Nach dem New Yorker Übereinkommen über die Schiedsgerichtsbarkeit verweist ein Gericht, das mit einem Rechtsstreit befasst wird, hinsichtlich dessen die Parteien eine Schiedsvereinbarung geschlossen haben, die Parteien auf Antrag einer von ihnen auf das schiedsrichterliche Verfahren, sofern das Gericht nicht feststellt, dass die Vereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist.
Die Gemeinschaftsverordnung über die gerichtliche Zuständigkeit nimmt die Schiedsgerichtsbarkeit von ihrem Anwendungsbereich aus. Sie sieht außerdem vor, dass eine Person wegen unerlaubter Handlung oder wegen einer ähnlichen Haftung vor dem Gericht des Ortes verklagt werden kann, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht.
Im August 2000 kollidierte die "Front Comor", ein West Tankers gehörendes Schiff, das die Erg Petroli SpA gechartert hatte, in Syrakus (Italien) mit einer Erg gehörenden Mole und verursachte dort Schäden. Für den Chartervertrag war die Geltung englischen Rechts vereinbart worden, und er enthielt eine Schiedsklausel, die ein Schiedsverfahren in London vorsah.
Erg begehrte von ihren Versicherern, Allianz und Generali, Schadensersatz in Höhe der Versicherungssumme und leitete hinsichtlich des übrigen Schadensbetrags gegen West Tankers ein Schiedsverfahren in London ein. West Tankers bestritt, für den Unfallschaden zu haften.
Nachdem Allianz und Generali an Erg für den Schaden gemäß den Versicherungsverträgen Ersatz geleistet hatten, erhoben sie vor einem italienischen Gericht in Syrakus eine Klage gegen West Tankers, um die von ihnen an Erg gezahlten Beträge zurückzuerlangen. West Tankers erhob dagegen die Einrede, das italienische Gericht sei wegen des Bestehens der Schiedsvereinbarung unzuständig.
Parallel dazu leitete West Tankers ein Verfahren vor den Gerichten des Vereinigten Königreichs ein, um zu erreichen, dass der Rechtsstreit, wie in dem Chartervertrag vereinbart, dem Schiedsverfahren unterworfen werde. West Tankers beantragte außerdem, es den beiden Versicherungsunternehmen gerichtlich zu verbieten, sich eines anderen Verfahrens als des Schiedsverfahrens zu bedienen und das vor dem italienischen Gericht eingeleitete Verfahren fortzuführen.
Das House of Lords, das mit dem Rechtsstreit im Vereinigten Königreich als Rechtsmittelinstanz befasst ist, hat dem Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob die Verordnung der Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit es den Gerichten eines Mitgliedstaats untersagt, einer Person die Einleitung oder Fortführung eines gerichtlichen Verfahrens in einem anderen Mitgliedstaat mit der Begründung zu verbieten, dass dieses Verfahren gegen eine Schiedsvereinbarung verstoße, obwohl die Schiedsgerichtsbarkeit vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen ist.
In seinem vorliegenden Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass das Verfahren vor dem House of Lords, da es darauf gerichtet ist, einer Person die Fortführung eines Verfahrens vor einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats zu verbieten, nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt. Jedoch kann ein solches Verfahren Folgen haben, die die praktische Wirksamkeit der Verordnung beeinträchtigen, so insbesondere dann, wenn es ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats daran hindert, die Befugnisse auszuüben, die ihm durch die Verordnung verliehen sind.
Eine zivilrechtliche Schadensersatzklage vor einem italienischen Gericht aber fällt durchaus in den Anwendungsbereich der Verordnung. Ebenso fällt die Vorfrage, ob die Schiedsvereinbarung gültig und anwendbar ist, in den Anwendungsbereich der Verordnung, da es von ihrer Beantwortung abhängt, ob das italienische Gericht in der Sache zuständig ist.
Insoweit erinnert der Gerichtshof daran, dass nach der Verordnung die Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats nicht von einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats geprüft werden darf. Es ist deshalb ausschließlich Sache des von Allianz und Generali angerufenen italienischen Gerichts, über seine eigene Zuständigkeit für die Entscheidung über den bei ihm anhängig gemachten Rechtsstreit zu befinden.
Der Gerichtshof stellt demgemäß fest, dass die von West Tankers im Vereinigten Königreich beantragte Anordnung, die auf eine Beendigung des Gerichtsverfahrens in Syrakus zielt, ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats darin beeinträchtigt, die ihm durch die Verordnung verliehenen Befugnisse auszuüben. Überdies könnte eine solche Anordnung das Vertrauen erschüttern, das die Mitgliedstaaten ihren Rechtssystemen und Rechtspflegeorganen gegenseitig entgegenbringen und auf dem das durch die Verordnung geschaffene Zuständigkeitssystem beruht.
Der Gerichtshof weist auch darauf hin, dass die Versicherer, wenn das italienische Gericht an der Prüfung der Gültigkeit oder Anwendbarkeit der Schiedsvereinbarung gehindert wäre, einer Form des gerichtlichen Rechtsschutzes beraubt würden, auf die sie Anspruch haben. Die Kläger würden dadurch nämlich, wenn sie die Schiedsvereinbarung für hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar halten, vom Zugang zu dem staatlichen Gericht ausgeschlossen, das sie gemäß der Verordnung angerufen haben.
Aufgrund dieser Überlegungen hat der Gerichtshof entschieden, dass der Erlass einer gerichtlichen Anordnung, mit der einer Person die Einleitung oder Fortführung eines Verfahrens vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats mit der Begründung verboten wird, dass ein solches Verfahren gegen eine Schiedsvereinbarung verstoße, mit der Verordnung der Gemeinschaft über die gerichtliche Zuständigkeit unvereinbar ist. Dieses Ergebnis wird auch durch das New Yorker Übereinkommen bestätigt, wonach es das Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig gemacht wird, hinsichtlich dessen die Parteien ein Schiedsverfahren vereinbart haben, ist, das die Parteien auf Antrag einer von ihnen auf das schiedsrichterliche Verfahren verweist, sofern es nicht feststellt, dass die Vereinbarung hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar ist.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 25.02.2009
Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 13/09 des EuGH vom 10.02.2009