23.11.2024
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Dokument-Nr. 30301

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Bundesverwaltungsgericht Beschluss20.05.2021

BVerfG-Vorlage zur Verfas­sungs­mä­ßigkeit des BAföG-Bedarfssatzes für StudierendeBVerwG zweifelt an Verfas­sungs­mä­ßigkeit

Die Regelung des Bundes­ausbildungsf­örderungs­gesetzes (BAföG), nach der im Zeitraum von Oktober 2014 bis Februar 2015 ein monatlicher Bedarf für Studierende in Höhe von 373 Euro galt (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 BAföG), verstößt nach Überzeugung des Bundes­verwaltungs­gerichts gegen den aus dem verfassungs­rechtlichen Teilhaberecht auf chancengleichen Zugang zu staatlichen Ausbildungs­angeboten folgenden Anspruch auf Gewährleistung des ausbildungs­bezogenen Existenz­mi­nimums (Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG - in Verbindung mit dem Sozial­staats­prinzip des Art. 20 Abs. 1 GG). Das Bundes­verwaltungs­gericht hat deshalb beschlossen, dem Bundes­verfassungs­gericht die Frage der Vereinbarkeit des Bedarfssatzes mit den genannten Bestimmungen des Grundgesetzes zur Entscheidung vorzulegen.

Die Klägerin studierte im Wintersemester 2014/2015 an einer staatlichen Hochschule in Deutschland. Sie erhielt für den Zeitraum Oktober 2014 bis Februar 2015 unter Anrechnung elterlichen Einkommens Ausbil­dungs­för­derung nach Maßgabe der Bestimmungen des BAföG. Die entsprechenden Förde­rungs­be­scheide griff die Klägerin mit der Begründung an, der für den fraglichen Zeitraum geltende Bedarfssatz für Studierende sei in verfas­sungs­widriger Weise zu niedrig bemessen. Ihre auf höhere BAföG-Leistungen gerichtete Klage blieb vor den Verwal­tungs­ge­richten in erster und zweiter Instanz erfolglos. Nach Überzeugung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts ist die Festlegung des Bedarfssatzes im Zeitraum von Oktober 2014 bis Februar 2015 mit dem verfas­sungs­recht­lichen Teilhaberecht auf gleich­be­rech­tigten Zugang zu staatlichen Ausbil­dungs­an­geboten (Art. 12 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) nicht vereinbar. Dieses Teilhaberecht verpflichtet den Gesetzgeber, für die Wahrung gleicher Bildungschancen Sorge zu tragen und im Rahmen der staatlich geschaffenen Ausbil­dungs­ka­pa­zitäten allen entsprechend Qualifizierten eine (Hochschul-) Ausbildung in einer Weise zu ermöglichen, die den Zugang zur Ausbildung nicht von den Besitz­ver­hält­nissen der Eltern abhängig macht, sondern ihn so gestaltet, dass soziale Gegensätze hinreichend ausgeglichen werden und soziale Durchlässigkeit gewährleistet wird.

Tatsächliches Gebrauchmachen von dem verfas­sungs­recht­lichen Teilhaberecht darf nicht verhindert werden

Obgleich dem Gesetzgeber dabei ein weiter Gestal­tungs­spielraum zusteht, ist eine den Minde­st­an­for­de­rungen gerecht werdende Förderung verfas­sungs­rechtlich geboten, die verhindert, dass das tatsächliche Gebrauchmachen von dem verfas­sungs­recht­lichen Teilhaberecht nicht an einer unzureichenden finanziellen Ausstattung von Ausbil­dungs­willigen scheitert. Weil dies voraussetzt, dass die materiellen Anforderungen für die Durchführung der Ausbildung gesichert sind, folgt aus dem Teilhaberecht ein Anspruch auf staatliche Förderung für diejenigen, die ihr ausbil­dungs­be­zogenes Existenzminimum nicht aus eigenen oder von Seiten Dritter (Eltern etc.) zur Verfügung gestellten Mitteln bestreiten können und deren Zugang zur Ausbildung, obgleich sie die subjektiven Zugangs­vor­aus­set­zungen erfüllen, ohne eine entsprechende staatliche Unterstützung aus tatsächlichen Gründen vereitelt oder unzumutbar erschwert würde.

Konkreten Festlegung des Bedarfssatzes bleibt hinter den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen zurück

Dem ist der Gesetzgeber mit der Zielsetzung, Chancengleichheit zu ermöglichen, zwar in der Weise nachgekommen, dass er einen Rechtsanspruch auf Ausbil­dungs­för­derung für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung nach Maßgabe des Gesetzes einräumt, der den Lebensunterhalt und den Ausbil­dungs­bedarf des Studierenden decken soll (§ 1, § 11 Abs. 1 BAföG). Allerdings ist er nach Überzeugung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts mit der konkreten Festlegung des hier im Streit stehenden Bedarfssatzes hinter den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen an die Gewährleistung eines ausbil­dungs­be­zogenen Existenz­mi­nimums für den von ihm als förde­rungs­würdig und -bedürftig ausgewiesenen Personenkreis zurückgeblieben. Die Ermittlung des Bedarfssatzes unterliegt der Prüfung, ob der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestal­tungs­spielraums ein zur Bemessung taugliches Berech­nungs­ver­fahren gewählt hat, ob er die erforderlichen Tatsachen im Wesentlichen vollständig und zutreffend ermittelt und schließlich, ob er sich in allen Berech­nungs­schritten mit einem nachvoll­ziehbaren Zahlenwerk innerhalb dieses gewählten Verfahrens und dessen Struk­tur­prin­zipien im Rahmen des Vertretbaren bewegt hat.

Bedarfssatz hält Prüfungs­an­for­de­rungen nicht stand

Dieser Prüfung hält der streitige Bedarfssatz nicht stand. Eine den vorgenannten Anforderungen gerecht werdende Festsetzung kann unter anderem deshalb nicht nachvollzogen werden, weil das gewählte Berech­nungs­ver­fahren im Unklaren lässt, zu welchen Anteilen der Pauschalbetrag auf den Lebensunterhalt einerseits und die Ausbil­dungs­kosten andererseits entfällt und diese abdecken soll. Zudem fehlt es an der im Hinblick auf die Lebenshaltungs- und Ausbil­dungs­kosten gebotenen zeitnahen Ermittlung des entsprechenden studentischen Bedarfs. Hier lag der Festsetzung aus dem Jahre 2010, die bis 2016 galt, eine Erhebung aus dem Jahr 2006 zugrunde. Weil das Bundes­ver­wal­tungs­gericht als Fachgericht nicht befugt ist, die Verfas­sungs­wid­rigkeit eines Parla­ments­ge­setzes selbst festzustellen, hat es das Revisi­ons­ver­fahren ausgesetzt und die Frage dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht zur Entscheidung vorgelegt.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht, ra-online (pm/ab)

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