18.10.2024
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Dokument-Nr. 15029

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Bundesverwaltungsgericht Urteil15.01.2013

Wohnsitzauflage für jüdische Zuwanderer muss verhältnismäßig seinAuslän­der­behörde kann Wohnsitzauflage im Einzelfall zur Famili­en­zu­sam­men­führung erweitern

Jüdischen Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion kann zwar auferlegt werden, ihren Wohnsitz in einem bestimmten Bundesland zu nehmen; diese Auflage muss aber im Einzelfall verhältnismäßig sein. Dies entschied das Bundes­ver­wal­tungs­gericht.

Die Kläger des zugrunde liegenden Falls, ein älteres Ehepaar aus der Ukraine, kamen Ende 1999 im Wege des Aufnah­me­ver­fahrens als jüdische Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland und beziehen seitdem Sozia­l­leis­tungen. Sie erhielten nach der Einreise eine unbefristete Aufent­halt­s­er­laubnis, die inzwischen als humanitäre Niederlassungserlaubnis nach § 23 Abs. 2 Aufent­halts­gesetz (AufenthG) fortgilt. Die Wohnsitznahme wurde von der beklagten Ausländerbehörde zunächst auf den Landkreis Wittenberg beschränkt.

Auslän­der­behörde erweitert Wohnsitz­be­schränkung lediglich auf das Land Sachsen-Anhalt

Wegen des Bezugs von Sozia­l­leis­tungen hält die Auslän­der­behörde weiterhin an einer Wohnsitz­be­schränkung fest und erweiterte diese 2006 lediglich auf das Land Sachsen-Anhalt. Hiergegen erhoben die Kläger Klage, weil sie nach Baden-Württemberg zu einer ihrer Töchter umziehen möchten. Ihre Klagen hatten in den Vorinstanzen Erfolg. Das Berufungs­gericht ist davon ausgegangen, dass die Kläger aus Art. 3 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Gleich­be­handlung mit anerkannten Flüchtlingen hätten. Bei dieser Personengruppe sind Wohnsitz­auflagen nach der Genfer Flücht­lings­kon­vention generell unzulässig.

Jüdische Zuwanderer haben keinen Anspruch auf Gleich­be­handlung mit anerkannten Flüchtlingen

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat sich dieser Auffassung nicht angeschlossen, die Revision des Beklagten aber aus anderen Gründen zurückgewiesen. Die Kläger sind weder Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flücht­lings­kon­vention, noch haben sie - jedenfalls seit Inkrafttreten des Aufent­halts­ge­setzes - die Rechtsstellung eines Kontin­g­ent­flüchtlings. Sie haben insoweit auch keinen Anspruch auf Gleich­be­handlung mit anerkannten Flüchtlingen. Denn diese genießen aufgrund völker­recht­licher Verpflichtung die Rechte aus der Genfer Flücht­lings­kon­vention, sie werden aber nur vorübergehend aufgenommen, solange sie wegen ihres Verfol­gungs­schicksals internationalen Schutzes bedürfen. Jüdischen Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion wurde hingegen mit der Aufnahme ein dauerhaftes, nicht von einem Verfol­gungs­schicksal abhängiges Aufent­haltsrecht in Deutschland eingeräumt. Von daher sind sie eher mit der Gruppe der Spätaussiedler zu vergleichen, die allerdings die deutsche Staats­an­ge­hö­rigkeit besitzen.

Auslän­der­behörde muss trotz Verwal­tungs­vor­schriften Verhältnismäßig der Wohnsitzauflage im konkreten Einzelfall prüfen

Humanitäre Nieder­las­sungs­er­laubnisse, wie sie jüdischen Zuwanderern erteilt werden, können mit einer Wohnsitzauflage versehen werden (§ 23 Abs. 2 Satz 4 AufenthG). Bei der Ausübung ihres Ermessens dürfen die Auslän­der­be­hörden auf die einschlägigen Verwal­tungs­vor­schriften zurückgreifen, die zur angemessenen Lasten­ver­teilung zwischen den Bundesländern Wohnsitz­auflagen vorsehen, solange Sozia­l­leis­tungen bezogen werden. Die Verwal­tungs­vor­schriften entheben die zuständige Auslän­der­behörde aber nicht der Prüfung, ob eine Wohnsitzauflage im konkreten Einzelfall auch verhältnismäßig ist. Dabei kommt den Interessen des Betroffenen umso größeres Gewicht zu, je länger die Beschränkung andauert. Vorliegend ist der Aufenthalt der Kläger - im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungs­instanz - bereits seit über 12 Jahren auf den Landkreis Wittenberg bzw. das Land Sachsen-Anhalt beschränkt. Zudem sind die Kläger altersbedingt nicht mehr in der Lage, ihren Lebensunterhalt dauerhaft aus eigenen Kräften zu sichern und es bestehen familiäre Anknüp­fungs­punkte außerhalb des Landes Sachsen-Anhalt. In diesem Fall überwiegt deshalb das persönliche Interesse der Kläger, ihren Lebensabend in der Nähe ihrer Kinder zu verbringen.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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