15.11.2024
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Dokument-Nr. 15148

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil31.01.2013

Vulkanausbruch: Luftfahrt­unternehmen muss Fluggäste nach Flugan­nul­lierung zeitlich und finanziell unbegrenzt betreuenLuftraum­schließungen stellen "außer­ge­wöhnliche Umstände" dar, die Luftfahrt­unternehmen nicht von Betreu­ungs­pflicht entbinden

Ein Luftfahrt­unternehmen ist verpflichtet Fluggäste zu betreuen, deren Flug aufgrund außer­ge­wöhn­licher Umstände wie der Schließung des Luftraums nach dem Ausbruch des Vulkans Eyjaf­ja­l­la­jökull annulliert wurde. Das Unionsrecht sieht keine zeitliche oder finanzielle Begrenzung dieser Pflicht zur Betreuung der Fluggäste (Unterbringung, Mahlzeiten, Erfrischungen) vor. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Wird ein Flug annulliert, ist das Luftfahrtunternehmen nach dem Unionsrecht* zu Betreuungs- und Ausgleichs­leis­tungen gegenüber den betroffenen Fluggästen verpflichtet. Im Rahmen der Betreu­ungs­pflicht muss das Luftfahrt­un­ter­nehmen in angemessenem Verhältnis zur Wartezeit Erfrischungen und Mahlzeiten sowie gegebenenfalls eine Hotel­un­ter­bringung, die Beförderung zwischen dem Flughafen und dem Ort der Unterbringung und Kommu­ni­ka­ti­o­ns­mög­lich­keiten mit Dritten unentgeltlich bereitstellen. Dieser Pflicht muss das Luftfahrt­un­ter­nehmen auch dann nachkommen, wenn die Annullierung des Fluges auf außer­ge­wöhnliche Umstände zurückgeht, d. h. solche, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Die Ausgleichs­pflicht trifft das Luftfahrt­un­ter­nehmen dagegen nicht, wenn es nachweisen kann, dass die Flugannullierung solchen Umständen geschuldet ist.

Schließung des Luftraums aufgrund des Vulkanausbruchs

Nach dem Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull wurde der Luftraum mehrerer Mitgliedstaaten, so auch der Luftraum über Irland, vom 15. bis zum 22. April 2010 wegen der Gefahren für die Luftfahrzeuge geschlossen.

Klägerin verlangt von Ryanair Erstattung der durch die Nicht­be­för­derung entstandenen Kosten

Frau McDonagh gehörte zu den Fluggästen, die auf den für den 17. April 2010 vorgesehenen Flug von Faro nach Dublin gebucht waren, der nach dem Vulkanausbruch annulliert wurde. Die Flüge zwischen Irland und dem europäischen Kontinent wurden erst am 22. April 2010 wieder aufgenommen, und Frau McDonagh konnte schließlich erst am 24. April 2010 nach Irland zurückkehren. In dem betreffenden Zeitraum wurde Frau McDonagh von Ryanair nicht betreut. Sie begehrt daher von Ryanair eine Entschädigung in Höhe von fast 1.130 Euro, dem Betrag der ihr vom 17. bis zum 24. April 2010 entstandenen Kosten für Mahlzeiten, Erfrischungen, Unterbringung und Beförderung.

Nationales Gericht erbittet Entscheidung des EuGH über Pflicht zur Betreuung der Passagiere aufgrund "außer­ge­wöhn­licher Umstände"

Der mit dem Rechtsstreit befasste Dublin Metropolitan District Court (Irland) möchte vom Gerichtshof wissen, ob es sich bei der Schließung des Luftraums wegen eines Vulkanausbruchs um "außer­ge­wöhnliche Umstände" handelt, mit der Folge, dass das Luftfahrt­un­ter­nehmen zur Betreuung der Fluggäste verpflichtet ist, oder ob darin vielmehr Umstände zu sehen sind, die über "außer­ge­wöhnliche Umstände" hinausgehen, so dass das Luftfahrt­un­ter­nehmen von seiner Fluggast­be­treu­ungs­pflicht freigestellt ist. Für den Fall, dass der Gerichtshof erkennen sollte, dass solche Umstände tatsächlich unter den Begriff der außer­ge­wöhn­lichen Umstände fallen, wird er außerdem auch um Entscheidung darüber ersucht, ob in einem solchen Fall die Betreu­ungs­pflicht zeitlich und/oder finanziell zu begrenzen ist.

Schließung eines Teils des europäischen Luftraums stellen "außer­ge­wöhnliche Umstände" dar

Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass das Unionsrecht über die "außer­ge­wöhn­lichen Umstände" hinaus keine gesonderte Kategorie von "besonders außer­ge­wöhn­lichen" Vorkommnissen anerkennt, aufgrund deren die Luftfahrt­un­ter­nehmen von allen ihren Verpflichtungen aus der in Rede stehenden Verordnung einschließlich der Betreu­ungs­pflicht freigestellt würden. Wenn nämlich Umstände wie diejenigen, um die es hier geht, wegen ihrer Ursache und Tragweite aus dem begrifflichen Rahmen der außer­ge­wöhn­lichen Umstände fielen, hätte dies zur Folge, dass die Luftfahrt­un­ter­nehmen die Betreu­ungs­leis­tungen nach dieser Verordnung nur gegenüber Fluggästen erbringen müssten, deren Lage infolge einer Flugan­nul­lierung begrenzt unangenehm ist. Fluggästen, die sich insoweit in einer besonders prekären Lage befinden, als sie gezwungen sind, mehrere Tage an einem Flughafen zu verweilen, bliebe dieser Schutz dagegen vorenthalten. Der Gerichtshof antwortet daher, dass Umstände wie die Schließung eines Teils des europäischen Luftraums nach einem Vulkanausbruch wie dem des Eyjaf­ja­l­la­jökull "außer­ge­wöhnliche Umstände" darstellen, die die Luftfahrt­un­ter­nehmen nicht von ihrer Betreu­ungs­pflicht entbinden.

Luftfahrt­un­ter­nehmen muss Fluggäste während der gesamten Wartezeit betreuen

Sodann stellt der Gerichtshof klar, dass die Verordnung keinerlei Begrenzung, ob zeitlicher oder finanzieller Art, der Pflicht zur Betreuung der Fluggäste vorsieht, deren Flug wegen außer­ge­wöhn­licher Umstände annulliert wurde. Dem Luftfahrt­un­ter­nehmen obliegen daher alle Betreu­ungs­pflichten gegenüber den betroffenen Fluggästen während des gesamten Zeitraums, in dem diese auf ihre anderweitige Beförderung warten müssen. Der Gerichtshof betont, dass sich die Betreuung der Fluggäste beim Eintritt "außer­ge­wöhn­licher Umstände", die lange anhalten, als besonders wichtig erweist und dass gerade bei einer besonders langen Wartezeit infolge der Annullierung eines Fluges sichergestellt werden muss, dass dem Fluggast während der gesamten Wartezeit der Zugang zu den allernötigsten Erzeugnissen und Dienst­leis­tungen möglich ist.

Finanzieller Aufwand für Luftfahrt­un­ter­nehmen durch Betreuung der Fluggäste nicht unver­hält­nismäßig

Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass die Betreu­ungs­pflicht für die Luftfahrt­un­ter­nehmen zwar finanzielle Folgen hat, diese aber in Anbetracht des beabsichtigten hohen Schutzniveaus für die Fluggäste nicht als unver­hält­nismäßig angesehen werden können. Die Bedeutung, die diesem Ziel zukommt, kann nämlich negative wirtschaftliche Folgen selbst beträchtlichen Ausmaßes für bestimmte Wirtschafts­teil­nehmer rechtfertigen. Im Übrigen müssten die Luftfahrt­un­ter­nehmen als umsichtige Unternehmer die Kosten, die mit der Erfüllung ihrer Betreu­ungs­pflicht verbunden sind, voraussehen. Ferner können sie die durch diese Pflicht verursachten Kosten auf die Flugpreise umlegen.

Entschä­di­gungs­an­spruch besteht nur für entstandene notwendige, angemessene und zumutbare Kosten

Der Gerichtshof weist jedoch darauf hin, dass ein Fluggast, wenn das Luftfahrt­un­ter­nehmen seiner Betreu­ungs­pflicht nicht nachgekommen ist, als Entschädigung nur solche Beträge erstattet bekommen kann, die sich als notwendig, angemessen und zumutbar erweisen, um das Versäumnis des Luftfahrt­un­ter­nehmens auszugleichen, was zu beurteilen Sache des nationalen Gerichts ist.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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