23.11.2024
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Sie sehen eine Einbauküche in einer Wohnung.

Dokument-Nr. 28968

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Bayerischer Verfassungsgerichtshof Urteil16.07.2020

Bayerns Verfas­sungs­richter kippen Volksbegehren "#6 Jahre Mietenstopp"Volksbegehren "#6 Jahre Mietenstopp" unzulässig

Der VerfGH München hat entschieden, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens "#6 Jahre Mietenstopp" nicht vorliegen.

Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung eines Volksbegehrens zur Begrenzung der Miethöhe in 162 bayerischen Gemeinden mit angespanntem Wohnungsmarkt gegeben sind. Der Gesetzentwurf des Volksbegehrens enthält ein weitgehendes Verbot, in laufenden Wohnungs­miet­ver­hält­nissen die Miete zu erhöhen. Ausnahmen sind nur vorgesehen, wenn die erhöhte Miete den Betrag von 80 % der ortsüblichen Vergleichsmiete nicht übersteigt oder wenn Moder­ni­sie­rungs­maß­nahmen durchgeführt wurden. Bei der Neuvermietung einer Wohnung soll es von Neubauwohnungen abgesehen verboten sein, eine Miete zu verlangen, die über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegt. Verstöße gegen diese Verbote können als Ordnungs­wid­rig­keiten geahndet werden. Das Gesetz soll eine auf sechs Jahre begrenzte Laufzeit haben. Für ihr Anliegen haben die Initiatoren des Volksbegehrens ca. 35.000 Unterschriften eingereicht. Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration hat die Zulassung des Volksbegehrens abgelehnt und daher die Sache dem VerfGH München zur Entscheidung gemäß Art. 64 Landes­wahl­gesetz (LWG) vorgelegt. Von dieser Entscheidung des Verfas­sungs­ge­richtshofs hängt ab, ob das Volksbegehren bekannt zu machen ist und sich die Bürgerinnen und Bürger bei den Gemeinden in Listen für das Anliegen eintragen können.

Bayerische Staats­mi­nis­terium hält das Volksbegehren für nicht zulässig

Der Landes­ge­setzgeber habe für die im Volks­be­geh­ren­s­entwurf vorgesehenen Regelungen über die Begrenzung von Mieterhöhungen in laufenden Mietver­hält­nissen und über die zulässige Miethöhe bei Neuvermietungen keine Gesetz­ge­bungs­be­fugnis. Solche Regelungen gehörten zur Materie des bürgerlichen Rechts im Sinn des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Grundgesetz(GG) und seien damit ein Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebung gemäß Art. 72 GG, von der der Bund im Bürgerlichen Gesetzbuch(BGB)abschließend Gebrauch gemacht habe. Vor diesem Hintergrund könne u. a. dahingestellt bleiben, ob die angestrebten Regelungen über die Mietpreis­be­grenzung mit dem grundrechtlich geschützten Recht auf Eigentum vereinbar wären.

Bevoll­mäch­tigter des Beauftragten beantragt Zulassung von Volksbegehren

Aus dem Grundgesetz ergäben sich insoweit keine Einschränkungen der Gesetz­ge­bungs­zu­stän­digkeit des Freistaates Bayern. Insbesondere entfalte die bei Abschluss von Mietverträgen über Wohnraum geltende bundes­rechtliche "Mietpreisbremse" keine Sperrwirkung. Zwischen dieser Regelung und dem im Gesetzentwurf des Volksbegehrens vorgesehenen Mietpreisstopp bestünden strukturelle Unterschiede. Der Mietpreisstopp ziele auf eine Korrektur eines Marktversagens durch Marktlenkung. Die Mietpreisbremse setze vorrangig bei dem zweipoligen Vertrags­ver­hältnis an; Markt­steu­e­rungs­effekte ergäben sich allenfalls mittelbar. Letztlich gehe es um den Unterschied zwischen privatem und öffentlichem Mietpreisrecht. Die bundes­rechtliche Regelung sei zudem nicht abschließend, weil die Landes­re­gie­rungen nach § 556 d Abs. 2 BGB ermächtigt würden, die Gebiete, in denen die Mietpreis­be­grenzung gelte, durch Rechts­ver­ordnung zu bestimmen. Auch im Hinblick auf Mieterhöhungen nach Mietbeginn sei der Landes­ge­setzgeber aufgrund der generellen Offenheit von § 558 BGB für die örtlichen Verhältnisse nicht daran gehindert, andere Bestimmungen zu zulässigen Mieterhöhungen zu erlassen. Diese Einschätzung werde durch die soziale Wohnraum­ga­rantie nach Art. 106 Abs. 1 Bayerische Verfassung (BV) gestützt. Das Volksbegehren begegne auch keinen sonstigen Bedenken.

Bayerisches Verfas­sungs­ge­richtshof: Gesetzliche Voraussetzungen für Zulassung Volksbegehrens nicht gegeben

Der Bayerische Verfas­sungs­ge­richtshof entschieden, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens nicht gegeben sind. Die Entscheidung stützt sich im Wesentlichen auf folgende Erwägungen: Der dem Volksbegehren zugrunde liegende Gesetzentwurf ist mit Bundesrecht offensichtlich unvereinbar, da dem Landes­ge­setzgeber nach Art. 72 Abs. 1 GG die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz fehlt. Bereits vorhandene bundes­ge­setzliche Normen versperren die Möglichkeit landes­ge­setz­licher Regelungen. Durch die in §§ 556 d ff. BGB enthaltenen Regelungen zur Miethöhe sowohl bei Mietbeginn (sog. Mietpreisbremse) als auch während eines laufenden Mietver­hält­nisses (sog. Kappungsgrenze) hat der Bundes­ge­setzgeber von der ihm nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zustehenden konkurrierenden Gesetz­ge­bungs­zu­stän­digkeit für das bürgerliche Recht erschöpfend Gebrauch gemacht. Für den Landes­ge­setzgeber ergeben sich auch aus den in § 556 d Abs. 2 und § 558 Abs. 3 BGB vorgesehenen Ermächtigungen der Landes­re­gie­rungen zum Erlass von Rechts­ver­ord­nungen keine Abwei­chungs­mög­lich­keiten im Hinblick auf die Fest-legung der zulässigen Miethöhe. Auf die gemäß Art. 70 GG gegebene Zuständigkeit der Länder für Bereiche des Wohnungswesens kann der Gesetzentwurf des Volksbegehrens nicht gestützt werden, weil es an einem öffentlich-rechtlichen Gesamtkonzept fehlt. Die Mietpreis­re­ge­lungen des Entwurfs stellen im Ergebnis nichts anderes dar als eine Verschärfung der geltenden Bestimmungen zur Mietpreisbremse und zur Kappungsgrenze.

Volksbegehren kann aufgrund fehlender Zuständigkeit des Landes­ge­setz­gebers nicht zugelassen werden

Der Verfas­sungs­ge­richtshof hat gemäß Art. 67 BVi. V. m.Art. 64 Abs. 1 Satz 1LWG über die Zulassung des Volksbegehrens "6Jahre Mietenstopp" zu entscheiden. Die Prüfung hat ergeben, dass das Volksbegehren nicht zugelassen werden kann, weil eine Zuständigkeit des Landes­ge­setz­gebers offensichtlich nicht gegeben ist. In ständiger Rechtsprechung misst der Verfas­sungs­ge­richtshof den Gesetzentwurf eines Volksbegehrens nicht nur an der Bayerischen Verfassung, sondern überprüft ihn auch daraufhin, ob er mit Bundesrecht, insbesondere mit den Kompetenznormen des Grundgesetzes, vereinbar ist. Der Sinn dieser Überprüfung liegt darin, solche Volksbegehren zu vermeiden, bei denen von vornherein ohne jeden ernsthaften Zweifel davon auszugehen ist, dass das Gesetz nach einem erfolgreichen Volksentscheid wegen Verstoßes gegen Bundesrecht vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht oder vom Bayerischen Verfas­sungs­ge­richtshof für nichtig erklärt werden müsste.

Voraussetzung der Miethöhe sind im BGB ausdrücklich geregelt

Es ist dagegen nicht Aufgabe des Verfas­sungs­ge­richtshofs, darüber zu befinden, ob die im Gesetzentwurf des Volksbegehrens vorgesehenen Regelungen sachgerecht, zweckmäßig, angemessen und praktikabel sind. Für die Entscheidung ist daher insbesondere nicht maßgeblich, wie die Vorschriften über die Begrenzung der Miethöhe in Bayern rechts- und sozialpolitisch zu bewerten sind. Nach Auffassung der Mehrheit der Richter sind die im Gesetzentwurf des Volksbegehrens vorgesehenen Regelungen zur Begrenzung der Miethöhe mit Bundesrecht offensichtlich unvereinbar. Dem Landes­ge­setz­ge­berfehlt nach Art. 72 Abs. 1 GG die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz, weil im BGB bereits enthaltene bundes­ge­setzliche Regelungen die Möglichkeit landes­ge­setz­licher Vorschriften versperren.

Mieterhöhungen in Bestands­miet­ver­hält­nissen unter bestimmten Voraussetzungen möglich

Aus § 558 BGB ergibt sich, unter welchen Voraussetzungen Mieterhöhungen in Bestands­miet­ver­hält­nissen zulässig sind. § 558 Abs. 1 BGB bestimmt, dass der Vermieter -außer bei Staffel und Indexmieten -grundsätzlich die Zustimmung des Mieters zu einer Erhöhung der Miete bis zu der ortsüblichen Vergleichsmiete verlangen kann. Nach der in § 558 Abs.3 Satz1 BGB geregelten sog. Kappungsgrenze darf sich die Miete innerhalb von drei Jahren, abgesehen von Erhöhungen nach Moder­ni­sie­rungs­maß­nahmen, nicht um mehr als 20 Prozent erhöhen. Eine abgesenkte Kappungsgrenze von 15 Prozent gilt, wenn die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen in einer Gemeinde oder einem Teil einer Gemeinde besonders gefährdet ist und diese Gebiete durch Rechts­ver­ordnung der Landesregierung bestimmt sind. Bei Beginn eines Mietver­hält­nisses gilt nach § 556 d BGB die sog. Mietpreisbremse. Danach darf die vereinbarte Miete die ortsübliche Vergleichsmiete grundsätzlich höchstens um 10 Prozent übersteigen, wenn ein Mietvertrag über Wohnraum abgeschlossen wird, der in einem durch Rechts­ver­ordnung der Landesregierung bestimmten Gebiet mit einem angespannten Wohnungsmarkt liegt. Die Mietpreisbremse ist nicht anzuwenden auf Wohnungen, die nach dem 1. Oktober 2014 erstmals genutzt und vermietet oder die nach umfassender Modernisierung erstmals wieder vermietet werden. Von den bundes­recht­lichen Ermächtigungen der Landes­re­gie­rungen zum Erlass von Rechts­ver­ord­nungen zur abgesenkten Kappungsgrenze bei Mieterhöhungen und zur Mietpreisbremse bei Neuvermietungen hat die Bayerische Staatsregierung Gebrauch gemacht. Sie hat in der Mieter­schutz­ver­ordnung die Gebiete bestimmt, in denen die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet ist. Der Anwen­dungs­bereich der abgesenkten Kappungsgrenze Mieterhöhungen und der Mietpreisbremse bei Neuvermietungen erstreckten sich auf 162 bayerische Städte und Gemeinden.

Mietpreisbremse/Kappungsgrenze sind Elemente des sozialen Mieterschutzes

Die Regelungen im BGB zum Abschluss von Mietverträgen über privat finanzierten Wohnraum, der auf dem freien Markt angeboten wird, sind Bestandteil der Zivil­rechts­ordnung. Zwar kommt der Sozia­l­pflich­tigkeit des Eigentums gerade im Bereich des Wohnraum­miet­rechts besondere Bedeutung zu, da eine Wohnung für den Einzelnen und dessen Familie eine hohe, häufig die Existenz betreffende Bedeutung hat. Der Gesetzgeber hat im Rahmen der rechtlichen Vorgaben für Wohnraum­miet­ver­hältnisse daher die schutzwürdigen Interessen des Eigentümers und die Belange des Gemeinwohls in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Die Mietpreisbremse und die Kappungsgrenze sind Elemente dieses sozialen Mieterschutzes. Das hierin zum Ausdruck kommende öffentliche Interesse ändert jedoch nichts daran, dass das soziale Mietrecht traditionell eine Materie des bürgerlichen Rechts darstellt und daher dem Kompetenztitel der konkurrierenden Gesetzgebung gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zuzurechnen ist.

Erlass von mietpreis­recht­lichen Vorschriften dem Landes­ge­setzgeber verwehrt

Im Bereich der konkurrierenden Zuständigkeit haben gemäß Art.72 Abs.1 GG die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetz­ge­bungs­zu­stän­digkeit keinen Gebrauch gemacht hat. Hier hat er jedoch Regelungen getroffen. Dem Landes­ge­setzgeber ist daher der Erlass von mietpreis­recht­lichen Vorschriften für Wohnraum verwehrt, der auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten wird. Die Voraussetzungen, unter denen die Vereinbarung der Miethöhe bei Abschluss eines neuen Mietvertrags Beschränkungen unterliegt, und die Maßgaben für Mieterhöhungen in Bestands­miet­ver­hält­nissen sind im BGB ausdrücklich und detailliert geregelt. Es handelt sich dabei um ein ausdif­fe­ren­ziertes, umfassend angelegtes System zur Regulierung der Mietpreishöhe. Im Hinblick auf den Bereich des freien Wohnungsmarktes ist daher nicht ersichtlich, dass der Bundes­ge­setzgeber Abwei­chungs­mög­lich­keiten der Länder für eine Regulierung der Mietpreishöhe zulassen wollte. Für den abschließenden Regelungswillen des Bundes­ge­setz­gebers spricht auch, dass dieser sein Konzept wiederholt ergänzt und fortentwickelt hat.

Länder können nicht eigene Vorstellungen an Stelle bundes­recht­lichen Vorgaben setzen

Es ist insbesondere fernliegend, dass sich für den Landes­ge­setzgeber aus den Ermächtigungen der Landes­re­gie­rungen Abwei­chungs­mög­lich­keiten im Hinblick auf die Festlegung der zulässigen Miethöhe ergeben könnten. Der Bundes­ge­setzgeber hat in §§ 556 d ff. BGB ein Konzept mit Regelungen zur Miethöhe vorgegeben und in diesem Zusammenhang den bereichs­s­pe­zi­fischen "Anwen­dungs­befehl" für bestimmte Vorschriften den insoweit sachnäheren Ländern überlassen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Länder ihre eigenen konzeptionellen Vorstellungen von einer Begrenzung der Miethöhe an die Stelle der bundes­recht­lichen Vorgaben setzen dürften. Zu dem erkennbar gewordenen Willen des Bundes­ge­setz­gebers, die Materie abschließend zu regeln, darf sich der Landes­ge­setzgeber nicht in Widerspruch setzen, auch wenn er die geltenden Regelungen für unzureichend erachtet. Er ist nicht befugt, kompetenzgemäß getroffene Entscheidungen des Bundes­ge­setz­gebers "nachzubessern".

Für Wohnungswesen fehlt öffentlich-rechtliches Gesamtkonzept

Es sind ferner keine überzeugenden Argumente dafür ersichtlich, dass die im Gesetzentwurf des Volksbegehrens vorgesehenen mietpreis­recht­lichen Regelungen auf die gemäß Art. 70 GG gegebene Zuständigkeit der Länder für Bereiche des Wohnungswesens gestützt werden könnten. Dies würde eine Einbettung in ein öffentlich-rechtliches Gesamtkonzept voraussetzen. Hieran fehlt es jedoch; die Mietpreis­re­ge­lungen des Entwurfs stellen im Ergebnis nichts anderes dar als eine Verschärfung der geltenden zivil­recht­lichen Bestimmungen zur Mietpreisbremse und zur Kappungsgrenze. Die Bewertung, dass der Landes­ge­setzgeber offensichtlich nicht über die Kompetenz zum Erlass des dem Volksbegehren zugrunde liegenden Gesetzes verfügt, wird nicht dadurch infrage gestellt, dass die Bayerische Verfassung in Art.106 Abs. 1 BV eine Regelung enthält, wonach jeder Bewohner Bayerns Anspruch auf eine angemessene Wohnung hat. Denn die Aufteilung der Gesetz­ge­bungs­zu­stän­digkeit auf Bund und Länder erfolgt in einem Bundesstaat nur auf der Ebene des Gesamtstaates. Landes­ver­fas­sungs­rechtliche Regelungen sind insoweit irrelevant.

Drei Mitglieder des Verfas­sungs­ge­richtshofs legen Sondervotum ein

Für eine Vorlage an das Bundes­ver­fas­sungs­gericht gemäß Art. 100 Abs.1 Satz1 oder Abs. 3 GG besteht kein Anlass. Drei Mitglieder des Verfas­sungs­ge­richtshofs sind der Auffassung, das Volksbegehren hätte zugelassen werden müssen, weil beachtliche Argumente dafür vorgebracht worden seien, dass der Gesetzentwurf des Volksbegehrens mit Bundesrecht vereinbar sein könnte.

Quelle: Bayerischer Verfassungsgerichtshof, ra-online (pm/ku)

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