtlinie über die Gleich­be­handlung in Beschäftigung und Beruf** beruht auf der Annahme, dass Diskri­mi­nie­rungen aufgrund von Behinderungen die Verwirklichung der im Vertrag festgelegten Ziele unterminieren können, insbesondere die Erreichung eines hohen Beschäf­ti­gungs­niveaus und eines hohen Maßes an sozialem Schutz, die Hebung der Lebensqualität, den wirtschaft­lichen und sozialen Zusammenhalt, die Solidarität sowie die Freizügigkeit. Diese Richtlinie schafft daher einen allgemeinen Rahmen zur Bekämpfung derartiger Diskri­mi­nie­rungen in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleich­be­handlung in den Mitgliedstaaten.

Richtlinie verpflichtet Arbeitgeber zur Sicherstellung geeigneter Maßnahmen für Gleich­be­handlung von Menschen mit Behinderungen

Um die Gleich­be­handlung von Menschen mit Behinderungen sicherzustellen, verpflichtet die Richtlinie insbesondere den Arbeitgeber, die geeigneten und im konkreten Fall erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Menschen den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufs, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiter­bil­dungs­maß­nahmen zu ermöglichen, es sei denn, diese Maßnahmen würden den Arbeitgeber unver­hält­nismäßig belasten. Die Belastung ist nicht unver­hält­nismäßig, wenn sie durch Maßnahmen im Rahmen der Behin­der­ten­politik des Mitgliedstaats ausreichend kompensiert wird.

Das italienische Recht enthält mehrere gesetz­ge­be­rische Maßnahmen, die die Hilfe für, die soziale Integration und die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie ihr Recht auf Arbeit betreffen.

Kommission erhebt Vertrags­ver­let­zungsklage gegen Italien

Die Kommission hat beim Gerichtshof eine Vertrags­ver­let­zungsklage erhoben und geltend gemacht, Italien habe die Richtlinie umgesetzt, ohne dass die für den Umgang mit Menschen mit Behinderungen im Bereich der Beschäftigung vorgesehenen Garantien und Vorkehrungen alle diese Menschen, alle Arbeitgeber und alle verschiedenen Aspekte des Arbeits­ver­hält­nisses erfassten. Darüber hinaus hänge die Anwendung der italienischen Rechts­vor­schriften vom Erlass weiterer Maßnahmen durch die örtlichen Behörden oder vom Abschluss besonderer Vereinbarungen zwischen ihnen und den Arbeitgebern ab, so dass den Menschen mit Behinderungen keine Rechte eingeräumt würden, die sie unmittelbar gerichtlich geltend machen könnten.

Begriff "Behinderung" umfasst auch auf langfristige physische, geistige oder psychische Beein­träch­ti­gungen zurück­zu­führende Einschränkungen

In seinem Urteil führt der Gerichtshof aus, dass der Begriff "Behinderung" zwar nicht unmittelbar in der Richtlinie definiert ist, aber unter Heranziehung des Übereinkommens der Vereinten Nationen so zu verstehen ist, dass er eine insbesondere auf langfristige physische, geistige oder psychische Beein­träch­ti­gungen zurück­zu­führende Einschränkung erfasst, die den Betroffenen in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen und wirksamen Teilhabe am Berufsleben, gleich­be­rechtigt mit den übrigen Arbeitnehmern, hindern kann.

Menschen mit Behinderungen müssen gleich­be­rechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen können

Das Übereinkommen enthält ferner eine weite Definition des Begriffs "angemessene Vorkehrungen" und versteht darunter Anpassungen, die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorzunehmen sind, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleich­be­rechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können.

EuGH verweist auf Urteil vom April 2013

Der Gerichtshof hat zudem bereits mit Urteil vom 11. April 2013 entschieden, dass dieser Begriff die Beseitigung der Barrieren umfasst, die die volle und wirksame Teilhabe der Menschen mit Behinderung am Berufsleben, gleich­be­rechtigt mit den übrigen Arbeitnehmern, behindern.

Arbeitgeber müssen praktikable Maßnahmen ergreifen, um Menschen mit Behinderung Zugang zur Beschäftigung zu ermöglichen

Die Mitgliedstaaten müssen daher eine Verpflichtung der Arbeitgeber vorsehen, unter Berück­sich­tigung jedes Einzelfalls wirksame und praktikable Maßnahmen zu ergreifen (Gestaltung der Räumlichkeiten, Anpassung des Arbeitsgeräts, des Arbeitsrhythmus oder der Aufga­ben­ver­teilung), um Menschen mit Behinderungen den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufs, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiter­bil­dungs­maß­nahmen zu ermöglichen, ohne jedoch den Arbeitgeber unver­hält­nismäßig zu belasten.

Mitglieds­s­taaten müssen Arbeitgeber zum Treffen von geeigneten Maßnahmen verpflichten

Der Gerichtshof hebt hervor, dass diese Verpflichtung alle Arbeitgeber trifft. Es genügt nicht, dass die Mitgliedstaaten Anreiz- und Hilfemaßnahmen erlassen; sie müssen auch alle Arbeitgeber dazu verpflichten, die im konkreten Fall jeweils erforderlichen wirksamen und praktikablen Maßnahmen zu ergreifen.

Maßnahmen Italiens zur beruflichen Integration von Menschen mit Behinderungen nicht ausreichend

Der Gerichtshof untersucht die verschiedenen Maßnahmen, die Italien zur beruflichen Integration von Menschen mit Behinderungen getroffen hat, und gelangt zu dem Schluss, dass die italienischen Rechts­vor­schriften auch bei einer Gesamt­be­trachtung nicht alle Arbeitgeber dazu verpflichten, die im konkreten Fall jeweils erforderlichen wirksamen und praktikablen Maßnahmen zugunsten aller Menschen mit Behinderungen und in Bezug auf die verschiedenen Aspekte der Arbeit zu ergreifen, um diesen Menschen den Zugang zur Beschäftigung, die Ausübung eines Berufs, den beruflichen Aufstieg und die Teilnahme an Aus- und Weiter­bil­dungs­maß­nahmen zu ermöglichen.

Italien hat folglich gegen seine Verpflichtungen verstoßen.

Erläuterungen
* Beschluss 2010/48/EG des Rates vom 26. November 2009 (ABl. 2010, L 23, S. 35).

** Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleich­be­handlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303, S. 16).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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