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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil08.05.2019

EuGH zur Berechnung der Altersrenten von Teil­zeit­beschäftigten in SpanienNationale Regelung darf sich für weibliche Arbeitnehmer nicht besonders nachteilig erweisen

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass die spanische Regelung über die Berechnung der Altersrenten von Teil­zeit­beschäftigten gegen das Unionsrecht verstößt, sofern sie sich als für weibliche Arbeitnehmer besonders nachteilig erweist.

Frau Villar Láiz beanstandet die vom Instituto Nacional de la Seguridad Social (INSS) (Staatliche Sozia­l­ver­si­che­rungs­anstalt, Spanien) vorgenommene Berechnung ihrer Altersrente. Die Höhe ihrer Rente wurde unter Berück­sich­tigung der Tatsache berechnet, dass sie einen Großteil ihres Arbeitslebens in Teilzeit gearbeitet hatte. Frau Villar Láiz machte geltend, dass die durch die nationale Regelung eingeführte unter­schiedliche Behandlung die Ursache für eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts sei, da die Mehrheit der Teilzeit­be­schäf­tigten Frauen seien.

Gericht bejaht mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts

Da ihre Klage abgewiesen wurde, legte Frau Villar Láiz beim Tribunal Superior de Justicia de Castilla y León (Obergericht von Kastilien und León, Spanien) Berufung ein. Dieses Gericht erklärte, dass sich das spanische Recht betreffend die Berechnung der Altersrente für Teilzeit­be­schäftigte meistens ungünstig auswirke. Das Gericht war der Auffassung, dass die spanischen Rechts­vor­schriften zu einer mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts führten, die gegen die Richtlinie über den Grundsatz der Gleich­be­handlung* verstoße, da nach Angaben des Instituto Nacional de Estadistica (Nationales Statistikamt, Spanien) im ersten Quartal 2017 75 % der Teilzeit­be­schäf­tigten Frauen gewesen seien.

Berechnung der beitrags­be­zogenen Altersrente eines Teilzeit­be­schäf­tigten

Das Tribunal Superior de Justicia de Castlla y León hat beschlossen, dem Gerichtshof Fragen zur Vorab­ent­scheidung vorzulegen, um u.a. in Erfahrung zu bringen, ob die spanische Regelung gegen die Richtlinie verstößt. Gemäß dieser Regelung wird die Höhe der beitrags­be­zogenen Altersrente eines Teilzeit­be­schäf­tigten wie folgt berechnet:

Zunächst wird anhand der tatsächlich bezogenen Gehälter und der tatsächlich geleisteten Beiträge eine Berech­nungs­grundlage ermittelt. Anschließend wird die Berech­nungs­grundlage mit einem Prozentsatz multipliziert, der von der Dauer des Beitrags­zeitraums abhängt. Auf diesen Zeitraum wird wiederum ein Teilzeit­ko­ef­fizient angewendet, der dem Verhältnis zwischen der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit in Teilzeit und der von einem vergleichbaren Vollzeit­be­schäf­tigten geleisteten Arbeitszeit entspricht, und er wird durch die Anwendung eines Koeffizienten von 1,5 erhöht.

Richtlinie verbietet jegliche unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts

Der Gerichtshof der Europäischen Union entschied, dass die Richtlinie der spanischen Regelung entgegensteht, sofern sich diese als für weibliche Arbeitnehmer besonders nachteilig erweist. Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass die Richtlinie jegliche unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, u.a. bei der Berechnung der Leistungen im Bereich der sozialen Sicherheit, verbietet. Nachdem der Gerichtshof das Vorliegen einer unmittelbaren Diskriminierung verneint hat, wies er darauf hin, dass eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts in einer Situation zu sehen ist, in der dem Anschein nach neutrale Vorschriften Personen des einen Geschlechts in besonderer Weise gegenüber Personen des anderen Geschlechts benachteiligen können. Diese Benachteiligung liegt vor, wenn sich eine Regelung auf einen signifikant höheren Anteil von Personen eines Geschlechts im Vergleich zu Personen des anderen Geschlechts ungünstig auswirkt.

Nationale Vorschriften haben meist nachteilige Wirkungen für Teilzeit­be­schäftigte

Der Gerichtshof stellt fest, dass die in Rede stehenden nationalen Vorschriften in den meisten Fällen nachteilige Wirkungen für Teilzeit­be­schäftigte im Vergleich zu Vollzeit­be­schäf­tigten haben. Für die in geringem Umfang Teilzeit­be­schäf­tigten (d.h. diejenigen, die im Durchschnitt weniger als zwei Drittel der normalen Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeit­be­schäf­tigten gearbeitet haben), ist der auf die Berech­nungs­grundlage anwendbare Teilzeit­ko­ef­fizient niedriger als der, der auf die Berech­nungs­grundlage von Vollzeit­be­schäf­tigten anwendbar ist. Daraus folgt, dass diese Arbeitnehmer, die nach den dem Gerichtshof vorliegenden Akten 65 % der Teilzeit­be­schäf­tigten ausmachen, wegen der Anwendung dieses Teilzeit­ko­ef­fi­zienten einen Nachteil erleiden.

Nationale Regelung darf Frauen im Vergleich zu Männern nicht besonders benachteiligen

Der Gerichtshof war der Auffassung, dass es Sache des Tribunal Superior de Justicia de Castilla y León ist, zu überprüfen, ob die ihm vorgelegten statistischen Daten über die Verteilung der männlichen und weiblichen Arbeitnehmer aussagekräftig, repräsentativ und signifikant sind. Sollte das spanische Gericht auf der Grundlage dieser Daten und gegebenenfalls anderer relevanter Gesichtspunkte zu dem Schluss kommen, dass die in Rede stehende nationale Regelung Frauen im Vergleich zu Männern besonders benachteiligt, verstieße eine solche Regelung gegen die Richtlinie, es sei denn, sie wäre objektiv gerechtfertigt.

EuGH prüft mögliche legitime Ziele der nationalen Regelung

Der Gerichtshof prüft sodann, ob die spanische Regelung einem legitimen Ziel der Sozialpolitik dient. Er weist zu diesem Zweck darauf hin, dass eine Maßnahme, die bewirkt, dass das Ruhegehalt eines Arbeitnehmers stärker als unter proportionaler Berück­sich­tigung seiner Zeiten der Teilzeitbeschäftigung gekürzt wird, nicht dadurch als objektiv gerechtfertigt angesehen werden kann, dass in diesem Fall das Ruhegehalt einer geminderten Arbeitsleistung entspricht. Der Gerichtshof stellt fest, dass die in Rede stehende nationale Regelung zwei Bestandteile enthält, die bewirken können, dass der Betrag der Altersrente von Teilzeit­be­schäf­tigten geringer ausfällt. Erstens wird die Berech­nungs­grundlage der Altersrente nach Maßgabe der Beitrags­be­mes­sungs­grundlagen ermittelt, die aus den Gehältern bestehen, die entsprechend den geleisteten Arbeitsstunden tatsächlich bezogen wurden. Diese Berech­nungs­grundlage ist somit für einen Teilzeit­be­schäf­tigten niedriger als die Berech­nungs­grundlage eines vergleichbaren Vollzeit­be­schäf­tigten. Zweitens wird, obwohl diese Berech­nungs­grundlage mit einem Prozentsatz multipliziert wird, der sich nach der Zahl der Beitragstage richtet, diese Zahl von Tagen selbst mit einem Teilzeit­ko­ef­fi­zienten multipliziert, der dem Verhältnis zwischen der vom betreffenden Arbeitnehmer tatsächlich geleisteten Arbeitszeit in Teilzeit und der von einem vergleichbaren Arbeitnehmer in Vollzeit geleisteten Arbeitszeit entspricht. Obwohl dieser zweite Bestandteil durch die Tatsache abgemildert wird, dass die nach Anwendung des Teilzeit­ko­ef­fi­zienten ermittelte Zahl der Beitrags­ta­gedurch die Anwendung eines Koeffizienten von 1,5 erhöht wird, ist der erste Bestandteil bereits geeignet, das verfolgte Ziel zu erreichen, das u.a. in der Wahrung des beitrags­be­zogenen Systems der sozialen Sicherheit besteht. Folglich geht die zusätzliche Anwendung eines Teilzeit­ko­ef­fi­zienten über das hinaus, was erforderlich ist, um dieses Ziel zu erreichen, und führt in Bezug auf die Gruppe der Arbeitnehmer, die in geringem Umfang teilzeit­be­schäftig waren, zu einer Reduzierung des Betrags der Altersrente, die stärker ist als die Reduzierung, die sich aus der bloßen Berück­sich­tigung pro rata temporis ihrer Arbeitszeit ergäbe.

Erläuterungen

* Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleich­be­handlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online (pm/kg)

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