21.11.2024
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Dokument-Nr. 7951

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil04.06.2009

EuGH zur Missbräuch­lichkeit von Gerichts­s­tands­klauseln in VerträgenMissbräuch­lichkeit einer Klausel ist vom nationalen Gericht von Amts wegen zu prüfen

Ob eine Missbräuch­lichkeit einer Klausel in einem Vertrag vorliegt, der zwischen einem Verbraucher und einem Gewer­be­be­trei­benden geschlossen wurde, muss das nationale Gericht von Amts wegen prüfen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof.

Die Richtlinie über missbräuchliche Vertrags­klauseln sieht vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewer­be­trei­bender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind.

Laut Vertrag zuständiges Gericht ist Gericht im Ort von Unter­neh­menssitz

Im Dezember 2004 schloss Frau Sustikné Gyõrfi mit dem Unternehmen Pannon einen Abonne­ment­vertrag über die Erbringung von Mobil­te­le­fon­diensten. Mit Unterzeichnung des Vertrags akzeptierte Frau Sustikné Gyõrfi auch die Allgemeinen Vertrags­be­din­gungen des Unternehmens, die u. a. vorsahen, dass für aus dem Abonne­ment­vertrag entstehende oder damit zusam­men­hängende Rechtss­trei­tig­keiten das Budaörsi Városi Bíróság (Stadtgericht Budaörs, Ungarn), in dessen Bezirk sich der Sitz von Pannon befindet, zuständig ist.

Pannon war der Auffassung, dass Frau Sustikné Gyõrfi ihren Verpflichtungen aus dem Vertrag nicht nachgekommen sei, und rief deshalb das Budaörsi Városi Bíróság an, das feststellte, dass der ständige Wohnort der Abonnentin, die Invalidenrente bezieht, in Dombegyház, also 275 km von Budaörs entfernt liegt und dass die Verkehrs­ver­bin­dungen zwischen diesen beiden Orten sehr beschränkt sind.

Zuständig wäre Gericht im Ort der Verbraucherin

Das ungarische Gericht stellte ferner fest, dass nach der ungarischen Zivil­pro­zess­ordnung ohne die Klausel im Abonne­ment­vertrag, mit der seine Zuständigkeit festgelegt wird, das Gericht am Wohnort der Abonnentin örtlich zuständig wäre.

Zweifel an Zulässigkeit der Vertragsklausel

Unter diesen Umständen hat das Budaörsi Városi Bíróság, das Zweifel hat, ob die Klausel im Abonne­ment­vertrag, mit der seine Zuständigkeit festgelegt wird, etwa missbräuchlich ist, dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung der Richtlinie vorgelegt. Es möchte u. a. wissen, ob es bei der Prüfung seiner eigenen örtlichen Zuständigkeit die Missbräuch­lichkeit dieser Klausel von Amts wegen prüfen muss.

Der Gerichtshof erinnert zunächst daran, dass sich der den Verbrauchern durch die Richtlinie gewährte Schutz auf alle Fälle erstreckt, in denen sich ein Verbraucher, der mit einem Gewer­be­trei­benden einen Vertrag geschlossen hat, der eine missbräuchliche Klausel enthält, nicht auf die Missbräuch­lichkeit dieser Klausel beruft, weil er entweder seine Rechte nicht kennt oder durch die Kosten, die eine Klage vor Gericht verursachen würde, von der Geltendmachung seiner Rechte abgeschreckt wird.

Folglich ist die Aufgabe des nationalen Gerichts im Bereich des Verbrau­cher­schutzes nicht auf die bloße Befugnis beschränkt, über die etwaige Missbräuch­lichkeit einer Vertragsklausel zu entscheiden, sondern umfasst außerdem die Verpflichtung, diese Frage von Amts wegen zu prüfen, sobald es über die hierzu erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügt, und zwar auch dann, wenn es seine eigene örtliche Zuständigkeit prüft.

Ist das nationale Gericht der Auffassung, dass eine solche Klausel missbräuchlich ist, so lässt es sie unangewendet, es sei denn der Verbraucher möchte nach einem Hinweis des Gerichts die Missbräuch­lichkeit und Unver­bind­lichkeit nicht geltend machen.

Weiter ist es mit der Richtlinie unvereinbar, wenn nach einer nationalen Vorschrift eine missbräuchliche Vertragsklausel für den Verbraucher nur dann nicht verbindlich ist, wenn er sie vor dem nationalen Gericht erfolgreich angefochten hat. Eine solche Vorschrift lässt nämlich dem nationalen Gericht nicht die Möglichkeit, die Missbräuch­lichkeit einer Vertragsklausel von Amts wegen zu prüfen.

Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass eine Klausel, die in einen Vertrag zwischen einem Verbraucher und einem Gewer­be­trei­benden aufgenommen worden ist, ohne im Einzelnen ausgehandelt worden zu sein, und die ausschließliche Zuständigkeit dem Gericht zuweist, in dessen Bezirk der Gewer­be­treibende seinen Sitz hat, als missbräuchlich angesehen werden kann.

Große Entfernung zwischen Gericht und Wohnsitz des Verbrauchers kann abschreckend wirken und zur Nicht­ver­tei­digung seitens des Verbrauchers führen

Das so bestimmte Gericht kann nämlich vom Wohnsitz des Verbrauchers weit entfernt liegen, was dessen Erscheinen vor Gericht erschweren kann. Bei Rechtss­trei­tig­keiten mit geringem Streitwert könnten sich die Aufwendungen des Verbrauchers für sein Erscheinen vor Gericht als abschreckend erweisen und ihn davon abhalten, den Rechtsweg zu beschreiten oder sich überhaupt zu verteidigen.

Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass es Sache des ungarischen Gerichts ist, zu prüfen, ob die in dem Abonne­ment­vertrag zwischen Frau Sustikné Gyõrfi und dem Unternehmen Pannon enthaltene Gerichts­s­tands­klausel unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles als missbräuchlich zu qualifizieren ist.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 46/09 des EuGH vom 04.06.2009

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