15.11.2024
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Dokument-Nr. 7992

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil12.06.2009

Längere Nachfor­de­rungsfrist für verschwiegene steuer­pflichtige, in anderen Mitglieds­s­taaten befindliche Guthaben verstoßen nicht gegen das Gemein­schaftsrechtRegelung soll helfen, Wirksamkeit der steuerlichen Überwachung zu gewährleisten und Steuer­hin­ter­ziehung zu bekämpfen

Besitzen die Steuerbehörden für das Bestehen von steuer­pflichtigen Guthaben, die sich in einem anderen Mitgliedsstaat befinden, keinen Anhaltspunkt, geht eine längere Nachfor­de­rungsfrist nicht über das hinaus, was erforderlich ist, um eine wirksame steuerliche Überwachung zu gewährleisten und Steuer­hin­ter­ziehung zu bekämpfen. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Im Oktober 2000 übermittelte der belgische Steuer­fahn­dungs­dienst an die nieder­län­dischen Steuerbehörden unaufgefordert Informationen über Bankkonten, die bei der in Luxemburg ansässigen Kredietbank Luxembourg (KB-Lux) im Namen von Personen mit Wohnsitz in den Niederlanden eröffnet worden waren. Nach der Prüfung dieser Informationen wurde im Jahr 2002 an X, der ein solches Konto seit 1993 besessen hatte, ein Nachfor­de­rungs­be­scheid für die Vermögen- und Einkommensteuer in den Jahren 1993 bis 2001 gerichtet. Außerdem wurde gegen X eine Geldbuße in Höhe von 50 % des nachgeforderten Steuerbetrags festgesetzt (C-155/08).

Im Januar 2003 übermittelte Frau Passenheim-van Schoot nach dem Tod ihres Ehemanns den nieder­län­dischen Steuerbehörden aus eigener Initiative vollständige Informationen über ein Guthaben bei einer Bank in Deutschland, das ihr und ihrem verstorbenen Ehemann gehört hatte. Dieses Bankguthaben war in ihren Steue­r­er­klä­rungen bis dahin nie erwähnt worden. Auf Antrag von Frau Passenheim-van Schoot wandten die nieder­län­dischen Steuerbehörden zu ihren Gunsten eine so genannte „Reueregelung“ an, so dass gegen sie keine Geldbuße verhängt wurde. Jedoch wurden auch ihr Nachfor­de­rungs­be­scheide für die Steuerjahre 1993 bis 1997 zugestellt (C-157/08).

Oberste Gerichtshof der Niederlande legt EuGH Frage zur Nachfor­de­rungsfrist vor

X und Frau Passenheim-van Schoot riefen gegen diese Nachfor­de­rungs­be­scheide die nieder­län­dischen Gerichte an. Sie machten geltend, dass die im nieder­län­dischen Recht vorgesehene längere Nachfor­de­rungsfrist für Steuer­ge­gen­stände im Ausland dem Gemeinschaftsrecht zuwiderlaufe. In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof der Niederlande (Hoge Raad der Nederlanden), der letzt­in­sta­nzlich mit den beiden Verfahren befasst ist, dem Gerichtshof u. a. die Frage vorgelegt, ob das Gemein­schaftsrecht den nieder­län­dischen Rechts­vor­schriften entgegensteht, nach denen in Fällen, in denen den Steuerbehörden Sparguthaben und/oder Einkünfte daraus verschwiegen worden sind, die Nachfor­de­rungsfrist fünf Jahre beträgt, wenn es sich um Sparguthaben in den Niederlanden selbst handelt, aber zwölf Jahre, wenn es sich um Sparguthaben in einem anderen Mitgliedstaat handelt.

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass eine solche Regelung eine Beschränkung sowohl des freien Dienst­leis­tungs­verkehrs als auch des freien Kapitalverkehrs bildet, die grundsätzlich durch den EG-Vertrag verboten wird.

Steuerbehörden können im Einzelfall wegen unerkannt gebliebener Steuer­ge­gen­stände in anderen Mitglieds­s­taaten Ermittlungen einleiten

Der Gerichtshof weist jedoch weiter darauf hin, dass nach seiner Rechtsprechung zu den zwingenden Gründen des Allge­mein­in­teresses, die eine derartige Beschränkung rechtfertigen können, die Notwendigkeit, die Wirksamkeit der steuerlichen Überwachung zu gewährleisten, und die Bekämpfung von Steuerhinterziehung zählen. Auch wenn die Verlängerung einer Nachfor­de­rungsfrist als solche die Ermitt­lungs­be­fugnisse der Steuerbehörden eines Mitgliedstaats nicht stärkt, ermöglicht sie es ihnen doch im Fall der Entdeckung von ihnen unbekannt gebliebenen Steuer­ge­gen­ständen in einem anderen Mitgliedstaat, Ermittlungen einzuleiten und, wenn sich herausstellt, dass eine Besteuerung dieser Steuer­ge­gen­stände unterblieben oder in zu geringer Höhe vorgenommen worden ist, einen Nachfor­de­rungs­be­scheid zu erlassen.

Nach dem heute ergangenen Urteil des Gerichtshofs ist daher anzuerkennen, dass eine Regelung wie die in Frage stehende niederländische dazu beiträgt, die Wirksamkeit der steuerlichen Überwachung zu gewährleisten und Steuer­hin­ter­ziehung zu bekämpfen. Der Gerichtshof hat sodann geprüft, ob eine solche Regelung nicht über das für die Erreichung dieser Ziele Erforderliche hinausgeht.

Unterscheidung zwischen zwei Fallge­stal­tungen

Die erste Fallgestaltung

entspricht einer Situation, in der ein Steuer­ge­genstand, der in einem Mitgliedstaat der Steuer unterliegt und sich in einem anderen Mitgliedstaat befindet, den Steuerbehörden des erstgenannten Mitgliedstaats verschwiegen worden ist und diese keinen Anhaltspunkt für die Existenz dieses Steuer­ge­gen­stands besitzen, der ihnen die Einleitung von Ermittlungen erlaubte. In diesem Fall ist es dem erstgenannten Mitgliedstaat unmöglich, sich an die zuständigen Behörden des anderen Mitgliedstaats zu wenden, um von ihnen die nötigen Auskünfte für die ordnungsgemäße Festsetzung des Steuerbetrags zu erhalten.

Unter diesen Umständen geht die Festlegung einer auf zwölf Jahre verlängerten Nachfor­de­rungsfrist für Steuer­ge­gen­stände, die den Steuerbehörden verschwiegen worden sind, nicht über das hinaus, was erforderlich ist, um die Wirksamkeit der steuerlichen Überwachung zu gewährleisten und Steuer­hin­ter­ziehung zu bekämpfen.

Im Rahmen dieser Fallgestaltung hindert es das Gemein­schaftsrecht auch nicht, dass die wegen des Verschweigens der ausländischen Guthaben und Einkünfte verhängte Geldbuße proportional zu dem Nachfor­de­rungs­betrag und nach Maßgabe des längeren Zeitraums bemessen wird.

Die zweite Fallgestaltung

entspricht einer Situation, in der die Steuerbehörden eines Mitgliedstaats Anhaltspunkte für einen Steuer­ge­genstand in einem anderen Mitgliedstaat besitzen, die ihnen die Einleitung von Ermittlungen ermöglichen. In diesem Fall lässt es sich nicht rechtfertigen, dass der erstgenannte Mitgliedstaat eine längere Nachfor­de­rungsfrist anwendet, die nicht speziell dazu dient, seinen Steuerbehörden die sachdienliche Inanspruchnahme von Mechanismen der gegenseitigen Amtshilfe zwischen Mitgliedstaaten zu erlauben, und die eröffnet wird, wenn sich der Steuer­ge­genstand in einem anderen Mitgliedstaat befindet.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 52/09 des EuGH vom 11.06.2009

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