21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil16.02.2017

EuGH zur Haftung des TÜV Rheinlands für Brustimplantate aus minderwertigem Indus­trie­silikonPrüfstellen trifft keine generelle Pflicht zur unangemeldeten Produktprüfung

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass Prüfstellen wie der TÜV Rheinland keine generelle Pflicht trifft, für Medizinprodukte wie Brustimplantate unangemeldete Inspektionen durchzuführen, die Produkte zu prüfen und/oder Geschäfts­un­terlagen des Herstellers zu sichten.

Frau Elisabeth Schmitt ließ sich im Jahr 2008 in Deutschland Brustimplantate einsetzen, die in Frankreich hergestellt worden waren. Nachdem die französischen Behörden im Jahr 2010 festgestellt hatten, dass der französische Hersteller Brustimplantate unter Verwendung von Indus­trie­silikon herstellte, das nicht den geltenden Quali­täts­s­tandards entsprach, ließ sich Frau Schmitt ihre Implantate entfernen. Der Hersteller ist inzwischen zahlungsunfähig geworden.

Klägerin verlangt vor deutschen Gerichten Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro

Frau Schmitt verlangt vor den deutschen Gerichten vom TÜV Rheinland, der vom Hersteller im Rahmen der CE-Kennzeichnung mit der Überprüfung seines Quali­täts­si­che­rungs­systems beauftragten benannten Stelle, Schmerzensgeld in Höhe von 40.000 Euro. Außerdem begehrt sie die Feststellung der Ersatzpflicht des TÜV für künftig entstehende materielle Schäden. Sie macht geltend, der TÜV hätte durch Einsichtnahme in Lieferscheine und Rechnungen erkennen können, dass der Hersteller nicht das genehmigte Silikon verwendet habe.

BGH erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH zur möglichen Haftung des TÜV Rheinland

Nach Auffassung des deutschen Bundes­ge­richtshofs setzt eine Haftung des TÜV Rheinland voraus, dass er gegen ein Schutzgesetz oder eine Vertragspflicht verstoßen hat. Um feststellen zu können, ob ein solcher Verstoß vorliegt, ersucht der Bundes­ge­richtshof den Gerichtshof, vorab die einschlägigen europa­recht­lichen Vorschrif­te­n­aus­zulegen, d.h. die Richtlinie 93/42 über Medizin­pro­dukte*. Diese Richtlinie dient der Harmonisierung der Anforderungen, die Medizinprodukte wie etwa Brustimplantate erfüllen müssen, damit sie in den Verkehr gebracht werden dürfen. In der Richtlinie werden u.a. das Verfahren der EG-Konfor­mi­täts­er­klärung sowie die Aufgaben und Verpflichtungen der benannten Stellen geregelt, die im Rahmen dieses Quali­täts­si­che­rungs­systems tätig werden.

EuGH verneint Pflicht zur unangemeldeten Inspektionen

Mit seinem Urteil antwortet der Gerichtshof, dass gemäß dieser Richtlinie einer benannten Stelle, die - wie der TÜV - im Rahmen eines Verfahrens der EG-Konfor­mi­täts­er­klärung tätig wird, keine generelle Pflicht obliegt, unangemeldete Inspektionen durchzuführen, Produkte zu prüfen und/oder Geschäfts­un­terlagen des Herstellers zu sichten. Liegen jedoch Hinweise darauf vor, dass ein Medizinprodukt die Anforderungen der Richtlinie möglicherweise nicht erfüllt, muss die benannte Stelle alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um ihren Verpflichtungen aus dieser Richtlinie nachzukommen**.

Nationales Recht maßgeblich für Prüfung möglicher Haftungs­ansprüche

Außerdem stellt der Gerichtshof fest, dass die benannte Stelle im Rahmen des Verfahrens der EG-Konfor­mi­täts­er­klärung zum Schutz der Endempfänger der Medizinprodukte tätig wird. Die Voraussetzungen, unter denen eine von einer benannten Stelle begangene schuldhafte Verletzung der ihr im Rahmen dieses Verfahrens gemäß der Richtlinie obliegenden Pflichten ihre Haftung gegenüber den Empfängern begründen kann, unterliegen jedoch vorbehaltlich der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität dem nationalen Recht.

Erläuterungen

* Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. 1993, L 169, S.1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. September 2003 (ABl. 2003, L 284, S. 1) geänderten Fassung. Diese Richtlinie wurde durch die Richtlinie 2007/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 (ABl. 2007, L 247, S. 21) geändert. Diese Änderungen betreffen jedoch Vorschriften, die ab dem 21. März 2010 anzuwenden und folglich im Rahmen des Ausgangs­ver­fahrens nicht einschlägig sind.

** Zu diesen Verpflichtungen gehört u.a., dass die benannte Stelle sich davon überzeugt, dass der Hersteller die Verpflichtungen, die sich aus dem genehmigten Quali­täts­si­che­rungs­system ergeben, ordnungsgemäß einhält, und dass sie gegebenenfalls feststellt, ob die EG-Konfor­mi­täts­er­klärung aufrecht­er­halten werden kann.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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