18.10.2024
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Dokument-Nr. 32502

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil22.12.2022

Sprachprüfung als Voraussetzung für Nachzug einer Ehefrau rechtswidrigRegelung verstößt gegen die Still­hal­te­klausel im Beschluss Nr. 1/80 des Assozia­ti­o­nsrates EWG/Türkei

Die dänische Rechts­vor­schrift, nach der die Familien­zusammen­führung zwischen einem türkischen Arbeitnehmer, der sich rechtmäßig in Dänemark aufhält, und seinem Ehegatten an die Voraussetzung geknüpft wird, dass dieser Arbeitnehmer erfolgreich eine Prüfung ablegt, die ein bestimmtes Niveau dänischer Sprach­kenntnisse bescheinigt, stellt eine rechtswidrige „neue Beschränkung“ dar. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

X reiste am 14. August 2015 in das dänische Hoheitsgebiet ein. Am 21. Oktober 2015 beantragte sie bei der dänischen Auslän­der­behörde eine Aufent­halt­s­er­laubnis zur Famili­en­zu­sam­men­führung mit ihrem Ehegatten Y. Er ist türkischer Staats­an­ge­höriger und verfügt über eine unbefristete Aufent­halt­s­er­laubnis in Dänemark, wo er sich seit dem 27. September 1979 aufhält. Diesem Antrag zufolge hatte Y eine Ausbildung in dänischer Sprache absolviert. Diese Ausbildung habe u. a. technische Berechnungen, die Beschilderung von Straßenarbeiten, das Verständnis von Plänen, die Einführung in das Arbeitsfeld und Arbeits­techniken umfasst. Als türkischer Arbeitnehmer, der seit dem Jahr 1980, d. h. seit über 36 Jahren, in Dänemark u. a. als Maschi­nen­bau­techniker, als Service­mi­t­a­r­beiter sowie als Verkaufsstellen- oder Lagerleiter berufstätig sei, sei er jedenfalls nicht verpflichtet, die in der fraglichen dänischen Rechts­vor­schrift vorgesehene Voraussetzung einer bestandenen dänischen Sprachprüfung zu erfüllen. Des Weiteren wurde in dem Antrag angegeben, dass die vier erwachsenen Kinder von Y, seine Mutter und alle seine Geschwister in Dänemark lebten.

Verstoß gegen Still­hal­te­klausel?

Mit Entscheidung vom 1. März 2016 lehnte die Auslän­der­behörde den Antrag von X mit der Begründung ab, Y habe nicht nachgewiesen, dass er die vorgenannte Voraussetzung erfüllt habe, und es lägen keine besonderen Gründe vor, die eine Ausnahme hiervon rechtfertigen würden. Zudem werde diese Entscheidung durch die Still­hal­te­klauseln, wie sie der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung ausgelegt habe, nicht in Frage gestellt. X erhob eine Klage gegen die Ablehnung ihres Antrags auf eine Aufent­halt­s­er­laubnis in Dänemark zur Famili­en­zu­sam­men­führung, mit der das vorlegende Gericht, der Østre Landsret, befasst ist. Dieses Gericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/801 dahin auszulegen ist, dass eine nach dem Inkrafttreten dieses Beschlusses in dem betreffenden Mitgliedstaat eingeführte nationale Rechts­vor­schrift – nach der die Famili­en­zu­sam­men­führung zwischen einem türkischen Arbeitnehmer, der sich rechtmäßig in diesem Mitgliedstaat aufhält, und seinem Ehegatten an die Voraussetzung geknüpft wird, dass dieser Arbeitnehmer erfolgreich eine Prüfung ablegt, die Kenntnisse eines bestimmten Niveaus in der Amtssprache dieses Mitgliedstaats bescheinigt – eine „neue Beschränkung“ im Sinne dieses Artikels darstellt, und, wenn dies der Fall ist, ob eine solche Rechts­vor­schrift mit dem Ziel gerechtfertigt werden kann, eine erfolgreiche Integration dieses Ehegatten zu gewährleisten.

EuGH: Rechts­vor­schrift stellt „neue Beschränkung“ dar

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof erstens fest, dass die fragliche dänische Rechts­vor­schrift nach Inkrafttreten des Beschlusses Nr. 1/80 in Dänemark eingeführt wurde und im Bereich der Famili­en­zu­sam­men­führung gegenüber den Voraussetzungen, die vor dem Inkrafttreten des Beschlusses Nr. 1/80 galten, die Voraussetzungen für die Einreise in dänisches Hoheitsgebiet für Personen verschärft hat, die mit türkischen Arbeitnehmern verheiratet sind, die sich rechtmäßig in diesem Mitgliedstaat aufhalten. Demnach stellt der Gerichtshof fest, dass die fragliche Rechts­vor­schrift eine „neue Beschränkung“ im Sinne von Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 darstellt. Eine solche Rechts­vor­schrift kann jedoch u. a. dann gerechtfertigt sein, wenn sie mit einem zwingenden Grund des Allge­mein­in­teresses begründet wird, wenn sie geeignet ist, die Verwirklichung des verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche hinausgeht. Der Gerichtshof stellt fest, dass den Ausführungen des vorlegenden Gerichts zufolge das mit der fraglichen dänischen Rechts­vor­schrift verfolgte Ziel darin besteht, eine erfolgreiche Integration des Familien­an­ge­hörigen zu gewährleisten, der die Gewährung eines Aufent­halts­rechts in Dänemark zum Zweck der Famili­en­zu­sam­men­führung beantragt. Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass dieses Ziel im Hinblick auf den Beschluss Nr. 1/80 einen zwingenden Grund des Allge­mein­in­teresses darstellen kann. Allerdings weist der Gerichtshof darauf hin, dass zum einen die fragliche dänische Rechts­vor­schrift nicht die eigene Integra­ti­o­ns­fä­higkeit des Familien­an­ge­hörigen berücksichtigt, der die Famili­en­zu­sam­men­führung beantragt, sondern ausschließlich auf der Prämisse beruht, dass dessen erfolgreiche Integration nicht hinreichend gewährleistet wird, wenn der von diesem Antrag betroffene türkische Arbeitnehmer die Voraussetzung, eine dänische Sprachprüfung bestanden zu haben, nicht erfüllt. Zum anderen erlaubt es die fragliche dänische Rechts­vor­schrift den zuständigen Behörden auch nicht, bei der Beurteilung dessen, ob von der durch sie vorge­schriebenen Verpflichtung, eine Sprachprüfung erfolgreich abzulegen, abgewichen werden kann, Faktoren zu berücksichtigen, mit denen sich der Nachweis führen lässt, dass der türkische Arbeitnehmer, der von dem Antrag auf Famili­en­zu­sam­men­führung betroffen ist, tatsächlich integriert ist, und somit der Tatsache Rechnung zu tragen, dass dieser Arbeitnehmer ungeachtet dessen, dass er diese Prüfung nicht bestanden hat, erfor­der­li­chenfalls zur Integration seines Familien­an­ge­hörigen in diesem Mitgliedstaat beitragen kann.

Keine Rechtfertigung durch Integra­ti­o­nsziel

Der Gerichtshof stellt somit fest, dass die fragliche dänische Rechts­vor­schrift über das hinausgeht, was zur Erreichung des verfolgten Zieles erforderlich ist. Der Gerichtshof kommt zu dem Ergebnis, dass Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 dahin auszulegen ist, dass eine nach dem Inkrafttreten dieses Beschlusses in dem betreffenden Mitgliedstaat eingeführte nationale Rechts­vor­schrift, nach der die Famili­en­zu­sam­men­führung zwischen einem türkischen Arbeitnehmer, der sich rechtmäßig in diesem Mitgliedstaat aufhält, und seinem Ehegatten an die Voraussetzung geknüpft wird, dass dieser Arbeitnehmer erfolgreich eine Prüfung ablegt, die Kenntnisse eines bestimmten Niveaus in der Amtssprache dieses Mitgliedstaats bescheinigt, eine „neue Beschränkung“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt. Eine solche Beschränkung kann nicht mit dem Ziel gerechtfertigt werden, eine erfolgreiche Integration dieses Ehegatten zu gewährleisten. Denn diese Rechts­vor­schrift erlaubt den zuständigen Behörden weder die Berück­sich­tigung der eigenen Integra­ti­o­ns­fä­higkeit des Ehegatten noch anderer Faktoren als eine solche bestandene Prüfung, die die tatsächliche Integration dieses Arbeitnehmers in dem betreffenden Mitgliedstaat und damit seine Fähigkeit, seinem Ehegatten bei der Integration in diesen Mitgliedstaat zu helfen, belegen.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union, ra-online (pm/ab)

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