14.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil23.10.2007

"Volks­wa­gen­gesetz" vom EuGH gekippt - Beschränkung des freien KapitalverkehrsPorsche kann feindliche Übernahme praktisch durchführen

Die Bundesrepublik Deutschland hat durch die Beibehaltung der Bestimmungen des Volks­wa­gen­ge­setzes über die Begrenzung des Stimmrechts auf 20 %, über die Festlegung der Sperrminorität auf 20 % und über das Recht des Bundes und des Landes Niedersachsen, je zwei Vertreter in den Aufsichtsrat zu entsenden, gegen ihre Verpflichtungen verstoßen. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Die Kommission hat am 4. März 2005 eine Klage gegen Deutschland erhoben, weil das Volks­wa­gen­gesetz gegen den freien Kapitalverkehr und die Niederlassungsfreiheit verstoße. Konkret beanstandet die Kommission

o das Recht der Bundesrepublik und des Landes Niedersachsen, je zwei Aufsichts­rats­mit­glieder in den Aufsichtsrat des Unternehmens zu entsenden, solange ihnen Aktien der Gesellschaft gehören,

o die Begrenzung der Stimm­rechts­ausübung auf 20 % des Grundkapitals, wenn der Anteil eines Aktionärs diesen Prozentsatz übersteigt,

o die Erhöhung der Mehrheit, die für die Beschlüsse der Aktio­närs­haupt­ver­sammlung, die nach dem Aktiengesetz nur einer Mehrheit von 75 % bedürfen, erforderlich ist, auf 80 % des vertretenen Grundkapitals.

In seinem Urteil gibt der Gerichtshof der Klage der Kommission statt, soweit sie auf einen Verstoß gegen den freien Kapitalverkehr gestützt ist. Hinsichtlich des von der Kommission gerügten Verstoßes gegen die Nieder­las­sungs­freiheit weist der Gerichtshof die Klage ab, weil es an einem substantiierten Vortrag der Kommission hierzu fehlt.

Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs

Der Gerichtshof stellt fest, dass das Volks­wa­gen­gesetz als Ausdruck der staatlichen Gesetz­ge­bungs­be­fugnis eine nationale Maßnahme ist. Die streitigen Bestimmungen des Gesetzes sind dem Staat zuzurechnen, da nur er in der Lage ist, sie in seiner Eigenschaft als Gesetzgeber zu ändern.

Der Gerichtshof erinnert daran, dass der EG-Vertrag jede Beschränkung des Kapitalverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten verbietet. Eine nationale Maßnahme, die geeignet ist, Anleger von Direk­t­in­ves­ti­tionen abzuhalten, weil sie die Möglichkeit der Aktionäre einschränkt, sich an der Gesellschaft zu beteiligen, um dauerhafte und direkte Beziehungen mit ihr zu schaffen oder aufrecht­zu­er­halten, die es ihnen ermöglichen, sich effektiv an ihrer Verwaltung oder ihrer Kontrolle zu beteiligen, stellt eine solche Beschränkung dar.

Der Gerichtshof stellt fest, dass die fraglichen Bestimmungen eine solche abschreckende Wirkung haben können.

Begrenzung des Stimmrechts auf 20 % und Festlegung der Sperrminorität auf 20 %

Der Gerichtshof schließt nicht aus, dass jede dieser beiden Bestimmungen für sich betrachtet zugunsten und zulasten eines Aktionärs der Gesellschaft wirken kann. Er erinnert jedoch daran, dass zur Zeit des Erlasses des Volks­wa­gen­ge­setzes der Bund und das Land Niedersachsen die Hauptaktionäre der gerade erst privatisierten Gesellschaft waren, an der sie jeweils 20 % des Kapitals hielten, und dass das Land Niedersachsen weiterhin in dieser Größenordnung beteiligt ist. Der Gerichtshof stellt fest, dass die fraglichen Bestimmungen zusam­men­ge­nommen dem Bund und dem Land Niedersachsen ermöglichen, mit einer geringeren Investition als nach der allgemeinen Regelung erforderlich in der Volkswagen AG wesentlichen Einfluss auszuüben. Diese Situation ist geeignet, Anleger aus anderen Mitgliedstaaten von Direk­t­in­ves­ti­tionen abzuhalten.

Das Recht, zwei Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden

Durch die Möglichkeit, je zwei Mitglieder in den Aufsichtsrat zu entsenden, solange ihnen Aktien der Gesellschaft gehören, werden der Bund und das Land Niedersachsen im Vergleich zum allgemeinen Gesell­schaftsrecht privilegiert, wonach sie nur höchstens drei Aufsichts­rats­mit­glieder entsenden dürften. Zudem steht ihnen das Entsenderecht zu, sobald sie Aktien der Gesellschaft besitzen, ohne dass dabei der Umfang ihrer Beteiligung berücksichtigt würde. Der Bund und das Land Niedersachsen haben so die Möglichkeit, einen Einfluss ausüben, der über ihre Investitionen hinausgeht, und können deshalb den Einfluss der anderen Aktionäre auf ein Niveau verringern, das hinter deren Investitionen zurückbleibt.

Die Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs sind nicht gerechtfertigt

Der Gerichtshof erinnert daran, dass der freie Kapitalverkehr durch nationale Regelungen beschränkt werden kann, die durch legitime Interessen gerechtfertigt sind. Im vorliegenden Fall hat die Bundesrepublik jedoch über allgemeine Erwägungen zur Notwendigkeit des Schutzes vor einem die Gesellschaft allein dominierenden Großaktionär hinaus nicht dargelegt, inwiefern die streitigen Bestimmungen für den Schutz der angeführten Interessen erforderlich sein sollen.

Zunächst hat sie nicht erklären können, warum es zur Erreichung des Ziels des Arbeit­neh­mer­schutzes geeignet und erforderlich sein soll, beim Kapital von Volkswagen eine stärkere und unabänderbare Position öffentlicher Akteure aufrecht­zu­er­halten. Sie hat auch nicht dargelegt, aus welchen Gründen die Aufrecht­er­haltung einer solchen Stellung die allgemeinen Interessen der Minder­heits­ak­tionäre schützen soll.

Schließlich hat die Bundesrepublik nicht verdeutlicht, warum die Bestimmungen des Volks­wa­gen­ge­setzes für die Erhaltung der durch die Tätigkeit von Volkswagen geschaffenen Arbeitsplätze geeignet und erforderlich sein sollen.

Der Gerichtshof stellt daher fest, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus der Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen hat.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 74/07 des EuGH vom 23.10.2007

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